Geschichte der Wolgadeutschen

VOLKSFREUND

KALENDER FÜR DAS JAHR 1910


Dorf- und Landschaftsbilder aus Deutschland.

Von Joh. Zorn.

Es tut mir sehr leid, daß ich erst spät, zu spät erfahren habe, daß die Buchdruckerei „Energie“ einen Kalender für die Wolgadeutschen herausgibt. Hätte ich das früher gewußt, so hätte ich mir die Ehre nicht nehmen lassen, für dies nützliche und schöne Unternehmen einen größeren Beitrag zu liefern.

So muß ich mich leider damit begnügen, meinen Landsleuten für diesmal wenigstens einen Teil dessen im Bilde vorzuführen, was ich während meiner Wanderung durch Preußens, Sachsens und Bayerns Dörfer geschaut und mit dem photographischen Apparat festgehalten habe — Ansichten von Bauernhäusern und Bauernpferden, Dorfkirchhöfen und Landwegen usw. — Bilder deutscher Dorfkultur.

Die paar Ansichten (wegen Raummangels kann ich nur diese wenigen bieten) mögen den Lesern der „Deutschen Volkszeitung“ das veranschaulichen, was ich dort im kommendem Herbst und Winter über deutsches Bauernleben zu berichten gedenke.


Bauern beim Ernten und Eggen (Sachsen und Bayern).

   

Kolossaler Wuchs und Gewicht der Pferde. Rasse: Belgier, Dänen, Oldenburger, beziehungsweise Kreuzung derselben. Starkes, massives und schönes Geschirr.

Pferdedecke zum Schutze vor Fliegen: selbstverfertigtes hellblaues Stetz.


Dorfplatz (Preußen).

Denkmal zur Ehre der im deutsch-französischen Kriege gefallenen Dorfsöhne. Schlicht und eindrucksvoll: ein granitener Block mit dem Ehrenzeichen der deutschen Helden — dem „Eisernen Kreuz“ und einer Bronzetafel, auf der die Namen der Gefallenen verzeichnet sind. Rings herum mächtige Lindenbäume und darunter einige Ruheplätze. Im Hintergrunde Bauernhäuser. Kleines Dörfchen (etwa 30—40 Höfe).

So ehren die deutschen Bauern ihre fürs Vaterland gefallenen Angehörigen.


Bauernhaus (Bayern).

Schneeweißer Steinbau, rotes Ziegeldach, grüne Läden. Die Fassade, an der man den Namen des Hausbesitzers (Ziegler) und die Jahreszahl der letzten Reparatur unterscheiden kann, ist geschmückt mit Weinlaub. Vor dem Hause ein Gärtchen, umzäunt mir grünen Staketen. Straße und Dorfplatz glatt gepflastert. Peinliche Sauberkeit.


Landwege (Sachsen).

Glattgepflasterte Wege: der eine, mit einem zweiten, schmäleren Wege für Fußgänger und Radfahrer, umsäumt mit Pflaumenbäumen, der andere — mit Kirschbäumen. Auf letzterem links das Fahrrad des Mannes, der die Fruchtbäume am Wege von der Gemeinde gepachtet hat.

Rechts und links vom Wege — Getreide. Im Hintergründe die Bäume anderer Land- und Feldwege.


Dorffriedhof (Bayern).

Steinerne, teils marmorne Denkmäler. Die Gräber — alle ohne Ausnahme — geschmückt mit Blumen, teils umzäunt mit feinem Gitter. Im Hintergründe links Bauernhäuser, rechts das zierlich gebaute Totenhaus. Schöner, als so mancher Stadtkirchhof in Rußland. So pflegen die deutschen Bauern die Stätten ihrer Toten.

Dorffriedhof (Preußen).

Stimmungsvolles, anmutig-friedliches Bild: überall hohe Zypressen und Lebensbäume, Linden und Holunderbüsche, die grauen Steinmauern und die Grabhügel bedeckt mit Schlingpflanzen und hie und da, hinter den grünen Baumgruppen und Hecken hervorlugend, ein schlichtes, aber stillvolles Denkmal aus hellem Marmor oder Sandstein.


Bauernhof (Sachsen).

Weißgrauer Steinbau, rotes Ziegeldach, dreigeschossig, die Fassade bis zum zweiten Stock hinauf bedeckt mit dem dichten Laub der edlen Weinrebe. Vor dem Hause ein Ziergarten mit Blumenbeeten, gußeiserner Zaun (Staketen), gepflasterte Straße, sogar Trottoir.

Das Dörfchen besteht aus 30 Höfen, liegt ein paar Werst von einem kleinen Städtchen entfernt. Hat eine unterirdische Wasserleitung.


Kinderbewahranstalt (Kleines Dorf in Mittelfranken).

Stilvolles neues Gebäude: die Wände schneeweiß, das Dach aus roten Ziegeln und geschmückt mit einem vergoldeten protestantischen Kreuze. Große Fenster, auf dem äußeren Fenstersims Blumen, grüne Staketen, weiß-lackiertes Tor. Hof glatt gepflastert, teils mit Asphalt.

Hier werden die Kinder, deren Eltern auf dem Felde, in der Fabrik usw. beschäftigt sind, von Diakonissinnen (barmherzigen Schwestern) gepflegt.


„Volksfreund“. Kalender für das Jahr 1910. – Saratow: Druck und Verlag der Buchdruckerei „Energie“, 1909, S. 164-171.