Geschichte der Wolgadeutschen
UNSERE WIRTSCHAFT
Illustrierte Halbmonatsschrift
1924 № 12, 14

Sein Erbteil *)

Von Chr. Balthasar

Sonnabend ist der Tag, den auch das kleinste Kind am besten kennt. Als ich noch keinen Begriff von der Woche und den einzelnen Tagen hatte, mußte ich doch schon, wann es Sonnabend war.

Wenn wir früh aufstehen und die Stühle auf den Tisch stellen mußten, wenn unser Date aus dem Hause eilte und unsere Mama uns mit nassen Lumpen schlug, dann war’s Sonnabend.

Diesen Tag hatten wir nicht gern; da durfte man nicht mit Stiefeln in die Stube gehen, und der Kopf wurde einem mit scharfer Lauge gewaschen. Doch daß danach ein Sonntag kam, das war ein Trost; denn da gab’s Kännjetee und Kalatsch oder Dünnekuchen.

„Uf, uf!“ schrie jemand eines Sonnabend morgens. Als ich die Augen und Ohren öffnete, sah und hörte ich, wie der Date die Schere mit dem Feuerstahl wetzte. Im Nu war ich ganz munter und stand aus den Beinen; denn am Sonnabend gab’s immer kurzes Federlesen.

Der Vater „knapste“ mit dem Scherchen, was so viel heißen sollte wie: „Kommt her, es geht ans Scheren!“ — „Wart doch noch e bißche, ich bin noch gar net fertig mit dem Teig“, rief die Mutter. Sie hatte immer noch das Muldentuch vorgebunden.

„Is ke Zeit, Modder, weeßt doch, daß mr Bsuch erwarte. Du werscht dich doch net wolle im Dreck antreffe losse? Was solle n die Lait sage?“. . .

— „Ich bitt dich, die Kathrinestädter . . . Die schlose sich erscht aus. Die un des Frühufsteihe ware mai Lebtag noch ke gute Bekannte. Mir werre noch hunnert Mol fertig, bis die komme.“ —

„Desto besser.“

Die Sprößlinge wurden einer nach dem andern geschoren und hinausgewiesen: „Bleibt drauß, bis dir gerufe werd; wann’s aich friert, geht in Stall!“

Schöne „Krümelkuchen“, in Stückchen geschnitten, standen aus Tellern im Küchenschrank; auf der Glut dampfte die Kaffeekanne. Alles war sauber und geordnet. Die Mutter hatte eine reine Schürze um; sie suchte, ob nicht irgendwo noch was nachgeblieben wäre, was hätte auffällig sein können. Der Vater hatte seinen „Sunntagskoft“ und seine „Wadenstiefel“ mit Glanzkaloschen drüber angezogen. Er schaute ungeduldig nach dem Fenster.

Er erwartete den Karp Karpitsch, den Walkermeister von Katharinenstadt. Dem hatte er einen seiner Jungen vermacht, seinen Jab.

Mein Vater hatte 7 Jungen, wenig Land und wenig sonstige Habe; da sollte der Junge was lernen, damit er sich einmal anders ernähren könne. Für die Bauerei war er auch nicht geeignet. Jab war „tapplich“, drum sollte er walken lernen.

Der „Vetter“, so sollte der neue Herr genannt werden, der „Vetter" sollte ihn abholen.

Zuvor geht’s ins Kreischaus. Dort wird der Kontrakt gemacht und dann — „adje Jabje! sei nor brav; 4 Johr sin ball rom“. Ja, wer den Kern genießen will, muß die Nuß erst knacken.

Jab wußte wohl, daß er hier nicht mit reden durfte. Er wußte schon lange, daß er ein Handwerk lernen sollte, daß er in der Bauerei für überflüssig anerkannt wurde. Er war auch gar nicht überrascht, als ihm am Tage zuvor mitgeteilt wurde: „Du bist an den Walkermeister in Kathrinestadt vermacht.“ Dies hat ihn nicht mehr getroffen als: „Morge ziehst du mit die Kieh an die Mitschet“, oder „Morge machst du dich mit die Gail uf n Schulzer Plan.“ Der Vater ordnete immer an, Mutter und Kinder gehorchten immer.

