Geschichte der Wolgadeutschen
DIE ARBEIT
Halbmonatsschrift für die deutschen Kolonisten der SSSR
1925 Nr. 22

Zum 30-jährigen Gelehrten-Jubiläum des Botanikers Emil Meyer.

Der unseren deutschen Bauern, besonders aber denen an der Wolga gut bekannte Botaniker Prof. Emil Meyer begeht in diesem Jahre das 30-jährige Jubiläum seiner wissenschaftlichen Laufbahn in Rußland.

Genosse Meyer stammt aus Deutschland. Er ist im Jahre 1870 in der Stadt Hameln (Provinz Hannover) geboren. Nach Beendigung des Realgymnasiums daselbst trat er in das Pomologische Institut in Pruskau ein. Nach Absolvierung desselben im Jahre 1889 besuchte er die technische Hochschule zu Karlsruhe, wo er Vorlesungen über Pflanzenphysiologie bei Prof. Just hörte.

Nach praktischer Tätigkeit im Botanischen Garten der Stadt Hamburg siedelte er nach Rußland über.

Im Jahre 1895 wurde er als Leiter des Botanischen Gartens an die Moskauer Universität berufen, welchen Posten er bis 1900 bekleidete.

Drei Jahre verwaltete er dann die städtischen Anlagen Moskaus. Viele Baumpflanzungen und Square-Anlagen rühren von ihm her; so die Anlagen des schönsten Platzes von Moskau, des früheren Theaterplatzes, jetzt Swerdlow-Platz.

Im Jahre 1903 erhielt er einen Ruf als Leiter der Gartenbau-Abteilung und Dozent für Gartenbau an die ehemalige Petrowsche, jetzt Timirjasewsche landwirtschaftliche Akademie, wo er bis 1919 tätig war.

Während seiner Tätigkeit erhielt er eine Aborderung nach Deutschland, Frankreich, England und Holland. Viele Schriften über Dendrologie (Gehölzkunde) und Gartenbau sind von ihm sowohl in russischer als auch in deutscher Sprache veröffentlicht worden.

Er hat sich durch seine Schriften und Arbeiten einen Ruf weit über Rußland hinaus erworben. So erhielt er noch während der Hungersnot durch die ARA im Aufträge des Landwirtschafts-Departements zu Washington (Vereinigte Staaten von Amerika) als Zeichen der Anerkennung für die Einführung von russischen Obstgehölzen nach Nord-Amerika eine Unterstützung.

Im Jahre 1919 siedelte Emil Adolfowitsch mit seiner Familie ins deutsche Wolgagebiet nach Marxstadt über, wo er sich in der Land- und Schulabteilung betätigte und Vorlesungen über Naturwissenschaft hielt.

Im Jahre 1922 kehrte er nach Moskau zurück und wurde als Sachverständiger an das Volkskommissariat für Landwirtschaft berufen.

Im Jahre 1923 unternahm er in dieser Eigenschaft, im Aufträge des Narkomsem eine Reise ins Ausland, um Sämereien zu übernehmen.

Nach seiner Rückkehr wurde er zum Prorektor und Professor an das Höhere deutsche pädagogische Zentraltechnikum berufen und blieb in dieser Stellung bis zur Überführung dieses Instituts nach Leningrad (im Sommer 1925).

Zur Zeit arbeitet Emil Adolfowitsch als Botaniker am Pharmazeutischen Institut der Wissenschaftlich-technischen Abteilung des Obersten Volkswirtschaftsrates der Union, wo ihm die Erforschung der Kultur der Arzneipflanzen übertragen worden ist.

Im Laufe des vergangenen Sommers erforschte Prof. Meyer im Aufträge des Wolgadeutschen Volkskommissariats für Aufklärung die Flora der deutschen Wolgarepublik.

Er arbeitet gegenwärtig an der Sichtung und Ausarbeitung des von seinen Exkursionen mitgebrachten reichhaltigen Herbariums, neben der Ausarbeitung einer Flora der Republik.

Seit 1923 ist Prof. Meyer ständiger Mitarbeiter unseres Journals „Die Arbeit“ sowie des Wolgadeutschen Journals „Unsere Wirtschaft“.

In unserem Verlage ist bisher sein Büchlein über die „Entstehung des Ackerbodens“ erschienen.

In Kürze wird ein weiteres Buch von ihm erscheinen: „Über die Kultur des Weinstockes“; ein weiteres hat er in Vorbereitung: „Über den Obstbau“. An der Wolga ist sein bekanntes Buch: „Die Bäume und Sträucher des Wolgagebietes“ herausgegeben worden, das ein vorzüglicher Beitrag zur heimatlichem Literatur ist.

Wie wir erfahren, beabsichtigt Prof. Meyer bald sein Arbeitsfeld ganz nach der Wolgarepublik zu verlegen, um sich dort weiteren wissenschaftlichen Forschungen und der Lehrtätigkeit auf naturwissenschaftlichem Gebiete zu widmen.

Wir begrüßen diese Arbeit unseres Jubilars, besonders da wir wissen, daß er in seinen wissenschaftlichen Arbeiten immer konkrete, praktische Ziele verfolgt. Seine Arbeit unmittelbar in der Wolgarepublik wird von großem Nutzen sein für die Organisierung des Kampfes mit der Dürre.

Es ist ein langgehegter Wunsch Prof. Meyers, auch die Flora des südlichen Steppengebiets näher untersuchen zu können. Wir wünschen, daß ihm recht bald Gelegenheit geboten werden möchte, diese Absicht zu verwirklichen und so auch den südlichen Steppenbauern in ihrem Kampf mit der Trockenheit und in ihrem Suchen nach einer ihrem Boden angepaßten Waldflora beizustehen.

Wir wünschen unserem Jubilar weitere unerschütterliche Gesundheit und noch recht viele Jahre fruchtbringender Arbeit zum Nutzen der Landwirtschaft.

Die Redaktion.


Die Arbeit, Moskau, 1925, Nr. 22 (72), S. 2040-2041.