Geschichte der Wolgadeutschen

BEITRÄGE ZUR HEIMATKUNDE
DES DEUTSCHEN WOLGAGEBIETS


Ropp-Zopp

Nacherzählt vom Kol’nijer (A. Lonsinger)

Der Vetter Gottlieb war gerade keine Krämerseele, aber trotzdem hatte er sich verführen lassen, einen Tabakhandel anzufangen. Der Handel mit Tabak, der nicht "verakzist" worden war, konnte leicht einen ge­fährlichen Ausgang nehmen, wenn die Polizei dahinterkam. Anfangs hatte der Vetter Gottlieb große Ängste ausgestanden, wenn er mit hoch­geladenem Wagen in Kosakenstadt angekommen war und sich dort auf die Überfahrt begab, denn dort standen die Wächter des Gesetzes "dich­ter" und das unbeanstandete Durchkommen war schwerer. Es hatte aber geklappt, und es war ein besonderes Hochgefühl, zu empfinden, daß man dem Spürsinn der Polizisten ein Schnippchen gespielt und den Tabak am rechten Wolgaufer hatte.

So ging es gemütlich längere Zeit, und der Vetter Gottlieb brachte es schon gut fertig, ein lustiges Liedchen zu singen, wenn er das Wolga­ufer in Pokrowsk herunterfuhr, denn er sah im Geiste schon die schönen Silberrubel, die ihm als Reingewinn übrigbleiben würden; der Blättertabak war auf der Wiesenseite billig zu kaufen, da dort am Karaman viel gebaut wurde, dagegen auf der Bergseite recht wenig, weshalb der Tabak hier auch immer gut im Preise stand.


Beiträge zur Heimatkunde des deutschen Wolgagebiets. – Pokrowsk, 1923. – S. 80-82.


Eines schönen Tages hatte er wieder mal mit schwer beladenem Wagen voll Tabak das rechte Wolgaufer erreicht und war auf der Landstraße schon eine schöne Strecke von Saratow fortgefahren, als er unerwartet auf dem Einkehrhof "Die rote Mädercher" von einem Polizisten ange­halten und von diesem gezwungen worden war, nach Saratow zurückzu­kehren und dort bei der Polizeiverwaltung vorzufahren; er war auch "zu dumm" gewesen, denn anstatt dem Polizeimann einige "Babuschke" an­zubieten, hatte er ihn zum Teufel geschickt, als dieser ihn darum an­ging, ihm zu "prowiere" zu geben. In der Polizeiverwaltung wurde ein Protokoll aufgenommen; er aber gegen eine Kaution bis zum Gericht freigelassen.

Ganz niedergeschlagen kam er nach Hause. Die Nachbarn fragten ihn, warum er denn keinen Tabak gebracht habe und gegen seine Gewohn­heit so niedergeschlagen sei?

Der Vetter Gottlieb machte dann ein trotziges Gesicht und meinte: "Die Gewitter hun mir mein Duwak abgenomme, so schener deitscher Duwak, un wollte mich eischmeiße, awer ich hun mich losgemacht. Des loß ich awer net so driegeha, ich such mei Recht, un wanns bis vorn Kaiser geht". "No Gottlieb, du werscht doch net weiterklage, denn des helft doch nix, bei onserem Gericht ziegt onserans jo doch immer dr Kerzra", widerredete der Nachbar Fritz.

"Des will ich seha, ich bin net unnötig in dr Welt romkomma und loß mich net so leicht eisperra. Ich hun schon anra Vögl geseha, wie die in Saratow sei".

"No geh nor, Nochber, du host wohl schon 'n Stanowoj g'seha".

"Was, 'n Stanowoj, den Guwanier hun ich geseha, ja was Guwanier, Mini­ster hun mit mir aa Schnäpsja getrunka". Als er merkte, daß der Fritz Maul und Nas aufsperrte, geriet er in Eifer und fuhr in einem Atemzug fort: "Dr Kaiser und der hot mr die Zeit gbotta un mit 'm Kop genuckt, soviel als wie: 'Strasti Gum"'. Die solla mr nor a wink zu noh komma, dene will ich schon weise, was es haaßt mit'm Vetter Gottlieb 'n Struwel zu krieha!".

Und er drohte jemand mit der Faust und spuckte eifriger denn sonst neben dem Pfeifenbiß hervor.

