Geschichte der Wolgadeutschen
DER WOLGADEUTSCHE
Unabhängige Zeitung für die kulturelle und wirtschaftliche Förderung des Wolgadeutschtums
1923 Nr. 23

Wo kommt der Tabak her?

(Ein ukrainisches Märchen.)

Wo kommt wohl der Tabak her? – Von einer schönen Gevatterin.

Es war einmal ein Mann, der seine Frau nicht liebte. Er liebte aber schöne Gevatterin, die er auch öfters besuchte. Seine Frau haßte er und schlug sie oft. Sie weinte schon im voraus, wenn sie ihm das Mittagessen aufs Feld brachte, denn sie wußte, daß der Mann sie schlagen würde und zwar nicht etwa deshalb, weil sie sich mit dem Mittagessen ein wenig verspätete, nicht für das Mittagessen würde er sie schlagen, sondern wie immer auf Anstiften der der schönen Gevatterin.

Eines Tages ging die Frau wieder aufs Feld hinaus, wo der Mann gerade mähte, und weinte dabei bitterlich. Da traf sie einen alten Mann, der desselben Weges ging. Der Alte fragte sie: „Warum weinst du, junge Frau?“ Und sie erzählte ihm alles, warum sie weine und weshalb ihr Mann sie immer schlüge. Der Alte beruhigte sie und sagte, daß dem abzuhelfen sei. Er führte sie zu einer abseits vom Dorfe stehenden Schmiede, nahm ihr den Topf mit dem Essen ab, stellte ihn auf ein Faß und hieß der Frau sich nackt auszuziehen. Ohne Widerrede befolgte die Frau alles, was der Alte sagte. Dann setzte sie mitten in das Schmiedefeuer, das von sechs Blasebälgen so kräftig angefacht wurde, daß die Frau im Nu zu seiner Asche verbrannte. Darauf nahm der Alte ein Sieb, scharrte sorgfältig die Asche zusammen, seihte sie durch, verlangte die Bastquaste, mit der die Schmiede die Funken auf dem Boden zusammenkehren, tauchte sie in den Trog, worin das Eisen gehärtet wird, besprengte mit dem Wasser die Asche und – siehe da – aus der Asche erhob sich die Frau um hundertmal schöner, als sie je zuvor gewesen war. „Nimm den Topf“, sagte zu ihr freundlich der Alte, „und trage das Essen deinem Manne aufs Feld, er wird dich von nun an nicht mehr schlagen“. Sie nahm das Essen, bedankte sich und setze ihren Weg nach dem Felde fort. Unterdessen war es aber noch später geworden als sonst, denn sie hatte sich ja in der Schmiede aufgehalten. Die Verspätung erboste den Mann gar sehr, und er geriet in größte Wut. Kaum hatte er seine Frau aus der Ferne erblickt – sie hatte noch ungefähr einen halben Kilometer zu gehen – da schwang er die Sense auf die Schulter und stürzte ihr entgegen, um sie zu schlagen. Die Frau aber lief nicht fort, sondern ging ruhig auf ihn zu, denn sie war sicher, daß er sie heute nicht schlagen würde. Der Mann drohte ihr mit der geballten Faust und schimpfte schon von weitem auf sie los. Als sie aber einander näher kamen, ließ er langsam die Hand sinken, grenzenloses Erstaunen verdrängte seine Wut, denn so schön hatte er seine Frau noch nicht gesehen. Er wurde ganz verlegen, ans Schlagen dachte er nicht mehr und begann etwas zu erzählen und zu fragen und dann setzte er sich zum Mittagessen nieder, immer noch in Gedanken darüber, was wohl geschehen sein mag, daß seine Frau so schön geworden war. Nun fand er wieder Gefallen an ihr und seit diesem Tag besuchte er die Gevatterin nicht mehr.

Es verging ein Tag, es verging ein zweiter – der Mann kam zur Gevatterin nicht, vergebens wartete sie auf ihn. Endlich riß der Gevatterin die Geduld, sie paßte den Ungetreuen ab und stellte ihn zur Rede. „Warum kommst du, Gevatter, nicht mehr zu mir?“ Da sagte er spöttisch: „Wozu soll ich auch zu dir kommen, wenn meine Frau jetzt viel schöner ist als du?“ Darüber war die Gevatterin so sehr erstaunt, daß sie ihre Neugierde nicht zähmen konnte und sofort zu der Frau selbst ging. Voll Staunen betrachtete sie ihre Schönheit und fragte: „Wie kommt es, daß du so schön geworden bist?“ Die Frau wollte es ihr nicht sagen. Da begann die Gevatterin zu bitten und zu betteln, holte zuguterletzt eine Flasche Branntwein hervor, die sie mitgebracht hatte (denn sie wollte um jeden Preis die Wahrheit erfahren) und da konnte die Frau denn doch nicht widerstehen und gestand ihr nach und nach die ganze Wahrheit ein. Die Gevatterin fragte noch, wieviel sie wohl dem Schmiede für seine Arbeit gegeben habe, und als die Frau ihr sagte, daß sie dem Schmiede zwei Goldstücke gegeben habe, ging die Gevatterin schleunigst nach Hause, denn nun wußte sie um das Geheimnis. Daheim überlegte sie so hin und her und sagte sich: wenn die Frau für zwei Goldstücke so schön geworden ist, so gebe ich vier Goldstücke drauf und werde dann noch schöner als die Frau. Dann wird der Gevatter schon wieder zu mir kommen.

Die Gevatterin steckte also vier Goldstücke in die Tasche, ging zum Schmied und bat ihn, sie ganz besonders schön zu machen. Der Schmied aber wollte es nicht tun, weil ihm der Alte streng verboten hatte, dergleichen jemals nachzumachen. Der Schmied wollte also nichts davon wissen, aber immer wieder bat und bettelte die Gevatterin und so konnte der Schmied nicht lange wiederstehen, er gab endlich nach. Er hieß nun die Gevatterin sich ins Schmiedefeuer setzen und fachte das Feuer mit dem Blasebalge derart an, daß die Gevatterin zu seiner Asche verbrannte. Dann nahm er das Sieb und siebte die Ache durch genau so, wie er es bei dem Alten gesehen hatte. Dann nahm er denselben Bastbesen, den der Alte benutzte, tauchte ihn in denselben Trog und besprengte die Asche. Aber es war alles vergebens – die Asche blieb Asche. Da erfaßte den Schmied große Angst, er ergriff einen Strick und lief davon, um sich aufzuhängen. Und wie er so zum Baume lief, traf er gerade wieder den Alten, der einige Tage vorher die Umwandlung der jungen Frau vollführte. „Wohin läufst du denn, Schmied?“ fragte ihn der Alte. „Ach, mein liebes gutes Väterchen“, sagte der Schmied, „ich wollte dir nachmachen, was du vor einigen Tagen mit jener Frau getan hast, aber es ist mir nicht gelungen, weil ich dein Wort nicht befolgte“. Da erzürnte der Alte, sagte aber schließlich: „Tue es nie wieder. Kehre nun zur Schmiede zurück, sammle die Asche in deine Schürze, geh zu jenem Berge hinter der Schmiede und säe die Asche dort aus. Daraus wird Tabak wachsen. Und Menschen werden den Tabak pflücken und rauchen, aber immer beim Rauchen ausspeien. Und wenn sie ausspeien, dann speien sie auf die schöne Gevatterin“.

So kommt der Tabak von der schönen Gevatterin her.

Nach dem Ukrainischen von
Adolf Lane – Berlin.


Der Wolgadeutsche, Berlin, 1923, Nr. 23, S. 4.