Geschichte der Wolgadeutschen
UNSERE WIRTSCHAFT
Illustrierte Halbmonatsschrift
1923 № 19-20

Zur Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Sowjetmacht
im Gebiet der Wolgadeutschen

(К истории возникновения и развития советской власти в Обл. Нем. Поволжья.)
Aus den Erinnerungen des Gen. W. Sandberg.

Anfang 1918 bildet sich aus dem Saratower Verbände der deutschen Sozialisten-Internationalisten eine Gruppe, die für die Organisation einer Selbstverwaltung der deutschen Wolgakolonisten Interesse hegt. Diese Gruppe tritt in Verbindung mit dem Zentrum, und im Monat April werden aus Moskau 2 Parteigenossen, Ernst Reuter und Karl Petin, abgeordnet, um zusammen mit dem hiesigen Organisationsausschuß an die Organisation der erwähnten Selbstverwaltung zu schreiten. Somit bildet sich das Kommissariat für deutsche Angelegenheiten im Wolgagebiet im Bestand der Gen. Reuter, Petin, Alex. Mohr, Ad. Emich und Gustav Klinger, das sich folgende Aufgaben stellt:

A. Mohr, vormals mehrjähriger Vorsitzender des Gebietsvollzugskomitees.


1. durch mündliche und schriftliche Agitation und Propaganda die Ideen der Oktoberrevolution unter den arbeitenden Massen der deutschen Kolonisten zu verbreiten, diejenigen Elemente zu stärken, auf die sich die Sowjetmacht in den Kolonien zuverlässig stützen kann,

2. in organisatorischer Beziehung — durch gemeinsame Arbeit mit allen sozialistischen, auf dem Boden der Sowjetmacht stehenden Elementen, an der Einrichtung einer der arbeitenden Bevölkerung zugänglichen Selbstverwaltung auf der Grundläge der Sowjetmacht zu arbeiten, um auf diese Weise die Ideen der Oktoberrevolution um so tiefer in den Kolonien befestigen zu können.

3. bei der Organisation der deutschen Kolonien und der Agitation unter ihnen in möglichst enger Verbindung mit den russischen Soweten zu arbeiten, namentlich durch Eingreifen bei eventuellen Konflikten und Mißverständnissen, um jeder chauvinistisch-nationalistischen Agitation unter den Kolonisten den Boden zu entziehen.

An die Erfüllung dieser Aufgaben ging das Kommissariat sofort mit dem Tage seines Entstehens. Bereits am 28. April wurde in: Saratower Stadttheater eine große öffentliche Versammlung abgehalten, die die Idee der Organisation der deutschen Kolonien auf der Grundlage der Sowjetmacht propagandierte und Mitteilung über die in Moskau gepflogenen Verhandlungen machte. Ein Versuch der deutschen Bourgeoisie, die Versammlung zu sprengen, führte zu keinem Ergebnis und hatte nur den Vorteil, daß eine unbedingte Klärung der Sachlage eintrat.

Am 7. und 8. Mai fand in Saratow eine auf Veranlassung des Kommissariats einberufene Konferenz von über 40 Vertretern der Kolonien statt, die sich mit den Vorbereitungen zur Organisation der inneren Verwaltung der deutschen Kolonien beschäftigte. Die Vorschläge des Kommissariats, die aus eine streng sozialistische Organisation im Sinne der Sowjetmacht hinwiesen, wurden mit überwältigender Stimmenmehrheit gutgeheißen.

Ad. Reichert,
alter Partei- und Sowjetarbeiter des Gebiets.


Bei dieser Beratung waren einige Mitglieder des früheren auf demokratisch-bürgerlicher Grundlage aufgebauten sogenannten Zentralrates anwesend, die sich dann der aktiven Beteiligung an den Arbeiten enthielten und seitdem die Organisation einer deutschen Selbstverwaltung in den Kolonien auf das entschiedenste bekämpften.

Unmittelbar danach begann das Kommissariat die Agitation in den Kolonien durch Ausgestaltung der bisher vom Sozialistenverband herausgegebenen Zeitung „Vorwärts“, die seit Beginn des Monats Juni als Organ des Kommissariats unter dem veränderten Titel „Nachrichten“ und in vergrößertem Format erscheint.

