Verhandlungen der Versammlung der Kreisbevollmächtigten der Wolgakolonien in Saratow am 25. – 27. April 1917. / Hrsg. vom Zentralkomitee der deutschen Wolgakolonisten in Saratow. – Saratow: Druck von H. Schellhorn und Co., 1917. – 48 S.
VERHANDLUNGEN
DER VERSAMMLUNG DER KREISBEVOLLMÄCHTIGTEN
DER WOLGAKOLONIEN IN SARATOW AM 25. – 27. APRIL 1917
Verhandlungen der Versammlung der Kreisbevollmächtigten der Wolgakolonien in Saratow am 25. – 27. April 1917. / Hrsg. vom Zentralkomitee der deutschen Wolgakolonisten in Saratow. – Saratow: Druck von H. Schellhorn und Co., 1917. – 48 S.
Inhalt | |
Verhandlungen der Versammlung der Kreisbevollmächtigten der Wolgakolonien in Saratow am 25.-27. April 1917 |
3 |
Wie kann unser darniederliegendes Schulwesen auf Berg- und Wiesenseite gehoben und gebessert werden? Bericht abgestattet am 25. April 1917 von Pastor J.Erbes in der Schulsektion der Versammlung der Kreisbevollmächtigten der Wolgakolonien in Saratow. |
23 |
Bericht des Volksschullehrers Alexander Wulf zu Jablonowka, abgestattet am 25. April 1917 in der Schulsektion der Versmmlung der Kreisbevollmächtigten der Wolgakolonien in Saratow. |
31 |
Bericht über die Zeitungsfrage, abgestattet auf der Versammlung der Kreisbevollmächtigten der Wolgakolonien in Saratow, am 25. April 1917, von S.Karachanjanz. |
41 |
Namensverzeichnis Der auf dem Kolonistenkongress zu Saratow anwesenden Bevollmächtigten. |
45 |
Verhandlungen
der Versammlung der Kreisbevollmächtigten der Wolgakolonien in Saratow
am 25.-27. April 1917.
Das zeitweilige deutsche Komitee in Saratow, entstanden infolge der großen revolutionären Ereignisse im Reiche, hatte einen Ruf an alle Kreisämter der Wolgakolonien ergehen lassen, Bevollmächtigte von deutschen Kreisen und Kolonien zu wählen und sie zu einem Kongress nach Saratow zu schicken, um durch gemeinsame Beratungen eine feste Organisation der Wolgakolonisten zu schaffen.
Eine sehr große Menge Wolgakolonisten, Bevollmächtigte sowie Gäste, waren diesem Ruf gefolgt, so dass Saratow an den für unsere Kolonien hochwichtigen Tagen der Versammlung der Kreisbevollmächtigten mehr als tausend Wolgadeutsche als Gäste in seinen Mauern beherbergte.
Die Versammlung tagte in der Bühnenhalle des „Priwolshski Woksal“ und war von 326[1] Bevollmächtigten der deutschen Kreise und der Städte an der mittleren und niederen Wolga sowie von den 30 Mitgliedern des Saratower zeitweiligen Komitees und einer großen Anzahl von Gästen besucht. Die Bevollmächtigten nahmen das Parterre des Zuschauerraums ein, während die Gäste in den sich an beiden Seiten in zwei Reihen hinziehenden Logen Platz fanden. Das zeitweilige Komitee sowie der nach der Eröffnung der Versammlung gewählte Vorstand hatten ihren Sitz auf der Bühne.
Die erste Sitzung Die Zweite Sitzung
Verhandlungen der Versammlung der Kreisbevollmächtigten
der Wolgakolonien in Saratow am 25. - 27. April 1917.
Hrsg. vom Zentralkomitee der deutschen Wolgakolonisten in Saratow. – Saratow, 1917.
[↑] Die erste Sitzung.
