Geschichte der Wolgadeutschen

ERZÄHLUNGEN WOLGADEUTSCHER
SOWJETSCHRIFTSTELLER


ORION

GOLD

Und die Gnade Gottes ruhte auf dem ebenen Felde an der Soljanka, daher nannten die Leute das Dorf Gnadenfeld. Damit die Gänse, Enten und sonstiges Geziefer sich erfrischen könnten, machten die Gnadenfelder einen Damm mitten im Dorf — von Mist.

Nach den Niederschlägen staute sich hier das Wasser und alles Geziefer samt den Schweinen fand hier sein bestes Vergnügen. Das Geziefer wühlte alles durcheinander: Erde, Mist und anderes, und es gab einen Morast. Moor ist der Alltagsname von Gnadenfeld.

Nach diesem Moor kam P. gezogen und baute neben dem Morast zwischen all dem Geziefer und den Schweinen ein Bude.

Der Handel ging flott und P. wurde ein steinreicher Mann.

Trübe Zeiten konnten wohl an dem Manne nicht vorübergehen; aber er selbst mit seinem steinernen Haus, seiner Mühle und allem, was sein ist, ist wohl erhalten. In der Wahlversammlung wurde P. zum Vorsitzenden des Armenkomitees vorgeschlagen.

Der M. wollte es seinerzeit dem P. nachmachen und probierte auch den Handel in Moor. Übung machte aus ihm einen Meister, und er wurde in späteren Zeiten Vorsitzender der landwirtschaftlichen Genossenschaft „Erzeuger“ und handelte mit Getreidewein, in ländlicher Sprache Schnaps genannt. M. ist ein Mann der mit der Zeit schreitet und auf keinem Gebiete nachhinkt. Als die Losung gegeben wurde: Die Ware näher zum Konsumenten, wurde die Schnapsabteilung von Moor nach Djakowka verlegt. M. zog bald nach und übergab seinen Stuhl in Moor dem S.

So wurden der Vorsitzende und die Genossenschaft getrennt und zur eigentlichen Aufgabe überführt: in Djakowka handelt M. und in Moor die neugegründete Konsumgesellschaft. Bei solcher Umgestaltung wollte S. auch nicht lange bleiben und er öffnete einen eigenen Laden, ganz dicht neben dem Konsum.

Aber was ich eigentlich erzählen wollte das war vom „Erzeuger“, der den Konsum, den krassny Kupetz M. und den krassny Torgewez S. geboren hat. Dieser stand nun da, so arm wie eine Kirchenmaus und wartete, was weiter kommen wird. Es kam nichts mehr „Ist nichts mehr drin, im „Erzeuger“ oder braucht Moor keine Gebührter mehr?“ so wurde die Frage beim Buchführer Kl. gestellt.

Eines schönen Tages führ der Vorsitzende nach Saratow um Ware zu kaufen. Seltsame Ware. Gold. Einen ganzen Sack voll. Mit einem Schlage sollten M., S., der Konsum, ja die ganze Welt übertroffen werden. Sämtliche Kapitalien des „Erzeugers“ waren mobilisiert um pures Gold nach Moor zu bringen, um den Moorern im Jahre 1926 ein Christkindchen zu bringen, einen Sack voll Gold. Was die Pferde laufen konnten, ging’s von Saratow nach Moor. Vor dem Dorf am Gemeindeambar hielt der Vorsitzende noch einmal an, öffnete den Sack und wühlte mit der Hand im Gold, im funkelnden Gold! Doch wie vom Blitz getroffen, fuhr der Vorsitzende zurück „Ach Herrje, s is Küpper, lauter neue Siwweter!“

Mäuschenstill verkroch sich der Vorsitzende zu Haus hinter dem Ofen... Aber weiter erzähle ich nichts mehr! Schabasch! Sonst komm ich in die Miliz. Der Buchführer Kl. sagte der Gemeinde, als diese von Vorsitzenden das weitere wissen wollte, daß, ohne Erlaubnis der Miliz keine Gemeindeversammlung stattfinden und keine Amtspersonen angegriffen werden dürfen.

Ich schweig lieber still.

Und still liegt Gnadenfeld auf ebener Steppe an der Soljanka. Eine Mistbrücke staut das Wasser. Die Schweine waten drin rum und zerwühlen alles. Man sieht sie nicht diese Schweine; nur ihr Grunzen läßt erraten wo sie liegen. Und einen großen Gestank verbreitet dieser Morast über ganz Moor.

(„Nachrichten“, Nr. 30 vom 8. Februar 1927)


Erzählungen wolgadeutscher Sowjetschriftsteller. / Hrsg. von J. Sinner.
1. Sammelband. 1917-1929. – Engels: Deutscher Staatsverlag, 1933, S. 91-92.