Am 29. Mai werden vom Volkskommissariat für innere Angelegenheiten und vom Volkskommissariat für nationale Angelegenheiten die Statuten des Kommissariats für deutsche Angelegenheiten im Wolgagebiet erlassen.

Auf Grund dieser Statuten verbindet sich das Kommissariat mit den russischen Soweten, und, im Gegensatz zu den Soweten von Kamyschin, Nikolajewsk und Nowousensk, stellen sich dem Kommissariate außerordentliche Schwierigkeiten durch das vollkommen verständnislose Verhalten des Saratower Sowjets entgegen.

Vom ersten Tage an wurde die Arbeit des Kommissariats nicht nur nicht gefördert, sondern bis in die geringsten Kleinigkeiten herein gehemmt.

Auch nachdem die Zentralregierung durch die Verfügung vom 29. Mai die Statuten des Kommissariats anerkannt hatte, zeigte sich keinerlei Bereitwilligkeit, mit dem Kommissariat, als dem Organ der arbeitenden Massen der deutschen Bevölkerung, zusammen zu arbeiten. Nicht nur werden im Widerspruch zu dem Paragraphen 4 der Statuten alle wichtigen Beschlüsse, die die Kolonien angehen, ohne Wissen des Kommissariats gefaßt, sondern auch sonst wird die Arbeit auf Schritt und Tritt erschwert.

Ungeachtet dieser Schwierigkeiten mit dem Saratower Sowjet wird die Arbeit des Kommissariats auf allen Zweigen fortgesetzt.

Unterdessen wurde auch die Organisation der Ortsräte durchgeführt, und am 30. Juni und 1. Juli 1918 tagt in Saratow der erste Kongreß der Räte der deutschen Wolgakolonien, mit dem die erste Periode der Tätigkeit des Kommissariats für deutsche Angelegenheiten im Wolgagebiet geschlossen wurde.

Der erste Kongreß der Räte der deutschen Wolgakolonien bestand aus mehr als 100 Delegierten. Als Hauptpunkte der Tagesordnung dieses Kongresses werden die Leitsätze für die Organisierung einer Föderation der Arbeiter- und Bauernräte der deutschen Kolonien im Wolgagebiet (sieh oben das diesbezügliche Dekret) verhandelt, angenommen und beschlossen: im Gouvernement Saratow zwei Bezirke mit Balzer und Kamenka als Zentren und im Samaraer Gouvernement ebenfalls zwei Bezirke mit Zentren in Katharinenstadt und Seelmann zu bilden. Zum Schluß wurde ein aus 30 Mitgliedern bestehendes Vollzugskomitee gewählt, das später in den „Kommissarenrat der deutschen Wolgakolonien“ umbenannt wurde.

Das Saratower Kommissariat für deutsche Angelegenheiten im Wolgagebiet hat seit dem ersten Kongreß der deutschen Räte eine ungemeine Erweiterung seiner Arbeit erfahren. Es ist möglich gewesen, für alle Zweige des öffentlichen Lebens Abteilungen zu organisieren. Es arbeiten beständig folgende Abteilungen:

Abteilung für Verwaltung,

„                „   Volksbildungswesen,

„                „   Landwirtschaft,

„                „   Volkswirtschaft,

„                „   Verpflegung,

„                „   Bekämpfung der Konterrevolution,

„                „   Gerichtswesen.

Unter unmittelbarer Leitung des Vorsitzenden, des Gen. Reuter, arbeitete zunächst die Abteilung für Verwaltung, die die allgemeinen Geschäfte des Kommissariats, die Beziehungen zu den anderen Staatsbehörden usw. führte und leitete. Das Hauptaugenmerk war bei aller Arbeit darauf gerichtet, den richtigen organisatorischen Untergrund für die Arbeit in den Kolonien zu schaffen. Unser Ziel war nicht, in Saratow einen großen, schwerfälligen Verwaltungsapparat einzurichten, der jede Kleinigkeit in den Kolonien vom grünen Tisch aus zu erledigen habe, sondern einen Organismus zu schaffen, der befruchtend auf die Kolonien und auf alle Sowjetarbeiter in den Kolonien wirken sollte.