Der Vorsitzende des Saratower zeitweiligen Komitees Herr F. Schmidt eröffnet die Sitzung um 12 Uhr 25 Min. Zu seiner Eröffnungsrede sagt er etwa folgendes:
Schon im Jahre 1913 wurden durch die Vorbereitungen zur Feier des 150-jährigen Jubiläums des Bestehens der Wolgakolonien die ersten Schritte getan zur Organisation der Wolgakolonisten. Der Weltkrieg brachte diese Arbeiten zum Stillstand. Als nun im Februar dieses Jahres uns die erschütternde Kunde ereilte, dass das von der alten Regierung in Sachen der Liquidation der Ländereien der deutschen Kolonisten herausgegebene Gesetz vom 2. Februar 1915 auch auf die Wolgakolonisten angewandt werden sollte, da schlossen sich in Saratow wiederum mehrere Kolonistensöhne zusammen zu einem Büro und waren bemüht, die herannahende Gefahr abzuwehren. Durch die große Umwälzung im Reiche nahm die Arbeit dieses Büros eine ganz andere Richtung an. Es schlossen sich noch mehrere andere Kolonistensöhne dem Büro an und bildeten zusammen das Saratower zeitweilige deutsche Komitee, welches sich die Aufgabe stellte, die Wolgakolonisten für die im Reiche vor sich gehenden und bevorstehenden Ereignisse vorzubereiten und zu organisieren. Zu diesem Zweck berief das Komitee eine Versammlung von Bevollmächtigten aller deutschen Kreise an der Wolga, um mit ihnen die gegebene politische Lage zu beraten und durch Schaffung einer festen Organisation der Wolgakolonisten eine bestimmte Stellung zu derselben zu nehmen. – Nachdem nun diese Versammlung zustande gekommen ist, hält das zeitweilige Komitee seine Aufgabe als erledigt und legt als solches seine Tätigkeit nieder, erklärt sich aber bereit, mit den Bevollmächtigten der Kreise Schulter an Schulter weiter noch für die gemeinsame nationale Sache zu arbeiten.
Hierauf richtet der Vorsitzende an die Versammlung die Anfrage, ob sie den bisherigen Mitgliedern des zeitweiligen Komitees Stimmrecht bei den bevorstehenden Verhandlungen gewähren wolle.
Die Versammlung beantwortet diese Frage mit einem freudige „Ja!“
Vorsitzender. Um Ordnung in unsere Verhandlungen zu bringen, muss die Versammlung vor allen Dingen einen Vorstand wählen.
Die Versammlung beschließt, elf Personen in den Vorstand zu wählen, und zwar so, dass der Vorsitzende durch besondere Stimmabgabe gewählt wird und zwei von den Mitgliedern des Vorstandes, welche die meisten Stimmen bekommen, als Gehilfen des Vorsitzenden gelten.
Der Soldat A. Lichtner (Krasnojarer Schulmeister) bittet die Versammlung, dass ihm und seinen zwei Kollegen, die als Bevollmächtigte aller deutschen Soldaten der Sysraner Garnison auf der Versammlung erschienen sind, das Stimmrecht gewährt werde.
Die Versammlung nimmt diese Bitte einstimmig an.
Hierauf spricht A. Emich als Delegierter eines in Katharinenstadt gebildeten Lehrervereins dieselbe Bitte aus.
Da jedoch die Meinung laut wird, dass nur Bevollmächtigte der Kreise und Gemeinden Stimmrecht haben sollten, die Delegierten Lehrer aus Katharinenstadt Vertreter nur einer kleinen Gruppe von Lehrern, nicht aber der ganzen Lehrerschaft der Kolonien sind und da sich unter den Bevollmächtigten bereits viele Lehrer und Schulmeister befinden und es zu erwarten steht, das in nächster Zukunft ein Lehrerkongress einberufen wird – lehnt die Versammlung diese Bitte ab. Die Versammlung schreitet nun zur Wahl des Vorstandes, wählt aber zuvor eine Kommission zur Prüfung der Wahlzettel, bestehend aus folgenden Herren: Pastor A. Rothermel, Pastor E. Seib, Pastor Meyer und K. Pauli.
Durch Abgabe von Zettel werden folgende Herren in den Vorstand gewählt: Vorsitzender F. Schmidt (312 Stimmen), Gehilfen des Vorsitzenden: H. Schellhorn (281), H. Kling (268), Mitglieder: Al. Bier (256), K. Justus (253), Pastor A. Schneider (241), J. Schlidt (239), K. Dorsch (222), Pater Baumtrog (196), Pastor Seib (194) und G. Grünwald (145).
Nach Abschluß der Wahlen erscheint der Stellvertretende Kommissar des Saratowschen Gouvernements A. A. Tokarski und richtet als Vertreter der Regierung folgende Begrüßungsrede an die Versammlung.
Bürger! Gestattet mir, Euch im Namen des Gouvernementskomitees zu begrüßen. Ihr wart in großer Gefahr, etwas ganz Ungeheures, Unbegreifliches erwartete Euch. Jedoch die neue Staatsordnung hat diese Gefahr hinweggefegt! (Beifall). Eure Söhne kämpfen Schulter an Schulter mit allen unseren Soldaten und beschützen das teure Heimatland. Dieser gemeinsame Kampf um den heimischen Herd kittet sie zusammen. (Beifall). Jetzt ist eine neue Zeit für unser Land angebrochen und sie gibt allen Bürgern des russischen Reiches die Möglichkeit frei zu leben. (Beifall). Russland befindet sich jetzt in sehr schwerer Lage und bedarf der Hilfe aller seiner freien Bürger. Wir hoffen, dass auch die Deutschen, als vollberechtigte Bürger des Landes, nach wie vor durch Lieferung von Getreide und durch Geldbeiträge in Form von Zeichnung auf die Freiheitsanleihe das Reich unterstützen werden. (Zustimmung und Beifall). Ich begrüße Euch noch einmal und wünsche Euren Arbeiten den besten Erfolg. (Stürmischer Beifall).