Es vergingen einige Wochen, und unser Vetter Gottlieb wurde vor Ge­richt verlangt. Er hatte sich zu verantworten wegen Handel mit verbote­ner Ware, mit Tabak, der nicht mit Akzise belegt gewesen war.

Er fuhr nach Saratow. Es vergingen Tage und Wochen, aber der Vetter Gottlieb kam nicht zurück. Man munkelte im Volk, er sei eingesetzt worden und büße seine Strafe im Gefängnis ab, aber "für gewiß" wußte es niemand, wo denn der Vetter Gottlieb ausblieb.

Der Nachbar Fritz machte sich Sorgen um den Gottlieb, konnte aber auch von den Familienangehörigen desselben nichts vernehmen.

Die Heuernte ging vorüber und der Roggen fing an, gelb zu werden. Man wetzte die Sensen und besserte die "Reffer" aus, denn bald gings in die Ernte. Da geschah es eines Sonntagabends, als der Nachbar Fritz sich einmal wieder erkundigen wollte, daß er zu seiner großen Freude den Vetter Gottlieb selbst vor sich stehen sah. Er traute anfangs seinen Augen kaum und meinte, eine Erscheinung zu sehen und hätte bald an­statt "Gutn Owed" "Was ist Ihr Begehr?" gesagt.

Beide schüttelten sich herzhaft die Hand und ließen sich auf der Tor­bank nieder. Eben traten auch die Wäs Margret und der Handaniel, der Büttel des Kolonieamtes, hinzu. Beide waren nicht weniger neugierig, etwas über den Verbleib des Vetters Gottlieb zu erfahren.

"No, verzähl amol, wie gong dersch dann verin Gericht un wu warschtde denn so lang?". "Ja, wie gong mirsch dann? Die Jesuwitter hun mr mei Duwak abgenomma, hatta mein 'Salok' behalla un wollta mich zuguterletscht aach noch eisetza. Ich hun na awer sonst was gtu un saat: Wart, ihr Heiligdunnerwetter, ich will eich weit genunk bringa", hun mei Bräunche eigespannt un bin strak nach Petersborg gefahre".

"No mach kaa Sacha, noch Peterschborg?", riefen alle drei Zuhörer wie aus einem Munde. Und der Nachbar Fritz fügte hinzu: "Des is jo mörder­lich weit, do mußt du jo dein Gaul totgefahre hun?".

"Na ja, so noh, wie von Jost bis noch Laub is 's net, awer an der Welt En is 's aach net: korzum en paar Tag war ich in Peterschborg".

"No zu wem host dich dann in Peterschborg gewendet, do host du doch gewiß kaa Mensch un kaa Seel gekennt", meinte die Wes Margret. "Wie­so dann? Ich bin dr doch mit m Kaiser un seina Leit gleichwoll ewa so gut bekannt, wie mit jedermann vun euch".

Die drei schauten sprachlos vor Staunen und richteten ihre Blicke aber­mals auf den Erzähler.

Derselbe fuhr fort, anscheinend im höchsten Grade zufrieden mit der Wirkung seiner Mitteilung: "Wie ich in die Stadt kom, hun ich a alti Fraa uf die Gaß gefrogt: 'Wohnt dann der Kaiser immer noch uf 'm alta Platz?'. 'Jo', hot sie gsat, 'fahrt nor straks des Kreizgäßche do nuf, dort in dr Kerchastroß hot r sei Haus, ihr werds schon seha, so hot an neu agstricha blo Tor'.

Ich sa't: 'Spassiwa' un bin zugefahre. Un richtig, do kom aach schun s bloa Tor raus. Ich schlag uf mei Bräucha los und ropp zopp! war ich dort: 'Prr', hun ich grufa, bin runnergestiega, hun die Lein festgebunna un wollt zum Terche neigehe. Do gings Tercha uf un aa klaa Bübcha von Johra 8 guckt raus. Wie des mich geseha hot, hots übersch ganz Gesicht g'lacht un g'krischa: 'Ach herrje, dr Vetter Gottlieb ist gekomma!". 'Ija', kon ich g'sat, ija mei Knecht, des bin ich, dr Vetter Gottlieb. Komm nor mol her un geb mr aa Patschhand. Ropp Zopp war ach des klaa Kerlja haus un hot mr aa Patschhand gewa, daß 's nor so gschalt hot, dann hot mersch sei Schnutcha hiegestreckt zum Kuß. Ich hun mich gebickt, hun m mit m Pelzzippa die Rotznas g'putzt un hun m n Schmatz gewa, des is dr eich mol aa leitselig Kerlja, dem Kaiser sei Bübcha, des glaabt ihr gar net".