Der Kommissarenrat betrachtete sich als einen Apparat, in dem alle Arbeiten sämtlicher Dorfräte des Gebiets zusammenliefen, und strebte danach, in allen örtlichen Organen seine allseitige Leitung geltend zu machen, um dadurch ein ernstliches Verhalten und Verantwortlichkeit der örtlichen Arbeiter zu ihren Obliegenheiten hervorzurufen.

Auf diesem Standpunkt fußend, nahm der Rat der Kommissare durch die Abteilung für Verwaltung und das Präsidium der Räte an der Organisation und an der Bildung der Räte an Ort und Stelle teil, desgleichen an der Bildung der Bezirksvollzugskomitees in Katharinenstadt, Seelmann und Balzer. Obgleich der 1. Rätekongreß vorgemerkt hatte, das Gebiet in vier Bezirkszentren zu teilen, so wurde doch, indem man die geographische und ökonomische Lage ins Auge faßte, in Kamenka kein Bezirkszentrum gegründet und die ganze Bergseite nur dem Bezirk Balzer allein unterstellt. Es ist selbstverständlich, daß gleichzeitig mit der Organisierung der administrativen Sowjet- macht in den angeführten Ortschaften auch alle andern Zweige der Sowjetwirtschaft organisiert wurden.

Teilnehmer des 2. Gebietsrätekongresses, der in der Stadt Seelmann im Oktober 1918 tagte.


Im Oktober 1818 war das Territorium des Gebiets schon angemerkt und der für dessen Bedienung notwendige Apparat konstruiert. Es blieb bloß noch übrig, die Ausscheidung des Gebiets aus dem Saratower und Samaraer Gouvernement durchzuführen.

Am 20. Oktober 1918 wurde der 2. Gebietsrätekongreß einberufen, der in der Stadt Seelmann tagte.

Gegenstände der Aufmerksamkeit des Kongresses bildeten:

Rechenschaftsbericht des Rates der Volkskommissare,

Thesen der Organisation und der Konstruierung der Sowjetmacht an Ort und Stelle,

die Frage der Bildung von Truppenteilen,

die Verpflegungsfrage und Organisation von Armenkomitees,

Bericht über die künftige Landpolitik,

Bericht über die Aufklärung,

Bericht über Gerichtseinrichtung,

Bericht über die Trennung der Kirche vom Staate und die National- und Emigrationsfrage.

Die Tätigkeit dieses Kongresses hielt bis zum 24. Oktober an und trug einen streng geschäftlichen Charakter. Die Teilnehmer des Kongresses erörterten in gehobener Stimmung alle ihrer Aufmerksamkeit unterbreiteten Fragen. Zum Schlüsse wurde das erste Vollzugskomitee des Rätekongresses der Arbeitskommune des Gebiets der Wolgadeutschen gewählt. Das Gebiet war vom Rate der Volkskommissare am 19. Oktober 1918 durch ein Dekret bestätigt worden. Dieses Dekret wurde aus Moskau von den Vertretern des Gebiets beim Volkskommissariat für nationale Angelegenheiten eingesandt und kam während der Tagung des Kongresses an; es vollendete somit juridisch die Existenz des Gebiets, der ersten autonomen Einheit der R. S. F. S. R.

Zur laufenden Arbeit wurde vom Kongreß das erste Vollzugskomitee in einem Bestände von 25 Mitgliedern und 5 Kandidaten gewählt, denen die erweiterten und verstärkten Abteilungen des Gebiets-Vollzugskomitees zur Verwaltung übergeben wurden. Zur Ergänzung der vom 1. Rätekongreß organisierten Anstalten wurden vom 2. Rätekongreß in der stufenweisen Ordnung die Abteilung für Gesundheitspflege, für Finanzen, für Arbeit und andere gebildet, und zum Jahre 1919 war der administrative und wirtschaftliche Apparat des Gebiets vollständig konstruiert.