Rechtsanwalt K. Justus begrüßt in einer Antwortrede Herrn Tokarski im Namen der Versammlung als den Vertreter der neuen Regierungsgewalt. Die Herrschaft der Willkür und der Gewalttätigkeit, sagt er, ist nun bei uns gebrochen. Auf den Ruinen der alten ist eine neue Regierung erstanden, ein neues Leben bricht sich Bahn. Wir wollen hoffen, dass diese neue Regierung auch der deutschen Bevölkerung des Reiches wird Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wir wollen hoffen, dass die Seiten der Geschichte des neuen Russlands nicht mehr beschmutzt sein werden durch Verfolgung und Vertreibung der im Reiche lebenden einzelnen Völkerschaften. (Beifall). Wir wollen hoffen, ja ich möchte mehr sagen, wir sind gewiss, dass man unsere Rechte, als die der freien Bürger des Landes, nicht mehr antasten wird. (Beifall). Wir danken Ihnen für Ihren freundlichen Gruß, und ich schlage vor, den Vertreter der neuen Staatsordnung durch Hurrarufe zu begrüßen. (Beifall, laute und andauernde Hurrarufe).
Herr Tokarski verabschiedet sich von der Versammlung mit den Worten: „Es lebe Gleichheit, die Freiheit und die Brüderlichkeit!“ (Stürmischer Beifall und Hurrarufe).
Auf diese Worte des Herrn Tokarski erklang aus der Versammlung der Ruf: „Да здравствует Россия свободная!“ (Laute Hurrarufe).
Hierauf setzt die Versammlung ihre Arbeit fort und wählt zwei Sekretäre, die Herren S. Karachanjanz und K. Michaelis, die mit Hilfe der Studenten H. Kuhlberg, A. Hunger, F. Klein, W. Stieben, A. Rische, H. Fischer und K. Schulz die Protokolle führen.
Der Vorsitzende schlägt folgende Tagesordnung für die weitere Tätigkeit der Versammlung vor:
1. Begrüßungen.
2. Bericht über die Tätigkeit des zeitweiligen Komitees.
3. Bericht über die Verhandlungen des Moskauer deutschen Kongresses.
4. Verteilung der Arbeit unter Sektionen.
Die Versammlung nimmt die Tagesordnung an.
Auf eine Anfrage des Vorsitzenden spricht sich die Versammlung dafür aus, dass Herren, welche die deutsche Sprache nicht gut beherrschen, russisch sprechen können.
Hierauf wendet sich der Vorsitzende mit einer Begrüßungsrede an die Versammlung: Es ist ihm die Aufgabe geworden, sagt er, die Vertreter der Kolonien mit einem deutschen Gruß zu begrüßen – das erste deutsche Wort nach langer zeit, das wir offen aussprechen dürfen. (Beifall). Das ist durch die Revolution, durch die große Staatsumwälzung, die wir in jüngster Zeit erlebt haben, möglich geworden und ist von großer Bedeutung für uns alle. Die Revolution hat nun alle Schranken durchbrochen. Die Armee und die heldenmütigen Kämpfer für die Freiheit haben das vollbracht. (Beifall). Schon in den 20-er Jahren des vorigen Jahrhunderts begann der Kampf mit der alten Staatsordnung. Der Freiheitsgedanke gewann immer mehr Anhänger. Nach vielen Jahren des Kampfes erfolgte die Aufhebung der Leibeigenschaft. Es gingen wieder viele Jahre dahin, bis wir in Russland eine Volksvertretung in der Gestalt der Reichsduma bekamen. Und diese Volksvertretung hat nun die Macht der Selbstherrschaft gebrochen und dem Lande die längst ersehnte Freiheit gegeben. Der Weg dieser Freiheitskämpfe ist mit Blut gezeichnet. Viele, sehr viele der tapferen Kämpfer büßten ihre Freiheit ein. Sie wurden nach dem kalten Sibirien verschickt und hinter Kerkermauern gesperrt. Die Amnestie, die neue Regierung sofort nach Ergreifung der Zügel der Regierungsgewalt gewährt hat, hat gegen 2 Millionen Männer, die im Kampf gegen die Knechtschaft ihre Freiheit verloren hatten, wieder befreit. (Beifall).