Gleichgültig verrichtete er seine gewohnte Morgenarbeit, bis er angerufen wurde: „Jab, wäsch dich un zieh dich an.“

Die bevorstehende Scheidung machte ihm nicht die geringste Mißstimmung, nur war er in Verlegenheit, ob er „Adje“ sagen müsse oder nicht, ehe er abfährt. Er fährt keinen gewöhnlichen Weg, er scheidet von der Bauerei, er wird Handwerker, kommt in die Stadt, ist schon „ledig“, und drgl. Gedanken bewogen ihn, „Adje“ zu sagen, und er sagte es, ehe er an den Wagen stieg.

Es war schon spät abends, als sie nach Katharinenstadt kamen. Jab war von zuhause aus gewohnt zu schlafen, wo und wie es sich eben schickte: auf den Dielen in der Stube, auf dem Stallboden, unter dem Wagen oder aus dem Wagen, im Walde und auf der freien Steppe. Er schlief daher bald auf dem Wagen ein, der ihn auf lange Zeit in die Fremde geführt hatte, und erwachte erst am Morgen spät auf demselben Wagen in einem fremden Hofe.

Er hielt Umschau. Haus, Hof, Scheune, Stall, Werkstelle — alles war rein und in bester Ordnung, so daß er sich hier ordentlich behaglich fühlte. Alles war ihm fremd, jedoch die feierliche Umgebung an diesem Sonntagmorgen wirkte wohltuend auf ihn ein, so daß er kein Heimweh fühlte. Er konnte sich leicht in die neuen Verhältnisse einleben, die, wie auch die Behandlung, nach seinen Begriffen ganz leidlich waren. Alle „Lehrjungens“, deren der Meister mehrere hatte, mußten gleichzeitig zusammen essen, damit nicht einer das Oberste herunterschöpfte. Zu großen Festen gab’s Gutes: die Wees machte Kaffee und frische „Lepeschke“; der Vetter gab „5 Kopi“ und den guten Rat: „Busauft aich nich“.

Bei Licht wurde nur Winters gearbeitet, im Sommer nur von hell bis dunkel. Dann wurde die Arbeit eingestellt, Stall und Hof aber bei Mondschein besorgt. Die Unmassen Schmutz, die sich bis ans Ende der Woche angesammelt hatten wurden jeden Sonnabend mit Aufwand aller Kräfte wieder hinausbefördert, wobei der Vetter oder die Wees recht mörderlich über unbedeutende Fehlgriffe schimpften.

In der Fachstube war’s am schönsten: zwei Fenster und „e Plitje“, hell und warm, — hatzi! bloß ein bißehen eng, — hatzi! und . . — hatzi! staubig; aber gegen das Zimmer draußen, wo der „große Bogen“ war, war’s wie im Himmel. Den „Bläser“ sah man darin nie, nur „drm, drm, drm, drin“, hörte man in der grauen dicken Staubwolke. Der Bläser nahm manchmal einen Heuwisch, um sich den Staub aus dem Gesicht zu putzen, und sah nach, ob die Sonne noch am Himmel stehe.

Die Walkstube war am wärmsten und ohne Staub. Aber sie war so niedrig, daß der schwarze David darin krumm gehen mußte. Der Kessel, der acht Walktische mit Arbeit versah, kochte immer; damit es aber nicht zu beiß würde, hatte der Vetter, anstatt Fenster, ein Fensterloch gelassen, durch das die frische Luft eindrang, die sich in dicken Qualm verwandelte.

„He, Jungens, seid r all’ da?“

— „Ja, ja.“ —

Wir walken dem Veter ein neues Haus,

Der Wees eine Pianine.

Eher gibt er keinen „Dritter“ raus

Für eine Kratzmaschine.

* * *

Jab war bald beliebt beim Vetter und auch bei der Wees; denn er war fleißig und mit allem zufrieden und ging niemals aus dem Haus. Fast jeden Sonnabend ging er nach seinem Dorfe, um dort den Sonntag im Kreise seiner Familie zu verbringen.

Mit den Lehrjungen vertrug er sich gut, strich aber niemals mit ihnen in der Stadt herum.

„Er ist brav, er nemmt gute Ratschläg an, er werd e mal n guter Meister un kann sein Vatter tichtig unner die Ärm greife“ — das war die Meinung des Vetters, das war auch die Meinung der Eltern.