Auf Grund der Bestimmung des Rates der Volkskommissare über die deutschen Kolonisten an der Wolga arbeitete in Saratow vom 5. bis zum 8. März 1918 eine gemischte Kommission zur Ausscheidung der deutschen Kolonien an der Wolga. Es wurden dem Gebiet aus dem Bezirk Pugatschew, Gouvernement Samara, 27 Dörfer und Chutore, aus dem Nowousensker Bezirke 77 Dörfer einverleibt und dem Marxstädter Bezirke zugeteilt und ferner aus dem Nowousensker Bezirk 76 mit dem Seelmänner Bezirk vereinigt. Auf der Bergseite wurden aus den Bezirken Kamyschin und Atkarsk des Gouvernements Saratow 60 Dörfer und Chutore dem Balzerer Bezirke des Gebiets zugeteilt. Diese Ausscheidung wurde vom Zentrum bestätigt. Nur die territorialen Grenzen des Gebiets waren Noch nicht pünktlich festgestellt.

Um eine bessere Verbindung des Vollzugs-Komitees mit den Ortschaften herzustellen, übersiedelte das Geb.-Vollz.-Komitee im Monat April aus Saratow nach Katharinenstadt, das später als Gebietszentrum proklamiert wurde.

Im Prozesse seiner Arbeit in der weiteren Befestigung und Entwickelung des Sowjetapparats im Gebiete formiert das Gebietsvollzugskomitee, auf Grund der Bestimmungen des 2. Rätekongresses am Ende des Jahres 1918 bis zum Oktober 1919 zwei Truppenteile: das 1. Katharinenstädter kommun. Regiment und das 2. Balzerer Regiment. Beide Regimenter nahmen an unseren roten Fronten teil.

Der folgende Rätekongreß, der 3., tagte in Katharinenstadt vom 1.‒4. Juni 1919. Der Kongreß interessierte sich über die Tätigkeit aller Anstalten des Geb.-Vollz.-Kom., hörte ihre Berichte an und erteilte diesbezüglich Direktiven, proklamierte die Amnestierung der Desserteure-Rotarmisten und erließ die Bestimmung, Katharinenstadt in Marxstadt umzubenennen, was auch vom Zentrum bestätigt wurde. Der Kongreß wählte ebenfalls ein neues Vollzugskomitee im Bestände von 25 Mitgliedern und 6 Vertreter auf den Allrussischen Rätekongreß.

Laut Konstitution müssen sich die Gebietsrätekongresse alle 6 Monate versammeln. Der folgende 4. Kongreß hätte folglich im Dezember stattfinden müssen. Da aber der Allrussische Rätekongreß schon auf den 3. Dezember bestimmt war und der Bestand, der auf dem 3. Kongreß bestimmt war, sich verändert hatte, so mußte deshalb ein außerordenlicher 4. Kongreß, der Reihenfolge nach gezählt, zusammenberufen werden, der den Bericht über den gegenwärtigen Moment mit anhörte, Delegierte auf den Allr. Rätekongreß wählte und die Frage der Rayonisierung des Gebiets und der Verbindung der Bezirke mit den Ortschaften erörterte.

Ende des Jahres 1919 stellte das Katharinenstädter Bezirksvollzugskomitee die Frage der Wiederherstellung der Kreisapparate auf, während das Gebietsvollzugskomitee anderer Meinung war. Das Gebietsvollzugskomitee bestand auf der weiteren Rayonisierung des Sowjetapparats, doch auf ganz anderen, als auf bisherigen Grundlagen und sprach sich über die Teilung des Gebiets in Rayons aus, die den ökonomischen, kulturellen und administrativen Bedingungen entsprächen. Das Gebietsvollzugskomitee beauftragte die Abteilung für Verwaltung, einen Plan zu einer solchen Einteilung auszuarbeiten und nachdem es den Bericht darüber angehört hatte, beschloß es:

1. Die Organisierung von Kreisen nicht auszuführen.

2. Die Einteilung in Rayons, abhängig von den ökonomischen Bedingungen der Ortschaften, von der Dichtheit der Bevölkerung, von den Mitteln der Verbindung usw., vorzunehmen, um einen besseren Aufbau des Sowjetapparats im Sinne einer kommunistischen Wirtschaft zustande zu bringen.

