Geschichte der Wolgadeutschen
WOLGADEUTSCHE MONATSHEFTE
Monatsschrift für Kultur und Wirtschaft der Wolgadeutschen
1925 Nr. 15-16

Die frühjahrs- Gartenarbeiten der „Weibsleut“.

Von J. Zorn.

Man glaube nur nicht, daß nun, nach dem Ackern, für die „Mannsleut“ und die Bauerjungen die Zeit gekommen wäre, wo sie sich längere Zeit auf die faule Seite hätten legen können. Keinesfalls! Denn schon vor dem Ackern, besonders aber solange wir draußen waren auf der Steppe, waren die Frauen mit dem brummigen „Großvater“ an der Spitze, mit wichtigen Haus- und Gartenarbeiten beschäftigt, in deren weiteren Gang (draußen auf den Gemüse- und Tabakfeldern) die „Weibsleut“ mit starker Land einzugreifen hatten. Es galt vor allem (solange die Ackersleute noch im Felde waren) den Hausgarten zu reinigen und die Mist- und Blumenbeete herzurichten.

Nun wollen wir die eigentlichen Arbeiten Schritt für Schritt verfolgen, die mit dem Tabakbau aufs engste verknüpft waren.

Die Mistbeete wurden in verschiedenen Längen angelegt; so gab es 5—10—15 Fad. lange, ja noch längere Beete. Ihre Breite wurde so berechnet, daß von beiden Seiten bequem die Mitte des Beetes erreicht werden konnte; 2—2 ½ Arschin. Umzäunt waren die Beete gewöhnlich mit etwa 3/4—1 Arschin hohem Weidengeflecht, seltener mit Holzbrettern.

Die Pflege der Tabaks-Kraut-Rübenbeete besteht darin, daß sie bei Dürre täglich regelrecht begossen werden, bei zu erwartenden Nachtfrösten mit Weidengeflecht, Matten und Stroh zugedeckt und rechtzeitig gejätet werden müssen. Sobald die Pflanzen die Höhe von 2—3 Wersch. erreicht hatten, wurden sie ausgepflanzt; teils — insbesondere die Kraut- und Rübenpflanzen — im Hausgarten selbst, sonst durchweg aber außerhalb der Kolonie im Tabaksfeld und auf der großen Futtertenne.

Die Hauptarbeiten der „Weibsleut“ (und mit ihnen auch der „Mannsleut“) bestanden jedoch nicht in den Haus- und Gartenarbeiten; die Hauptarbeiten erwarteten sie draußen auf dem Tabaks-, Kartoffel- und Gemüsefeldern und ließen sie nicht los bis in den Spätherbst hinein!

Vor allem galt’s jedoch die Tabaks- und Mistbeete in Stand zu setzen, zu besäen und regelrecht zu pflegen. Eine sehr wichtige Sache, denn Tabaksbau galt in meiner Jugend, also vor 3—4 Jahrzehnten, aber auch schon viele Jahrzehnte zuvor als der zweitwichtigste Erwerbszweig in den Wolgakolonien. 1772 von in Katharinenstadt angesiedelten Holländern zuerst eingeführt, verbreitete er sich allmählich über’s ganze Gebiet.