Jab konnte sich auch nichts Besseres denken, als eine Werkstätte zu errichten, wenn die Lehrjahre um wären.

Von Jos, einem Arbeiter, der in Arzamas, Nishni und and. Städten gewalkt hatte, ließ sich Jab oft über das Leben der dortigen Arbeiter erzählen. Er lauschte aufmerksam, wie man in den großen Werkstätten der Großstädte arbeitet. Ganz anders ist da das Leben der Arbeiter. Sie haben weder Land, noch Vieh und leben jahrein, jahraus nur von ihrem Lohn.

* * *

Tag um Tag, Woche um Woche flohen dahin. Jab hatte endlich alle Weisheiten des Walkens weg. Er konnte die größten Mannstiefel und die zartesten Filztrümpfe wallen. Er war ein Meister. „Ball, ball, Jung, host de ausgelernt. Dann mache mr unser eigne Walkerei uf,“ sagte der Vater. „Die Jungens könne im Winter helfe. Wann’s geht, kannst de dr aach Lehrjungens annemme: s Schlimmste werd dr Anfang sin.“

Eines Sonnabends packte Jab all seine Siebensachen zusammen, verabschiedete sich umständlich von dem Vetter und der Wees, von den Kameraden. Er ging nach Hause, um nicht mehr zurückzukommen. Vier Jahre waren um.

Bald war daheim der Schafstall zur Werkstelle eingerichtet. Der Waschkessel wurde eingemauert, eine alte Tür auf Hackklötzen war der Tisch, und das Walken ging los.

Eine Stange über dem Tor mit einem darangebundenen Filzstiefel zeigte: „Hier die Walkerei des Guttels Jab.“

* * *

Die Walkerei des „Guttels Jab“ war bald weit und breit bekannt. Die Leute fragten auch immer nach dem „Guttels Jab“ und nie nach seinem Date. Der Date vermutete in jedem Fremden, der gegen sein Haus kam, einen Besteller und fragte ihn: „Gelt, Ihr sucht Guttels Jab? — Kommt nor rin, ich bin sa Date.“

Sack auf Sack häufte sich die Wolle, besonders zu Herbstzeiten, so daß sie kaum unterzubringen war. Es war auch keine Not mehr an Bargeld. Es lag in der „Beilade“ des Kastens und wurde argwöhnisch vor fremden Blicken bewahrt. Desto öfter und aufmerksamer musterte es der Date: „Bald is n Hunnerter voll“ — „Eener is voll“, sagte einst der Date, nahm die Bibel vom Bettkranz, legte den „Hunnerter“ hinein und steckte die heilige Brieftasche unten im Kasten unter der Mama ihren Kragenpelz.

Nach den Einkünften wurde auch der Jab geschätzt. Er bekam guten Kaffee und aß immer „drüben“, niemals am allgemeinen Tisch. Er wäre gar nicht mehr so tapplich, behaupteten die Mutter, der Vater, ja alle Leute. Und doch war Jab immer unzufrieden. „Ums goldene Kalb tanzen, Haut abziehen“, waren die Worte, die er mitunter vor sich hinbrummte. — „Ein Hunnerter is voll, Jab; jetz kenne mir uns e Seel Land kafe, wann mir gut ankomme.“

„Ihr kommt m Kraft[1] noch bei. Ihr helft die Lait aus dr Not un werd reich drbei; so mache s jo alle Geschäftslait. ’s Geld muß schaffe. M aane sei Not, m annere sei Brot.“ —

„Plauder net so dumm; ich sorg for dich, net for mich.“

* * *

Die „Karmänner“[2] verkaufen jeden Herbst ihren Weizen bis aus das letzte Korn. Zu Ostern backen die Frauen noch Kuchen, und wenn der Sommer kommt, ist kein Kochmehl da. Die „Bresniker“[3] wissen das und bringen beim Hochwasser Mehl den Karaman herauf.

Nun passierte einem ein Unglück: das Mehl wurde bei der Überfahrt naß; deshalb fand es nur wenig Abnehmer. Das Wasser ging schon zurück, und das Mehl war noch nicht verkauft.

Alle „Schennik“ stießen ab, nur der mit dem nassen Mehl noch schwer beladene konnte den Rückweg noch nicht antreten. Der Mehl Händler bot überall, auch in den Nachbarsdörfern, sein Mehl feil, erst für einen mäßigen, dann einen billigen Preis.