3. Im Einvernehmen mit den von der Verwaltungsabteilung vorgestellten Vorschlägen, in der die Bevölkerung in den Rayons nicht unter 25000 und nicht über 45000 zählen und der Radius des Territoriums des Rayons nicht 35‒40 Werst übersteigen darf, das Gebiet in 13 Rayons einzuteilen.

Das Projekt einer solchen Einteilung war dem Zentrum noch im Monat Oktober desselben Jahres vorgestellt und dem obenerwähnten Rätekongreß zur Durchsicht vorgelegt worden. Der Kongreß begutachtete es und bestätigte die Konstruktion der Rayonverwaltung. Nach Beendigung des Allr. Rätekongresses wurde vom Gebietsvollzugskomitee, da der 4. Rätekongreß ein außerordentlicher war, der 5. Gebietsrätekongreß einberufen, der vom 15.‒19. Januar 1920 tagte.

In der Ordnung der Rechenschaftsablegung hörte der Kongreß die Berichte des Gebietsvollzugskomitees und seiner Hauptverwaltungen an. Jeder Bericht wurde einer ausführlichen und kritischen Durchsicht unterzogen. Dieser Kongreß ging ebenfalls, wie die vorhergegangenen, einstimmig und geschäftsmäßig vonstatten; er endigte mit der Wahl von 25 Mitgliedern des neuen Vollzugskomitees.

Der neue Bestand des Vollzugskomitees setzt seine Arbeit nach dem schon vorgezeichneten Plane und den Anweisungen des Zentrums fort. Doch infolge der Mangelhaftigkeit des unteren Apparats an Ort und Stelle und der Agitation sowjetfeindlicher Parteien entstanden bei der Ausführung der Verpflegungsraswjerstka unter der Bevölkerung Unruhen, die in Form von Aufständen ausarteten.

Das Gebietsvollzugskomitee bildete im Monat März Gebiets- und Bezirksrevolutionskomitees und ergriff alle Maßnahmen zur Beseitigung der Unruhen und zur Herstellung des normalen Gebietslebens. Das Gebietsrevolutionskomitee existierte nicht lange, und das Gebiet ging von neuem zum friedlichen Leben und zur Aufbauarbeit über.

Der 6. Gebietsrätekongreß tagte vom 20.‒23. Juli, und die Arbeit dieses Kongresses unterschied sich in nichts von solchen der vorhergegangenen Kongresse.

Der 7. Gebietsrätekongreß tagte vom 12.‒14. Dezember 1920.

Anfang des Jahres 1921 begannen in einigen Teilen der Republik Banditen ihr Wesen zu treiben, die sich bemühten, die Autorität der Sowjetmacht zu untergraben und die für die Sowete ohne Kommunisten agitierten. Diese Bewegung nahm ihren Anfang im Dongebiet unter Leitung der Partei der Soz.-Rev. und verbreitete sich in den Gouv. des Südostens. Solche Banden trieben sich auch in den an das Gebiet grenzenden Gouv. Saratow, Samara herum, indem sie immer größere Rayons einnahmen, bis sie auch zuletzt im Monat Januar 1921 in unserem Gebiet erschienen, wo sie sich aber nicht lange aufhielten. Doch nach einiger Zeit erschienen sie wieder und machten sich auch hier an die Ausführung ihrer ruchlosen Arbeit. Es wurden die Verpflegungs- und Inventarniederlagen des Staates verschleppt, die Apparate der Sowjetmacht vernichtet, die verantwortlichen Arbeiter, Parteimitglieder wie auch Parteilose, grausam ermordet, kurzum, die Banden trugen große Desorganisation in das kürzlich erst eingerichtet gewesene Leben des Gebiets.

Eine bedeutende Rolle bei der Liquidierung des Banditismus spielte für die irregeleiteten Bauern der Ausruf des Gebietsvollzugskomitees über die Begnadigung der freiwillig zurückkehrenden und ihre Verbrechen eingestehenden Personen.

Somit verging das Frühjahr im Kampfe gegen die Feinde, so daß die Durchführung einer normalen Frühjahrssaatkampagne nicht möglich war. Für dieses Jahr war ein Plan der Vergrößerung der Saatfläche vorausgesehen, doch infolge der obenangeführten Ursachen wurde dieser Plan zunichte.

