Geschichte der Wolgadeutschen

ERZÄHLUNGEN WOLGADEUTSCHER
SOWJETSCHRIFTSTELLER


ÖLBERG

DIE HAUSFRAU

Es war gegen Abend. Der Krutsche Gum saß vor seinem Tor und rauchte recht gemütlich. Seine Frau kochte Abendessen und besorgte Futter für die Kühe. Als der Kuhtrog mit feiner Spreu und zerschnittenen Kartoffeln gefüllt war und das Nachtessen, eine „Milchriwwelsuppe“, auf dem Tische dampfte, rief sie: „Kinder, ruft euren Date zum Essen!“

„Hast du auch für den Gottfried mitgekocht? Dotteis Gottfried, er ist zu Gast gekommen“, meldete der Hausvater.

„Es reicht für alle“, erwiderte Mrikstine, seine Frau, putzte ihre Hand an der Schürze ab und streckte sie dem Gast entgegen: „Willkommen auch“.

Alle setzten sich an den Tisch und griffen tüchtig zu. Das Gespräch wurde so zwischen den Brocken über die vordersten Zähne geführt, die hintersten, die Backenzähne waren zu stark beschäftigt.

Muh, kam eine Kuh in den Hof gebrüllt.

Mrikstine legte schnell den Löffel hin und ging hinaus, um die Kuh in den Stall zu lassen. Da kam die zweite angebrüllt, stieß einen Ständer um, überrumpelte ein Kind, das im Hofe stand, und rannte mit dem Tor in den Stall.

„Guck“, brummte Krutsche Gum und kaute weiter.

Die Mannsleute löffelten noch die feinsten Riwwel aus der Schüssel, legten die Löffel hin und rauchten.

Mrikstine kam, seihte die frische Milch in schwarze irdene Tapfe und stellte diese in den Keller in einer Reihe. Dann wusch sie Teller und Löffel und stellte alles auf das Schüsselbrett. Zuletzt badete sie auch das kleinste Kind und legte es in die Wiege.

Die Mannsleute rauchten, bis Mrikstine das Tor verriegelt hatte und zu Bette nötigte. Dann gingen sie in die Stube.

Auf der Schwelle blieb Dutje stehen — etwas hatte ihm die Kehle zugeschnürrt. Es kratzte in der Brust und kitzelte in der Nase.

Dutje wollte die gute Hausfrau nicht beleidigen und sagte nicht, daß es stinkt, sondern suchte eine Papiros anzurauchen. Doch das Hölzchen wollte nicht brennen.

„Hier“, sagte Krutsche Gum, der seine Papiros, die einer Schlittenstange glich, schon in Brand gesetzt hatte: „Rauch hier an. Wenn man hereinkommt, riecht’s nicht gut. aber bis man eine Papiros geraucht hat, ist alles vorbei“.

„Macht doch das Fenster auf“, lamentierte Dutje.

„Man kann nicht wegen den Spitzbuben“, rechtfertigte sich die Frau: „und tags sind die Fliegen so schlimm“.

Dutje schnappte noch lange, bis sich endlich seine Lungen an die Luft gewöhnt hatten, dann legte er sich ins Bett.

Mann und Frau sprachen noch eine Weile mit gedämpfter Stimme unter der Decke, sie stellten für morgen einen Arbeitsplan auf, dann wurde alles still. Nur ein gleichmäßiges Schnarchen tönte durch die Stube.

Dutje lag im Bett und konnte nicht einschlafen. Er hatte Schmerzen im Kopf, seine Brust war wie eingeklemmt, sein Körper bleischwer. Er hatte Schlaf, konnte aber nicht einschlafen. Da knallte eine Peitsche durch die Nacht. Mrikstine sprang auf und ging hinaus. Dutje hörte wieder das taktmäßige Surren der Milchstrahlen im Melkeimer und dann großen Rumor: die Kühe wurden aus dem Hof geprügelt. Danach rauschte ein kratziger Besen, bis Hof und Straße rein waren. Endlich rief die Frau: „Willst wohl gar nicht aufstehen? Es ist alles fertig zum Fahren“.

„Hast du auch den Gaul schon gefüttert?“ fragte Krutsche Gum seinerseits und gähnte laut unter der Decke hervor.

„Ja, ja! Steh nur auf!“

„Du! Gib mir doch meine Hose“, bat der Mann.

Die gewünschte Hose wurde von der Frau dargereicht: „Was machen wir mit dem Gottfried? Die Stadtleute sind doch nicht gewohnt, frühe aufstehen“, meinte die Frau halblaut.

„Er will mitfahren und ich werde ihn wecken“, erwiderte Gum; „gib mir mal meinen Tabak, ehe du weggehst“.

„Mach nur nicht so lange“, bat Mrikstine und reichte ihrem Mann den Tabaksack.