Jabs Date öffnete noch einmal den Kasten, schloß ihn dann ab und steckte den Schlüssel in die Tasche.

Er ging ans Wasser, um zu sehen, ob es zurückgehe. Das Schwemmzeug am Ufer überzeugte ihn, daß das Wasser schon stark zurückgegangen war.

Er wollte auch nebenbei das Riesenboot betrachten . . . Als Bauer hat er mit Handel nichts zu tun . . . Aber billig kaufen, — warum nicht?

„Kennt ihr werklich net mehr fort? Ei-ei-ei . . . Nadierlich des Mehl verkafe, sunst weeß ich aach keen Rot.“

Der Prassler möchte ja das Mehl für den halben Preis losschlagen, wenn sich Käufer fänden. Jabs Vater meinte: „Ich mecht s woll schun nemme, awer Geld hun ich keens; da mißt ich erscht borge. Wann du noch nochloßt, kenne mr vrleicht e Gschäft mache . . . . Im Dorf is s ewe schwer. so vill Geld ufzutreiwe.“

Für den Prassler war auch das eine Erleichterung, und das Geschäft war bald abgemacht.

Die Leute von der Barke begannen, mit allem Eifer das Mehl auszuladen. Beim Auszahlen wurde noch eine Weile gezankt; denn Jabs Vater harte die verabredete Summe nicht ganz auftreiben können.

Man hatte noch lange im Mehl herumzuarbeiten, das trockene vom nassen zu teilen, die Säcke auszustäuben.

Jeder bekam zu fühlen, daß viel Mehl da war, auch der Braune.

Die Mama kochte nun Klöße, und der Braune bekam vom „Stiebmehl“ „Mesit“. So viel Mehl auf einem Haufen hatten wir noch nicht gesehen. Nun gab es auf einmal lauter Kalatsch, als ob immer Ostern wäre, wogegen sonst nur Brot auf den Tisch kam. Der Kalatsch war freilich ein bißchen „stockig“, aber man dachte: „Wahrscheinlich müssen gute Kalatsch so schmecken.“

„Een hat dr Date widder gschore. Jetz kenne mr Kalatsch esse; awwer wieviel werre noch geschore werre! Wann’s diesjohr e schlecht Ernte gebt, kommt dr Date iwwer n Lewig.“[4]

* * *

Als die Ernte bekam, hatte die Leute kein Mehl mehr,  so daß siegenötigt waren, bei uns zu holen. „Die Ernte is gewiß“, sagte der Date, wog fleißig Mehl und machte mit Kreide Striche im Ambar. Die Striche am Türpfosten, das waren die aus der „Hinnereck“ die in der rechten Ecke waren die Oberdörfer und so fort. Wenn die Striche auch für andere Hieroglyphen waren, so konnte sie der Date sehr gut lesen.

„Hanfriedrich, du bist mr annerthalb Pud Mehl schullig. Guck, hier stehts geschriewe.“ Es war ein großer und ein kleiner Strich. Hanfriedrich bekannte sich zu der Schuld.

„Ihr Hot dem Ruß sa Mehl zu lauter Strich gemacht“, sagte der Jab. „Sollt Ihr dann aach widder Mehl zurückkriehe?“

„Ja, ich huns schon zamme gezählt; s gebt eher noch mehr“, und der Vater rieb sich die Hände.

„No? Noch mehr? No guckt nor do. Do sage se immer, die alt Zornsen kennt hexe. Die müßt jo bei Aich lerne. Guckt nor do, wann mr Geld im Kaste hat, kann mr schlechtes Mehl zu Strichjer mache, un die Strichjer zu gutes, un immer esse drvun, un doch noch innig behalte. — Dunnerwetter, was die Lait als kenne, wu Hunnerter hun.“

„Ich glab du willst mich ärgere. Wann du keen Reschpek host, un do lern ich dir, paß uf.“

* * *

Immer häufiger wurden bei Guttels die Besuche der Dorfspitzen. Der David Lukjanitsch, der Budefritz, der Schreiwer, der Vorsteher und andere Hauptmänner im Dorf waren gern gesehene Gäste. Der Scheppe, der Kuche, der Schofherdephilipp kamen erst sehr selten, dann gar nicht mehr. Der Date war immer recht froh, wenn „ordentliche“ Leute kamen, aber der Jab ging ihnen immer mehr aus dem Wege. Mit „so Lait“ wolle er nichts zu schicken haben. Der Wewer, der Flotsker und der Ratnik, das waren seine Kameraden; aber diese „superkluge“ hatte der Date nicht gern. „Die wolle mehr verstehe, als wie die ältste Männer.“