Der Sommer brachte große Dürre mit viel Höhenrauch. Die Saaten verbrannten, und die Hoffnung auf eine Ernte war umsonst.

Die Arbeit des Sowjetapparats fing nach dem Banditismus an, ins normale Geleise zu kommen; doch konnte sie nicht erstarken, so groß waren die Folgen des Banditismus und der Dürre. Es entstand die massenhafte Flucht der Bevölkerung, die Verschleuderung des Vermögens. Das Gebietsvollzugskomitee bildete eine Kommission zur Klärung der wirklichen Lage an Ort und Stelle und stellte fest, daß eine Ernte gänzlich abhanden war, daß sich die Bevölkerung schon mit Nahrungssurrogaten, wie mit Gras, verendeten Tieren, Hunden und Katzen, nährte. Das Gebietsvollzugskomitee schlug im Zentrum Alarm. Es wurden Aufrufe an die Bevölkerung erlassen, damit sie die Flucht einstelle, damit sie ihr Inventar den Staatsniederlagen für einen gebührenden Preis übergebe. Es wurde darauf hingewiesen, daß das Zentrum Hilfe erzeigen werde. Doch es half nichts; die Flucht wurde fortgesetzt, wobei auch das für das Gebiet so notwendige Inventar und Vermögen verschleudert wurde.

Vom 7.‒11. Juli 1921 tagte der 8. Gebietsrätekongreß, dem die Verhältnisse berichtet wurden, durch die unter der Bevölkerung Unzufriedenheiten entstanden; desgleichen wurden ihm auch die Verheerungen durch den Banditismus mitgeteilt.

Das neugewählte Vollzugskomitee stellte einen strengen Arbeitsplan aus, der auf eine bestimmte Periode berechnet war, und ging sofort zur Arbeit über. Es trat auch sofort mit dem Zentrum in Verbindung über die Erweisung einer Hilfe der hungernden Bevölkerung und schritt zur Ausnutzung der im Gebiet selbst vorhandenen Fonds.

Ende des Jahres bildete das Gebietsvollzugskomitee die Gebietskommission zur Hilfeleistung für die Hungernden, der es auch alle Arbeiten des Kampfes mit dem Hunger übergab.

Die Rayonisierung des Gebiets, die oben erwähnt war, wurde noch im Februar 1921 vom Zentral-Vollzugskomitee bestätigt, doch infolge der ungünstigen Umstände konnte sie nicht verwirklicht werden. Das neue Vollzugskomitee stellte sich zur Aufgabe, die Rayonisierung durchzuführen, und machte sich eifrig an die Vorbereitung des nötigen Materials. Bei der Arbeit der Wiederherstellung des Sowjetapparats, beim Kampfe mit dem Hunger und bei der Vorbereitung zur Rayonisierung verflog schnell die sechsmonatliche Frist, und es stand die Tagung des 9. Gebietsrätekongresses bevor. Dieser Kongreß löste die Fragen der Abrundung des Gebiets, des Hungers und der Frühjahrssaatkampagne. Noch vor der Tagung des Kongresses, während der Ausarbeitung des Materials zur Rayonisierung des Gebiets, stellte sich die Notwendigkeit der Abrundung des Gebiets heraus, um eine kompaktere Masse zu erhalten und dem Gebiet ein solches Zentrum zu verschaffen, das die Möglichkeit gibt, eine engere Verbindung mit den Örtlichkeiten zu unterhalten. Die Verbindung zwischen Marxstadt und den Örtlichkeiten war, wie es sich in der Praxis erwiesen hatte, sehr schlecht; zuweilen stellte sich jegliche Verbindung ein, hauptsächlich war dies während des Banditismus der Fall.

