Geschichte der Wolgadeutschen
NACHRICHTEN
des Gebiets-Komitees der Kom. Partei (B) der Sowetunion
und des Zentralvollzugskomitees der Autonomen
Sotialistischen Räte-Republik der Wolgadeutschen
2. August 1930 Nr. 169

Die „Synopalowiade“

Das junge deutsche Pädagogische Institut hat in seinem Lektorenbestande eine Reihe Professoren und Dozenten, wie zum Beispel Mans, Dulson, Heimann, Krogius und andere, die nicht nur in Worten, sondern in der Tat der groβen Sache der Revolution ergeben sind. Die Partei und die werktätige Studentenschaftbringen solche Leuten groβe Liebe und groβes Vertrauen entgegen.

Aber die groβe Not an wissenschaftlichen Kadern wird häufig von verschiedenen Aventuristen ausgenüβt, um sich unter dem „Professorentitel“ in die höchste Lehranstalt einzuschleichen. Indem sie in geschichtester Weise Sand in die Augen streuen, gelingt es ihnen zuweilen, sich in das Vertrauen einzuschleichen und als klassenfremdes Element in die höheren Lehranstalten hineinzukommen. Am meisten unterliegen dieser Gefahr die nationalen höheren Lehranstalten. Und auch unter junges Pädagogisches Institut der Wolgadeutschen Republik ist dieser Gefahr nicht entgangen.

In das duetsche Pädagogische Institut hat sich ein gewisser Synopalow eingeschlichen. Selbstverständlich ist er „Professor“. Auf welche Weise Synopalow Professor geworden ist, darüber schweigt die Geschichte. Synopalow selber erzählt, daβ das eineseiner Werke verbrannt ist, das andere verloren ging und das dritte ‒ noch nicht geschrieben ist. Die Geschichte Synopalows ist dunkel. Nur das eine ist bekannt, daβ er in der Stadt Reval geboren ist und aus adliger Familie stammt. Ab und zu brüstet er sich damit, daβ seine Vorahnen dem zarischen Hofe nahe gestanden haben. Seine Bildung hat er in der philosophischen Universität Heidelberg in Deutschland erhalten.

Wir wissen, daβ in den bourgeoisen Staaten der Marxismus nicht gelehrt wird. Die Heidelberger Universität ist als eifriger Verteidiger Herbarts in der Pädagogik bekannt. Das Herbartsche pädagogische System gipfelt nicht nur in der Entwicklung der „Seele“ und anderen idealistischen Ideen, sondern seine pädagogischen Ideen sind auch ausgesprochen konservativ. Herbart war ein echter Gesetzgeber auf dem Gebiete der Schulstrafen (der kapitalistischen Periode) die er bis in alle Feinheiten ausarbeitete: Die Schüler werden ohne Mittagsessen gelassen, werden ins Karzer gesperrt, aus der Klasse entfernt usw. Obwohl die Pädagogik Herbarts sehr häufig vom Interesse und von der Selbstbetätigung des Kindes spricht, ist sie autoritativ und aristakratisch, da sie bestrebt ist, nicht einen Menschen der Tat zu schaffen, sondern einen Deuker. Nicht zufällig ist es, daβ sich das Herbartianertum in jedem Lande in der Epoche der Reaktion entwickelte und, niemals sogar in Deutschland irgendwelche Popularität unter den Lehrern der Volksschule genieβend, von den Pädagogen der Mittelschulen gern übernommen wurde. Über die werktätige Erziehung finden wir bei Herbart kein Sterbenswort. (Siehe die pädagogische Enzyklopädie). Und dieser Mensch, der eine idealistische und reaktionäre Schulung erhalten hat, sollte unsere Studenten, die zukünstigen Pädagogen der marxistische-leninschen Methodologie, ausrüsten!

Welche Ironie!

Darüber, wie er die Studenten unterrichtete, gibt es eine ganze Reihe Anektoden. Die Studentenschaft charakterisiert ihn als einen Lektor, der entweder keine eigene Meinung hat (in strittigen Fragen schloβ er sich beständig der Mehrheit an oder als einen Schlaufuchs, der sich bemüht, seine eigentliches Gesicht zu verstecken). In der Masse der Studenten riefen die Methoden des Lektors Synopalow scharfe Proteste hervor.

Synopalow war im deutschen Pädagogischen Institut nicht nur „Professor“ der Pädagogik, sondern leitete bis zum 15. Februar dieses Jahres das ganze Unterrichts- und Wirtschaftsleben des Deutschen Instituts. Das Resultat seiner Arbeit war, daβ im Institut von Marxismus keine Rede war. Im Unterrichtsprogramm waren allerdings einige gesellschaftliche Disziplinen vorgemerkt, aber die Synopalowiade konnte keinen Lektor dafür finden. Als der neue Lektor des Instituts Lektoren für die politische Ökonomie, für die Geschichte Ruβlands, die ökonomische Geographie fand, stellte sich heraus, daβ es für diese Lehrgegenstände nicht ein einziges Lehrbuch gab.