* * *

„Modder, ich glab, ich muß e Testement mache, daß der Jab weeß, was er krieht. Der is immer so mutzig. Der verdients merschte, un wann ich mol sterb, dann werd alles verdeelt, un do tragts m wenig. Die Kinner sin zu vill.“ —

„Ja, vill Brüder mache schmale Güter. Awer ich glab, wann r mol weeß, was seine is, dann is r net mehr so rewellisch.“ — „Jakob, komm mol riwwer. Ich glab, Jung, ich mißt e Testement mache. Der Mensch is sterblich. Mr kann die Aage zudrücke, un do konnst du in Verlegenheit komme. Host dich so sauer gequält, un die Kleene kriehe nochert grad so vill wie du . . .“ —

„No un?“ —

„No ich will dir der Erbdeel sichere, daß dirsch keener nemme kann vun dene Kleene.“ —

„No un?“ —

 „No un, no un . . . Ich mach mir Sorge om dich. Du sollst net beleidigt were.“ —

„Die Kleene brauche woll nix?“ —

„Du stellst dich jo an wie e Kleenes. Die solle jo aach hun.“ —

„No do braucht Ihr jo aach kaa Testement.“ —

„No du sollst mehr hun.“ —

„So. Wrom dann? — Nee. Ich will hier net bleiwe. Ich mach noch die Stadt in n Großgeschäft, in e große Walkerei. Ich bin des Gepuddel satt. Erscht beim Eckert in m Loch, jetz in unsern Schofstall — dann e größer Werkstell baue, nochert widder abreiße un deele. So gehts bei ne all. Ufbaue, abreiße, umbaue, sei Lebtag. Immer nix, un doch immer eener dem annere noch m Vrmöge trachte. Ich geh fort, sunst krieht Ihr immer mehr Geld in die Finger un vrlernt s arweide un lernt s Geldmache immer besser: aus Zehnter Hunnerter, und dann Tausender.

* * *

 „Na, Jakob“, sagte der Alte eines Tages, „du mißt heirade. Die Mama werd immer klappriger; die mißt jetz Hilf hun. Du wärscht jo aach alt gnung. Du kriehst Vrginstigung un brauchst net fort zum Soldat. Guck dich e mol e bißche um; ich meen, noch so n Mann wie du, greift jedes Mädel mit zehn Finger.“

„Des loßt e mol mei Sorge sinn, Date. Ich will e mol net so eile.“ —

„Was is do noch zu denke? Alt gnung bist de, Platz hun mr im Haus, un e Weiwer meusch tut uns not, die Mama hats hart gnung.“ —

„Dann dinge mr uns e Magd. Was is do noch lang zu rede, Date? Ihr wißt, daß mir des alles net so recht basse will, nor kann ich’s net ännere. Ich will un muß emol fort in die Welt, daß ich was zu sehe krieh. Gehört hun ich schun so e manches, un do möcht ich aach mol die große Städte un die große Walkereie selwert kenne lerne; des hun ich mr vorgnomme.“ —

„No, Iakob, schlag dr doch mol die Sache aus m Kopp. Vrsteh mich doch e mol . . .“

„Aiern Sinn weeß ich jo. Ich soll do bleiwe, un do drum soll ich aach heirade, un wann ich emol gheirat hun, dann komm ich net mehr fort.