Der 9. Gebietskongreß bestätigte die Bestimmung des Gebietsvollzugskomitees. Der Kongreß lenkte seine besondere Aufmerksamkeit nicht allein aus diesen Punkt, sondern auch auf die Arbeit der Kommission zur Hilfeleistung für die Hungernden, die unerwartet ziemlich gute Resultate aufwies. Die Gebietsarbeiter schonten weder Kraft noch Geld und nützten alle Möglichkeiten zur Linderung der Not aus; doch war sie immerhin zu groß, um sie vollständig zu besiegen. Auf der Tagung des Kongresses stellte sich auch die traurige wirtschaftliche Lage des Gebiets heraus. Eigenes Saatgut war keins vorhanden, und deshalb wurde dem neuen Vollzugskomitee die Erlangung des so überaus notwendigen Samenvorschusses zur dringendsten Pflicht gemacht. Wegen der Hungerkatastrophe wurde bei uns im Gebiet die Verpflegungssteuer nicht durchgeführt. Im Gebiet selbst war kein eigenes Saatgut vorhanden, und der nötige Samen mußte von auswärts eingeführt werden. Der Kongreß hörte aufmerksam den Bericht an, rechnete mit der schweren Lage des Gebiets, doch verhielt er sich dazu schon ruhiger als der vorhergegangene. Hier stellte sich sofort der feste Willen heraus, den Hunger zu besiegen.

Seit Februar waren die drei Bezirksvollzugskomitees liquidiert, und an ihrer Stelle arbeiteten 13 Kanton-Dreierkommissionen, die mit der Organisierung des Sowjetapparats an Ort und Stelle beschäftigt waren.

Diese Umgestaltung verlief schmerzlos, und in der Mitte des Jahres war sie beinahe beendet. Doch zu diesem Momente wurde die Bestimmung des Zentral-Vollzugskomitees bezüglich der Abrundung des Gebiets erhalten, und die festgesetzten Wahlen des ersten Bestandes der Kantonvollzugskomitees mußten zurückgestellt werden. Sofort nach der Tagung des 9. Gebietsrätekongresses wurden Vertreter des Gebiets nach Pokrowsk und Saratow abgesandt, um mit der Administration dieser Territorien ein Einvernehmen zu treffen.

Während Pokrowsk für die Angliederung an das Gebiet war, hintertrieb Saratow mit allen Mitteln die Lösung der Frage, weshalb auch ein Aufenthalt entstand, der durch die Einmischung des Zentrums beseitigt wurde. Im Beschlusse des Zentralvollzugskomitees war dem Gebiet als bestimmte Bedingung vorgeschrieben, zum 1. August dieses Jahres das Gebietszentrum nach Pokrowsk zu verlegen. Sofort nach dem Erhalten dieser Bestimmung schritt die Gebietsmacht an die Vorbereitung der Übersiedlung und beendete diese zum 25. Juli. Von diesem Datum an befindet sich das Gebietszentrum in der Stadt Pokrowsk. Die Übergabe des dein Gebiet einzuverleibenden Territoriums wurde bis zum 1. August ausgeführt. Nach Ankunft des Gebietsvollzugskomitees am neuen Ort schritt es sofort an die Arbeit der Rayonisierung des Gebiets. Die schon vorgemerkten Rayons wurden noch einmal besprochen, und nach gehöriger Ermittelung ihrer ökonomischen Verhältnisse und anderen Bedingungen wurden sie mit dem Territorium des Gebiets vereinigt. Somit erhielten wir 14 Kantone, teilweise rein nationaler Einheiten, teilweise gemischter. Dank der mehr oder weniger guten Ernte verringerte sich die Zahl der Hungernden, die Gebietswirtschaft fing an, sich mehr und mehr zu heben, die Bevölkerung erhielt eine gehobene Stimmung, und die Arbeit nahm ein mehr schnelleres und günstigeres Tempo zur Wiedergeburt an.

Im Herbst wurden die Wahlen der Kantonvollzugskomitees vollendet. Die Kantonmacht wurde endgültig formiert, und der 10. Gebietsrätekongreß besaß als Mitglieder schon nicht mehr Vertreter der Bezirke, sondern der Kantone.

Dieser Kongreß machte sich ernstlich mit der ausgeführten Arbeit bekannt und stellte Wegweiser zur weiteren Arbeit auf. Er tagte vom 19.‒21. November 1922. Zu diesem Moment war der Hunger schon gemildert, doch seine Folgen gaben sich noch zu erkennen, und deshalb wurde an Stelle der Kommission zur Hilfeleistung für die Hungernden die Kommission zur Liquidierung der Hungerfolgen organisiert.