Synopalow war Verwalter der Bibliothek. Seine „glänzende“ Arbeit in der Bibliothek ist ausführlich in Nr. 110 und Nr. 140 der „Nachrichten“ geschildert. Aus dieser seiner Tätigkeit in der Bibliothek bringe ich aus einer anderen Untersuchung noch folgende Auszüge: Auf Initiative der ausländischen Abteilung der Lithographischen Hauptverwaltung des ZK der KP(B) SU wurde eine Troika ausgeschieden, um zu untersuchen, wie die Gesellschaft „Meschdunarodnaja Kniga“ (Internationales Buch) die Bestellungen auf Literatur für das deutsche pädagogische Institut der Republik der Wolgadeutschen ausführt. In dieser Untersuchung heiβt es:

1) „Die Hauptmasse der auf ausländische Valuta in Deutschland gekauften Bücher stellt, wie aus den Karten und Bestellisten zu sehen ist, ein Fondsmassiv der germanistischen Fakultät dar, 2) sämtliche Bücher, für die eine ungeheure Summe an Valuta ausgegeben, sind für das Pädagogische Institut unbrauchbar, 3) der germanistische Fonde ist mit Büchern antiquarischen Charakters angefüllt. Deshalb ist dieser Fonds auch dem Pädagogischen Institut auβergewöhnlich teuer zu stehen gekommen, da auf diese Weise die uns so teuer kommende Valuta auf den deutschen Markt geworfen und die überfüllten antiquarischen Lager der deutschen bourgeoisen Bibliothek bis zu einem gewissen Grade entlastet wurden.“

Von 20 000 Rubel wurden nicht weniger als 4000 Rubel für die Ästhetik, für die schönen Einbände, ausgegeben.

„Den Versassern der Bestellung war es um die Menge der Bücher zu tun. Sie richteten sich wenig nach dem Prinzip der Qualität jedes einzelnen Buches. Auf diese Weise verwandelten sie die Bibliothek des Instituts, die eine Schmiede sein soll, in der Erzieher von Kommunisten herangebildet werden sollen, in eine Bibliothek, die sich in nichts von einer gewöhnlichen Hochschulbibliothek Deutschlands selber unterscheidet, wo die bourgeoisen Söhnchen für die bourgeoisen Schulen erzogen werden.

Die Synopalowiade macht das Deutsche Institut zum Tummelplatz enger Korporativ reaktionärer „Gelehrter“.

Die Bibliothek wurde ängstlich vor Marx, Lenin, Plechanow und anderer marxistischer Literatur gewahrt.

Die Literatur wurde auf dem Privatmarkt gekauft. In vollem Bestande wurden für ungeheure Geldsummen die wertlosen Bibliothek dreier verstorbener Professoren gekauft.

Synopalow ist seinen ganzen äuβeren Methoden und seinem inneren Gehalt nach ein typischer Speichellecker, der vor den Machthabern kriecht, in bezug auf die Untergebenen aber frech ist. In ganz Pokrowsk gibt es wahrscheinlich keinen einzigen verantwortlichen Arbeiter, dem Synopalow nicht einen Haufen Komplimente gesagt hat. Das ist aber nur äuβerlich. Diese Komplimente hindern ihn ganz und gar nicht, diesen selben Menschen anderswo mit Schmutz zu bewerfen.

Das Allerbedeutsamste in der Geschichte solcher Aventuristen wie Synopalow ist, daβ sie, nachdem sie entlarvt und aus der betreffenden Lehranstalt hinausgesagt sind, es ausgezeichnet verstehen, sich von neuem ein warmes Plätzchen zu verschaffen. Schon nachdem Synopalow in das deutsche pädagogische Institut aufgenommen war, kamen von seiner früheren Dienststelle Dokumente, die ihn „als auβergewöhnlichen Sharlatan auf wissenschaftlichem Gebiete und in der akademischen Arbeit schildern, dessen sotial-politische Orientierung zu alledem noch auβerordentlich zweifelhaft ist.“ Ungeachtet dieses Umstandes und obwohl über Synopalow im Bildungskommissariat der RSFSR sehr viel gesprochen worden war, verstand er es dennoch, sich in das Deutsche Pädagogische Institut einzuschleichen. Offenbar führt dieser Aventurist, dieser bis in die Knochen uns klassenfeindlich gegenüberstehende Mensch einige Leiter der Hauptverwaltung für professionel-technische Erziehung an der Nase herum. Ungeachtet all dieser Dokumente hat sich Synopalow bei uns, im Deutschen Pädagogischen Institut, bis zum Herbste dieses Jahres gehalten, und es kostete die Parteileitung des Instituts auβerordentlich groβe Mühe, diesem ungewöhnlich durchtriebenen Aventuristen auf den Zahn zu fühlen.

Aus dem pädagogischen Institut wurden auch die Professoren Dinges und Rau entfernt. Der erste wurde durchaus richtig als ein Gelehrter der Zeiten des „eisernen“ Kanzlers Bismark charakterisiert. Für Rau schuf die Synopalowiade einen Lehrgegenstand der Archeologie, der in keiner einzigen pädagogischen Hochschule im SSSR vorgetragen wird. Sowohl Dinges als auch Rau erklärten vollständig offen, daβ für sie Lehren Marxs, Engels, Plechanows, Lenins vollständig unnötig sind. Der Unterschied zwischen diesen beiden besteht einzig und allein darin, daβ der erstere (Dinges) die idealistische Weltanschauung sehr fein in das Pädagogische Institut hineintrug, während Rau ziemlich unverfroren erklärte: „Wir sind enge Spezialisten, für die der Marxismus unnötig ist.“

Mit der Synopalowiade hat das Deutsche Pädagogische Institut seine Kinderkrankheit durchgemacht. Wir sind überzeugt daβ das Institut nach dieser Lehre noch mehr erstarken wird.

Wir sind überzeugt, daβ sowohl die Partei- und Jugendverbands, ‒ als auch die parteilose Studentenschaft nunmehr im Bunde mit dem Professoren- und Lektorenbestand das Deutsche Pädagogische Institut in der Tat zu einer Schmiede für die Schulung von Kadern macht, die mit der marxistisch-leninschen Methodologie für die Kulturrevolution unseres proletarischen Staates ausgerüstet sind.

Anna Paul