Ihr macht e Testement, daß ich ganz un gar gbunne bin. Ich hun dann mei gewissenes Teel, ma Familje, dann mach ich’s grad so wie Ihr: ich tracht reich zu werre.“

„Un was is n do Schlechtes drbei?“ —

„Gut odder schlecht, das spielt kee Roll, nor Hunnerter. Geld regiert die Welt. Un des is grad des Verderwe. Vun dr Arweit soll mr lewe, die ganze Welt besteht vun dr Arweit, jeder will awwer nor sa Geld schaffe losse. Wann mol n jeder besorgt wär, mitzuschaffe, dann käme mr besser raus. Bei der Geldgier, bei dem Schachere un Wuchere geht’s immer um die Wett, un eener zieht dem annere die Haut ab.“ —

„No, Jung, ich kann dich net verstehe.“

„Hait treibt Ihr dem Ruß ja Mehl ab vor n Dutldei, morge dem Johan e Seel Land, dem annere n Stall un so fort. Dann kommt Ihr ins Unglick un verliert. So werd immer riwwer un niwwer gezerrt, jeder quält sich, un am End gebt’s doch net mehr. Un wauns gut sellt gehn, mißt’s immer mehr gewwe. Ich sin mr freilich iwwer die Sache selwere noch net klar, awwer später komme mr vrleicht noch emol druf zu spreche. Grad die Arweiter aus große Gschäfte, die gucke des ding annerscht an, annerscht wie mir, un bei dene will ich mir Licht hole.“ —

An einem Sonnabend Nachmittag war bei Guttels alles aufs schönste hergerichtet. Der Tisch war gedeckt, und daran saßen. Die Gäste, der Vorsteher, der Schreiwer und noch zwei angesehene Männer.

Die Mutter war persönlich zum Pastor gegangen, um ihn hierher zu bitten.

„Damit dr Jab kee Dummheite macht,“ sagte der Vater.

Der Pastor kam auch bald und nahm oben am Tisch Platz.

„Der Mensch is sterblich, Herr Prstor, un da will ich mei Haus bestelle, wie s in der Schrift steht. Mein Älster hat schon vill gschafft; drum möcht ich ihm die Vorhand sichere. Er is nich ganz invrstanne; will fortziehe.“

„Des Herrn Wege sind unbekannt, drum tun Sie gut, wenn Sie bei Zeiten jedem das Seinige zusichern. — Und Sie, junger Mann, bedenken Sie das vierte Gebot. Auch heißt es: Bleibe im Land und nähre dich redlich. — — Sie sagen ja nichts? Was glauben Sie dazu?“

„Ich glaab, was deine Sache nich is, da laß dein Vorwitz weg.“

„Jung, beleidig den Mann net . . .“

„Ich beleidig n net. Was hot der in unser Lache ninzurede? Wann do n Nochbr ninspreche dät, dann dät ich mrsch noch gfalle losse, awer so — — Ihr wollt e Testement mache, wu mr e Vorrecht gebt un vergeßt die Kleene. Jedem des Seinige, un dene Kleene ihre Not. Un der Himmelsprikaschik is gleich mit sein Sege bei dr Hand . . . .“

„Jung, — verzeihen Sie, Herr Pastor . . ., Jung, du schimpierscht mei Haus . . . Ich schreib dich ab mit nix . . . ! Host du dann aach gar keen Vrstand? — Naus, daß ich dich net mehr vor meine Aage seh . . . Nix sollst de hier erwe, du Flegel! . . .“

„Übereilen Sie sich nicht, Jakob, besinnen Sie sich, bitten Sie den Vater um Verzeihung. Des Vaters Segen baut den Kindern Häuser.“

„Herr Pastor, vun mir kriehe Sie for Ihre Rede nix bezahlt. Die Mih kenne Se sich spare. Mein Date hot sich vill Mih gegewe, mich gehorsam zu mache; Ihre Gebete hawe aach drzu beigetrage, mich zum Null zu mache. Du sollst und du mußt, des ware die eenzige Lehre, wu ich noch gehört hab. Un ich? Was ich denk un was ich will?“ — —

Und Jab schnürte sein Bündel und ging, um sich Klarheit über die ihn bestürmenden Fragen zu suchen.


[1] Früher ein reicher Gutsbesitzer in den Kolonien.
                                                    Der Verfasser.

[2] Die am Karaman ansässigen Kolonisten.

[3] Beresniki — Russendorf gegenüber Marxstadt.

[4] Ebenfalls ein früherer Gutsbesitzer.    Der Verf.


Unsere Wirtschaft, 1924, Nr. 12, S. 361-363, Nr. 14, S. 427-430.


*) Die Novelle „Sein Erbteil“ wurde später im Sammelband „Erzählungen wolgadeutscher Sowjetschriftsteller“ (Engels, 1933) unter dem Titel „Guttels Jab“ in Kurzform veröffentlicht. – Anm. von A. Spack.