Diese Kommission beschäftigte sich mit der Speisung der Bevölkerung und der Wiederherstellung der Landwirtschaft. Für die Wintersaat bedurfte das Gebiet eines sehr geringen Samenvorschusses von 80000 Pud. Samenvorschuß für die Frühlingssaat wurde jedoch für das Jahr 1923 in einer Menge von 660.000 Pud erhalten. Der Samenvorschuß aus dem Zentrum wurde in genügender Menge erhalten und erwies der Bevölkerung eine sehr große Hilfe.

Die Wintersaatkampagne, sowie Frühjahrsaat-kampagne wurden gut und zur rechten Zeit durchgeführt, und anfangs Sommer gaben die Saaten Hoffnung auf eine gute Ernte. Jedoch die trockene Witterung und der am 6. Juni über das Gebiet dahingegangene Orkan wirkten sehr schädlich auf den Erntezustand, so daß man heute nicht mit einer guten Ernte prahlen kann. Dessenungeachtet läßt die Gebietsmacht, sowie die Bevölkerung selbst den Mut nicht sinken; sie wollen und können noch manchen Kamps um ihre Existenz aushalten.

Ungeachtet aller Hindernisse und Mühen, ungeachtet der Überfälle der Weißgardisten und Banditen, sowie der schweren natürlichen Bedingungen bildete sich doch das Gebiet der Wolgadeutschen in den 5 verflossenen Jahren aus, erstarkte und stellt heute eines der festen Glieder unserer RSFSR und des Bundes der SSR dar.

Bevor wir die Charakterisierung der Entwicklung der Sowjetmacht des Gebiets der Wolgadeutschen endigen, müssen noch einige Worte über die ökonomische Leitung des Gebiets gesagt werden.

Es ist natürlich, daß das Gebietsvollzugskomitee als ein Organ administrativen Charakters bei all seinem Wunsche nicht imstande war, alle Maßnahmen im ökonomischen Leben des Gebiets zu umfassen. Deshalb wurde als sein nächster Ratgeber im Januar 1921 die Geb.-Ökon.-Beratung gegründet, deren Ausgabe es ist, allseitig alle ökonomischen Fragen des wirtschaftlichen Gebietsaufbaus zu erledigen, alle Arbeiten zu leiten, die in dieser Beziehung vollbracht werden, und die Wege und Möglichkeit einer planmäßigen Verbesserung der wirtschaftlich-ökonomischen Lage, hauptsächlich unserer Landwirtschaft und teilweise der Industrie aufsucht.

Zum 5-jährigen Bestehen des Gebiets erweiterte sich die Gebiets-ökonomische Beratung: sie wird von der Plan- und Budgetkommission unterstützt und steht vor dem Jubilar — dem Gebiet — in vollster Bewaffnung. Die ökonomische Beratung ist ein treuer und vollständig ausgewachsener Wächter der ökonomischen und wirtschaftlichen Interessen des Gebiets.

Die Arbeit dieser Beratung wirkt wohltuend bei der Lösung aller Fragen und bringt einen großen Nutzen beim Wiederaufbau der Wirtschaft, nicht nur allein unserem vom Hunger zerrütteten Gebiet, sondern auch dem ganzen Staat, da sie die Ideen und Anweisungen dieses Staates durchführt, nicht allein vom Gesichtspunkte des örtlichen Plankomitees aus, sondern auch vom Gesichtspunkte des allgemeinen Nutzens des ganzen Staates.

Hand in Hand arbeitet die Ökonom. Beratung mit dem Gebietsvollzugskomitee an der Wiederherstellung, Befestigung und Entwicklung des ganzen wirtschaftlichen Lebens des Gebiets, und wir können hoffen, daß bei einem einstimmigen und bewußten Verhalten der Arbeiter und Bauern, die den Willen dazu schon unzählige mal bewiesen haben, und bei frischer Energie und Diszipliniertheit wir einer lichten Zukunft entgegengehen werden.


Unsere Wirtschaft, 1923, Nr. 19-20, S. 564-570.