„No-no. Du, hörst du?!“ rief Gum seiner Frau nach: „Du! Alt! Bring mir doch meine Hölzchen.“

Die Frau kam wieder zum Vorschein: „Du, und mach, daß du aus dem Bett kommst.“

„Du, ich finde ja mein Rauchpapier nicht. Guck, doch mal, ob du es nicht findest.“

„Hast du jetzt alles?“ fragte Mrikstine und verschwand wieder.

Krutsche Gum saß im Bett und machte sich gemütlich ans Rauchen. Dutje war ganz ruhig und wartete, bis er gerufen wurde.

„Du!“ rief Gum wieder; „hörst du? Alte! Wo ist denn mein Mundstück?“

„Guck’ doch auf dem Ofen, dort hart du es ja immer liegen“, antwortete Mrikstine vom Hofe.

„No nicht doch. Ich hab ja schon geguckt. Such doch mal, vielleicht findest du es“, bettelte Gum.

„Da“, sagte Mrikstine ärgerlich und reichte das Mundstück hin; „jetzt mach, daß du aus dem Bette kommst.“

„Ja. aber wo sind meine Strümpfe?“ fragte der Mann treuherzig.

„Du, liebe Zeit noch einmal“, wetterte die Frau; „du bist über ein Kleines, mach, daß wir an die Arbeit kommen, die Sonne steht schön hoch“, und Mrikstine verschwand wieder.

„Du! Alte! Na spring doch nicht immer fort. Du! Wo ist denn mein Kopf?“

„Guck doch am Bettstollen! Gewitter noch einmal...“

Krutsche Gum rief nicht mehr. Er krächzte noch lange, bis alle Kleidungsstücke an seinem Körper hingen. Dann weckte er den Gottfried.

„Junge, ich denke du wolltest mitfahren? Ha-ha-ha-ha! Wenn unsere Mutter nicht immer mit der Tür klappen tat, würde ich auch noch schlafen. Ha-a-ja. Aber die läßt mir keine Ruhe. Auf und bolsche nitschewo![1] Ha-ha-a-ja. Gottfried, willst du aufstehen?“

Dutje war bald angekleidet und dampfte hinaus wie ein Naphthamotor. Krutsche Gum ihm nach.

Auf dem Tische dampfte wohlriechender Süßholztee und nebenan lagen dünne mit Käsmatte bestrichene Brotschnitten. Die Männer ließen sich’s vortrefflich schmecken.

Schüssel und Löffel waren bald wieder auf ihrem Platze auf dem Schüsselbrett. Die großen Kinder wurden mit Brot versorgt und recht eindringlich belehrt, was sie in Abwesenheit der Eltern zu tun und zu lassen hätten. Das Kleinste wurde in einem Korb auf den Wagen gebracht und mit einem Gumminutschel versorgt.

Die Männer saßen am Tisch und rauchten.

„Geh, Alte, hol den Gaul heraus, damit wir schneller fortkommen“, meinte Krutsche Gum, der mit einer brennenden Papiros nie in den Stall gegangen wäre.

Als die Männer ausgeraucht und die Mundstücke durchgeblasen hatten gingen sie hinaus. Es war alles fertig, nur noch die Leine anzumachen.

„Wo mag dann die Leine wieder stecken“, rief Gum recht ärgerlich.

„Ja, wo?“ erwiderte die Frau und brachte die Leine.

„Mach sie nur an, Alte, ich will noch einmal anrauchen. Mach auch das Tor auf“, sprach Gum, wickelte noch eine Papiros und setzte sich auf den Wagen.

Die Männer saßen vorne, die Frau mit dem Kinderkorb hinten im Wagen. Sie fuhren in die Wiesen Gras mähen. Dort angekommen, verspürte Krutsche Gum große Rauchlust. Die Männer wickelten jeder eine Papiros, die Frau brachte das Kind in den Schatten. Der Gaul tobte wie besessen: die Hornisse suchten Blut.

„Alte, mach doch, daß der Gaul aus dem Wagen kommt, sonst zerreißt er noch das Geschirr“, rief Gum und arbeitete an seiner Papiros weiter.

Dann machte er die Sensen zurecht: „Guck’ nur da, die eine Sense hat eine Scharte. Na mäh nur als, ich werde diese zurechtmachen.“

Mrikstine spuckte in die Hände und haute einen breiten Schwaden, Dutje versuchte nachzukommen. Krutsche Gum aber saß im Schatten auf der Dengelbank und dengelte die Sense.—

(„Nachrichten“, 1923, Nr. 4)


[1] Weiter nichts.


Erzählungen wolgadeutscher Sowjetschriftsteller. / Hrsg. von J. Sinner.
1. Sammelband. 1917-1929. – Engels: Deutscher Staatsverlag, 1933, S. 97-100.