Geschichte der Wolgadeutschen
DER WOLGADEUTSCHE
Unabhängige Zeitung für die kulturelle und wirtschaftliche Förderung des Wolgadeutschtums
1923 Nr. 1

Aus der Flegelzeit.

(Der Saratower deutschen Schuljugend zugeeignet.)

Von P. Sinner, Saratow.

Was ist denn nur heut über Nacht hier geschehn?
Ein Wunder, ein großes… Ich hab es gesehn.
Ward gestern noch würdige Kinder zuhauf,
Ihr todtet und ranntet im stürmischen Lauf:

Euch Mädchen, euch flogen die Zöpflein im Kreis,
Ihr Buben, ihr zupftet die Mädchen mit Fleiß,
Heut geht ihr gar sittsam, im rosigen Flaum,
Ihr züchtigen Jungfraun, daher wie im Traum;

Ihr Buben, mit festem, gemessenem Tritt
Lenkt ihr aus der Flegelzeit fort euren Schritt…
Das Kind ward zum Jüngling, zur Jungfrau im Nu.
Hier steh ich und staune: Wie ging das nur zu?

Und träum’ mich zurück in dies wunderreich’ Land:
Wie war es so herrlich… wie rasch es doch schwand…

1922, Oktober.


Der Wolgadeutsche, Berlin, 1923, Nr. 1, 1. Beilage, S. 2.