Geschichte der Wolgadeutschen
UNSERE WIRTSCHAFT
Illustrierte Halbmonatsschrift
1923 № 19-20

Unser Kampf an den Kriegsfronten
Von H. Fuchs.

Wenn wir das Gesamtergebnis der Arbeit unseres Gebiets im Laufe der ersten 5 Jahre seines Bestehens summieren, ist es auch notwendig, ein wenig bei der Teilnahme unseres Gebiets an dem unmittelbaren Kampf um die Wahrung der Errungenschaften der Oktoberrevolution zu verweilen. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, daß die Teilnahme an diesem Kamps nicht bedeutend gewesen sei infolge einer ganzen Reihe von Ursachen, von denen als die größte die unbedeutende Zahl der Bevölkerung erscheint. In Wirklichkeit hat jedoch unser Gebiet in diesem Kampf ehrlich seine Pflicht vor der Revolution erfüllt und dabei bewiesen, daß man bei einer richtigen Organisation auch mit geringen Kräften viel leisten kann.

Noch vor der Bildung unseres Gebiets kämpften einzelne kleine Truppenteile von deutschen Kolonisten als Freiwillige erfolgreich an verschiedenen Fronten gegen die Weißgardisten. Von dem Moment der Bildung des Gebiets tauchte die Frage auf, größere Truppenteile zu formieren, die eine bedeutendere Rolle spielen könnten. Man schritt zur regelrechten Organisation einer nationalen Roten Armee. Das Geb.-Vollz.-Komitee beschloß, ein Infanterie-Regiment zu bilden. Am 25. Oktober 1918 trifft ein Telegramm des Genossen Trotzky ein, der darin die Erlaubnis erteilte, das 1. Katharinenstädter kommunistische deutsche Regiment zu bilden. In der kürzesten Frist war die Mobilisation des Kommandobestandes und der Rotarmisten durchgeführt. Die Versorgung des Regiments geschah außer der Reihenfolge, und schon am 10. Dezember war das Regiment zum Antritt an die Front bereit. Der Bildung dieses Regiments wurde eine ausschließliche Bedeutung beigemessen. Es sollte an dem Marsch nach der Ukraine teilnehmen, die dazumal von deutschen Truppen besetzt war. Moskau beobachtete die Bildung des Regiments genau. Am 15. Dezember erhielt es den Befehl auszurücken und trat, etwa 2000 Bajonette stark, seinen Marsch an die Ukrainische Front an. Die Bewaffnung, Ausstattung mit Munition und die Bekleidung ließen nichts zu wünschen übrig. Bald erhielt das Regiment seine erste Feuertaufe die es mit Ehren bestand. Es mußte ausschließlich gegen die Weißgardistischen Offiziersregimenter kämpfen. Die Verluste waren bedeutend; doch gaben die regulären Verstärkungen die Möglichkeit, auf der Kampflinie durchzuhalten; erst im Juli geht das Regiment auf 3 Wochen in Reserve, wo es von Gen. Trotzky besucht wird. Das Lob des Gen. Trotzky gießt neue Kraft in die ermüdeten Kämpfer. Fortwährend in ununterbrochenen Kämpfen, im Laufe von 32 Tagen 30 Kämpfe aushaltend, abgeschnitten und umringt von Weißgardisten, ging das Regiment in Reserve mit nur noch 700 Bajonetten.

Zur Vorbereitung einer regulären Verstärkung des 1. Katharinenstädter Regiments wird ein Reserve-Bataillon gebildet. Jm Frühling 1919 wird das 2. Balzerer Frei-Willigen-Infanterie-Regiment gebildet. Das Reservebataillon wächst zu einem Reserve-Regiment aus. Gleichzeitig damit wird zur Formierung des 1. Deutschen Kavallerie- Regiments geschritten, das sich nachher zu einer Kavallerie-Brigade entfaltete. Im Januar tritt diese ihren Marsch an die Front an und nimmt im Bestand der Budjonowschen Armee an den Kämpfen teil. Zur Vorbereitung von Verstärkung wird eine Reserve-Kavallerie-Division gebildet. Die fertigen Truppenteile kämpfen aktiv an der Front, während inzwischen im Hinterland in den Reservetruppen Verstärkung herangebildet wird. Wie groß die Not an Verstärkung war, ist daraus ersichtlich, daß das 1. Katharinenstädter Regiment im April allein einen Verlust von 80 Mann Toten, 576 Verwundeten und 70 Leichtverwundeten zählte, abgesehen von den Typhuskranken. Während der ganzen Kriegszeit erlahmte niemals die Kampfestätigkeit unserer Truppenteile wegen Mangels an Verstärkung der Mannschaft und des Pferdebestandes. Das 1. Katharinenstädter Regiment zählte nur einmal bloß 700 Bajonette, aber auch nur einmal.

Mithin hat unser Gebiet 4 aktive Regimenter an die Front geschickt und sie nicht nur mit ausgebildeter Mannschaft, sondern auch mit Pferden, Fuhren und anderen Transportmitteln versehen. Aufmerksam die Bedürfnisse und Nöte seiner Truppenteile beobachtend, für die Familien der Rotarmisten Sorge tragend, leistete unser Gebiet das Höchste in allem, was es leisten konnte, im Kampfe um die Wahrung der Errungenschaften der Oktoberrevolution.

Hoffen wir, daß in Zukunft, wenn sich jemand vermessen sollte, unsere friedliche Arbeit am wirtschaftlichen Aufbau zu stören, unser Gebiet mit noch größerem Erfolg beweisen wird, wie teuer uns unsere Errungenschaften sind und wie gefährlich es ist, das Werktätige Volk zu verhindern, sein neues Leben aufzubauen.

Seien wir stets bereit in dem Gedanken, daß es noch viele gibt, die unsere Feinde sind!


Unsere Wirtschaft, 1923, Nr. 19-20, S. 598-599.