Der Tabaksbau verlangte vom Bauern viel Mühe und Arbeit, da er mit kürzeren oder längeren Unterbrechungen beinahe das runde Jahr mit ihm zu tun hatte. Dafür war er, der Tabaksbau aber auch oft der „Retter in der Not“. Nämlich in den „schlechten Jahren“, bei totalen Mißernten. Denn die 50—100—200 Rbl. und mehr, die dem Bauer sein Tabak, einbrachte, waren vollauf genügend, um ihn nicht nur über Wasser zu halten, sondern ihm auch die Möglichkeit zu verschaffen, neuen Saatsamen, ein neues Inventar — oder Kleidungsstück und dgl. m. anzuschaffen. Nochmals betone ich: in vielen Kolonien spielte der Tabaksbau im Verlaufe vieler — vieler Jahrzehnte eine hochwichtige wirtschaftliche Rolle: die wichtigste nach dem ureigenen Erwerbszweig unseres Bauern — dem Weizenbau! Leider blieb es späterhin nicht dabei: der Blütezustand wich allmählich einem vollständigen Verfall dieses Gewerbes. Als Hauptursachen des Verfalls müssen angeführt werden: die Kartellbildung der Fabrikanten mit von der Regierung genehmigtem Zwangsverkauf des Tabaks nur an sie; ferner mehrmalige Erhöhung der Akzise und zuletzt Ausartung des Samens.

Das „Tuwakpflanz’n“.

Das „Tuwakpflanz’n“ wurde bei uns von jeher nach folgender Schablone bewerkstelligt:

Am morgen früh, wenn noch die Reifperlchen aus den Pflanzen glitzerten, wurden aus der Mitte des dichtbestandenen Pflanzenwuchses die besten Pflanzen mitsamt Wurzelstock und daran klebender Erde behutsam herausgenommen und in Weidekörben schichtweise aufgebettet. Dann wurde ein Wasserwagen angespannt, die Körbe sowie mehrere Hacken darauf gelegt — und hinaus ging’s aufs Tabaksfeld. Dort war der Großvater der Vorgänger: langsam, ruckweise, sich vorwärts bewegend hackte er mit der Hacke nach rechts und nach links kleine Löcher in die weiche schwarze Erde.

Hinter ihm her fuhr jemand mit dem Wasserwagen und goß die Löcher voll Wasser. Das Wasser zog schnell ein. Nach dem Wassergießen kamen wir Kleinen, die Pflanzenleger, und warfen aus einem am Arme hängenden Handkörbchen je eine Pflanze in die feuchten Höhlungen. Uns auf den Füßen folgten die „Weibsleute“, welche die Pflanzen in der breiigen Erde aufrichteten und dann sorgfältig mit weicher Erde umgaben. —

Auf dieselbe Weise wurden auch Kraut und Rüben gepflanzt.

Damit war das „Tuwakpflanz’n“ jedoch nicht abgetan. Denn nach einiger Zeit stellte sich heraus, daß die eine oder andere Pflanze aus dem einen oder anderen Grunde nicht angegangen war: also „nachpflanzen!“

Und dies konnte sich zwei- bis dreimal wiederholen.

Weitere Bearbeitung des Tabaks: Hacken, „Geizen“, „Köppen“, „Bloten“.

Der Tabak beansprucht so viel Mühe und Arbeit, wie keine zweite landwirtschaftliche Pflanze unseres Wolgabauern.

Da muß zuerst das Hacken, das öftere Reinigen des Feldes vom Unkraut, genannt werden; dann das „Geizen“, d. h. das Abknipsen mit den Fingern der wilden, unnötigen Seitensprößlinge, ferner das „Köppen“ (Köpfen) der genügend hoch gewordenen Tabaksstauden, um somit (nach dem Herausbrechen des „Herzes“) das weitere Emporschießen und das Blühen der Pflanze zu verhindern, gleichzeitig aber auch den Wuchs, die Ausbreitung der Tabaksblätter zu fördern.

Und endlich, wenn die Stauden ihre volle Reife, oder richtiger: die Tabaksblätter ihre volle Größe erreicht haben, geht’s ans „Bloten“ (Blatten), das heißt Ablösen der Blätter vom Stamme und Heimbringen der grünen Blätterbündel (der „Tuwaksbund“).

Hier auf dem Bauernhöfe angelangt, wanderte die Tabaksernte sofort in den schattigen, kühlen Tabaksschuppen, zwecks weiterer Bearbeitung.


Wolgadeutsche Monatshefte, 1925, Nr. 15-16, S. 165-166.