"Jetzt seht nor mol aa Mensch oh!", meinte die Wes Margret.

'"Is dei Papa dann drhaam?', hun ichs gfragt. 'A kommt nor rei, er is allaweil von dr Duma komma, un will zu Mittag essa', hots gmannt un bis ich mich umgguckt heb, warsch fort. Des war eich noch net so lang, wie ich's eich do verzähl, un do war dr Kaiser selbst do: 'Gut Morget, Vetter Gottlieb, was macht ehr dann so lang do uf dr Gaß? Hortig s'Tor uf un rei, daß s'Mittagessa net kalt werd'. 'Hangstoff', hotr in Hof neigrufa, 'mach mol scharf s'Tor uf, dann dr Vetter Gottlieb is komma"'.

"Do hot dr Knecht wol werklich strakweg Hangstoff gehaaßa, wie unser Kälverhert?", fragte etwas ungläubig der Büttel.

"No, warum solltr dann net Hangstoff haaßa? Des is dr graad n'ganz passender Name vor an Knecht! Korzum des war eich ropp-zopp, uns Tor flog uf un ich bin neigfahra. 'Eidu, eidu', hat dr Hangstoff gmaant, was werd sich awer unser Wäs fraha, wann sie hört, daß dr Vetter Gottlieb do is!'. Ich wollt s'Tor zumacha, awer des hot dr Kaiser net zug'lossa. 'Na, na, des tut dr Hanstoff, loßt nor aach eier Bräucha steha, dr Knecht werd schon ausspanna un ach fors Heu un dr Hawer sorga. Kommt nor rei in die Backhausstub!'".

"Wie, aach a Backhaus war dort in Peterschborg?", fragte die Wes Mar­gret.

"Jano, wu hätta sie dann im Sommer sei solla, wenn net in dr Backhaus­stub? Korzum, ropp-zopp, hot r mich am Pelzärmel gkriet un hinner sich her noch m Backhaus hiegzoga. Ich hun m eigredt: 'No, Vetter Kaiser, reißt mer nor net dr Ärmel raus, ich wer schon komma, dann wann s ans Essa geht, loß ich mer kaan Ärmel rausreißa'. In der Zeit war awer der klaana Kujon zu seinra Mama ins Backhaus gloffa. Des war eich noch net so lang, wie mer 'Amen' sagt un die Kaisern kom uf die Backhaus­treppe raus im ma bloa Scherz un rufgesteckta Rock, daß dr Unnerrock rausgeguckt hot: 'Barmherziger un gerechter Vatter, des is euch so werk­lich dr Vetter Gottlieb, aach Willkomm!', hot sie gemaant un hot die Hand higstreckt. Ich saat, 'aach Willkomm, Wes Kaiserin, seid ihr noch schee gesund?'. 'Ija', hot sie g'saat, 'wie dr seht'. 'No ja', saat ich, 'dr Farb noch täts glaab an dr Gesundheit net fehla!'. 'No dr Vetter Gott­lieb macht awer immer noch die Spaß so wie frühr, ich bin nor so rot im G'sicht von dr Hitz, dann ich back grad Pannakucha:'"

"Was, Pannakucha? Machs nor orndlich, Nachbar", redete der Vetter Fritz ein, "die tät wol aach Pannakucha backa?"

"Aber warom dann net? Essa tut sie jederaaner gern, warom soll sie dann net aach backa? Korzum, ropp-zopp wara mer die Trepp drowa un im Backhaus drin. Do war n langa Tisch mit'r Bank hina und vorna un uf m'Tisch stond aa tüchtige Schissel voll Pannakucha und a ganzer Kump voll Gummersalat. äääch!", er machte eine Pause, als ob er sich in einer glücklichen Erinnerung wiege.

"Jetzt guckt amol: Pannakucha un Gummersalat", wiegte die Wes Mar­gret das Haupt, "a des is aich meiner Seel, kaa schlecht Ge'eß?".

'"Des will ich maana, Pannakucha un Gummersalat - des is mei Lewa', saat net unnötig unser alter Schulmaaster. Ich hun mich aach net zwaamal netiga lossa, un ropp-zopp wara mer am Tisch un hun uns hinter s'Essa gmacht, do sin die Pannakucha nor so g'grutscht: vom Teller ins Maul un nunner, dann merb wara sie, die Gvatterkucha. Wie mr fertig Essa wara, awer dr Kaiser saat: 'Jetzt wolla mer mol a Mittagsschläfcha macha!". Ich awer saat: 'Naa, dann ich hun große Eil, die Ern steht vor dr Tür'. 'Ei no saatr, verzähl amol, was hätt ihr dann uf'm Herz?'.

Ich hun m alles korz un klar runnergmacht, wie mr die Spitzbuwa alles weggenommen hun un mich noch eisetza wollta. Wie dr Kaiser des ge­hört hat, is'r ufgsprunga, vor Zorn so rot wora, wie n'Gickl un hot uf dr Tisch geschlaga, daß die Teller nor so gerappelt hon: 'Do maant mehr net, daß s'Land besteha kennt, wu so a Ungerechtigkeit ringeniert? Kommt mol, Vetter Gottlieb, uf dr bara Stell in Senat: Ich will mol seha, ob ich dena net n'Knop in ihra Tschakta bring'. Uf dr Stell sein mr ufgestanna un scharf gongs aus m Backhaus raus in n'Senat nei, un ropp-zopp wara mr dort".

"Wu? Im Senat?", fragte wieder zweifelnd der Nachbar.

"Was is denn do so wunnerliches drbei? Alla Gerichtssacha komma doch in Senat; korzum mr komma in Senat. Wie mr do neikomma, hun drei­ßig Schreiwer amma langa Tisch g'sotza un hun geschriewa, daß s nor so grauscht hot. Wie sie uns geseha hun, sin sie ufgesprunga un hun do g'stanna, strak, wie Lichter. Dr Kaiser war weiß wie'n Toter vor Zorn: 'Wu tut ihr dann am Vetter Gottlieb sei Proschenje leiha lassa, ihr Milliondunnerwetter! Uf dr bara Stell macht r die Sacha fertig, sonscht soll eich dr Teiwel hola!'. Hei, gongs do drunner und driwer, alle Schränk und Tischlada sin romgewuhlt wora, bis mei Proschenje ans Tageslicht kom. 'Daß die Sach in zwaa Minuta fertig ist!', hot dr Kaiser g'krischa. Hei, flogen die Federn üwers Papier, daß sie feierritzarot worra sin - und ropp-zopp wara sie fertig".

"Des gong awer scharf", meinte der Büttel etwas spöttisch.

"No, do werd aach net so g'schafft, wie bei eich im Kolonieamt; korzum ich hat mei Entscheidung in dr Hand un hun geeilt, daß ich nauskom, dr Kaiser wollt mich üwer Nacht behalla, awer ich huns net gtu, dann warom? Die Ern war vor dr Tür, haamkoma, s'Bräucha eispanna, adjes saga un drvofahra war in aam Odemzug. 'Grüßt mr eier Fraa', hot mr dr Kaiser noch nochg'knscha. 'Grüßt mr noch amol eier Alti', hun ich zurückg'rufa, hun uf mei Bräucha g'schlaga und fort gongs, was gista, was hosta, un ropp-zopp war ich drhaam un kam grad noch recht zu dr Ern".

Eine lange Pause trat ein.

"Ja", raffte sich endlich der Nachbar Fritz auf, "wann mr dir so mitzu­horcht, gong des alles so scharf ropp-zopp un doch warscht üwern Monat fort".

"Ja, ich muß awer neigeh, mei Alti werd schon bald zwatzlig mit'm Nachtessa! Adje!". Der Vetter Gottlieb ging hinein.

Alle Anwesenden standen ebenfalls auf. Der Büttel wiegte mehrmals das Haupt. Nach einer kleinen Pause sprach er: "Ich maan, alleweil hätt der Vetter Gottlieb uns awer aans vorgeflunkert. Dr Wolf verliert ewa die Woll, awer die Nuppa net".

Die Wes Margret guckte ihn etwas verwundert an und fragte: "Du glaabst wohl, dr Gottlieb hätt die ganze Zeit im Ostrog gesotza und weiter nix?"

"Du glaabst wohl annersch?"

"Eieieil Hmhmhm!"


Beiträge zur Heimatkunde des deutschen Wolgagebiets. – Pokrowsk, 1923.