Der Vorsitzende forderte die Versammlung auf, das Andenken all der tapferen Männer, die für ihr Vaterland schwer gelitten und ihr Leben dahingegeben haben, durch Aufstehen zu ehren.
Alle erheben sich von ihren Sitzen und neigten ehrerbietig das Haupt.
Freiheit und Gleichheit aller Bürger! Ruft der Vorsitzende aus – dadurch haben wir eine neue Heimat, ein neues Vaterland gewonnen! Diese große Tatsache legt uns aber auch Pflichten auf: das Vaterland zu lieben, für das Vaterland unermüdlich zu arbeiten! Es gilt die gewonnene Freiheit zu erhalten. Darum müssen wir als gewissenhafte Bürger des frei gewordenen Russlands alle unsere Pflichten unentwegt erfüllen, Vertrauen der neuen Regierung entgegenbringen und sie aus allen Kräften unterstützen. Den Weg dieser Arbeit hat uns die zeitweilige Regierung vorgezeichnet. Die Gründerversammlung und die Rechte der freien Bürger Russlands endgültig festlegen werden. – Um nun einheitlich arbeiten zu können und Ordnung und Regel in diese Arbeit zu bringen, hat das zeitweilige Komitee Euch hierher berufen. Wir haben wichtige Aufgaben zu lösen: unsere teuren Nationalgüter zu bewahren und zu pflegen – frei nach bestem Wissen und Gewissen, die Landfrage um Rahmen unserer Interessen zu entscheiden, unsere Rechte als freie Staatsbürger kräftig zu vertreten und zu schützen – und zur Erreichung aller dieser Ziele uns fest zu organisieren. Das Bund, das diese Organisation eng zusammenhalten soll, ist das Deutsche! (Beifall). Auch draußen in den Kolonien muss an dieser Organisation festgehalten werden, damit wir der Zukunft getrost in die Augen schauen können. (Beifall).
Hierauf weist der Vorsitzende darauf hin, dass auch manchen unserer Kolonistensöhne während des Krieges ein schweres Geschick getroffen hat. Herr Lonsinger sei auf die ungerechteste Weise um Amt und Beruf gekommen und habe seine Heimat verlassen müssen. Er fordert die Versammlung auf, Herrn Lonsinger zu Aufmunterung und Freude einen Gruß zu senden.
Die Versammlung nimmt den Antrag freudig an.
Pastor Lankau fordert auf, das Andenken aller deutschen Brüder, die während dieses Krieges für ihre teure nationale Sache gelitten haben (wie z. B. Herr Pastor Schleuning, der aus Sibirien zurückgekehrt ist und eben unter uns weilt), durch Aufstehen zu ehren.
Die Versammlung erhebt sich von den Sitzen und spendet reichen Beifall.
Lehrer Baum ersucht die Versammlung in Namen der Astrachaner Gemeinde, ihrem ausgewiesenen Pastor Zimmermann ihr Beileid auszudrücken.
Die Versammlung erfüllt diese Bitte durch Aufstehen von den Sitzen.
Student R. Schulz begrüßt die Versammlung im Namen des „Vereins studierender Wolgakolonisten zu Saratow“ mit folgenden Worten:
„Im Auftrage des „Vereins studierender Wolgakolonisten zu Saratow“ bringe ich der hochverehrten Versammlung die herzlichen Grüße und die besten Glückwünsche zur erfolgreichen Arbeit dar. Meine Herren! Der Verein, der sich vor ungefähr 11/2 Monaten gebildet hat und in seinen Reihen fast alle in Saratow studierenden Wolgakolonisten zählt, und dem sich außerdem schon mehrere Studenten-Kolonisten anderer Universitäten angeschlossen haben, erachtet als ihre Hauptaufgabe. Eine tatkräftige kulturelle Arbeit in und für die Kolonien. Er will in seiner Mitte Volksmänner erziehen, er will eine Intelligenz schaffen, die sich mit Freude und Hingabe unserem Volke widmet, denn uns gehen alle Freuden und Leiden der Kolonisten nah – sind wir doch Kinder derselben! – Meine Herren! Diese Versammlung, dergleichen wir hier noch nicht gesehen haben und von der wir vor 2 Monaten nur ängstlich träumen konnten, ist ein wahrer Freudenmoment in der Geschichte unserer Kolonien, von unabsehbarer Tragweite für dieselben. Ich sage mehr. Sie bedeutet den Anfang einer neuen Zeit im Leben und in der kulturellen Entwicklung unseres Volkes. Von nun an liegt der Glanz und das Gepräge dieser Entwicklung in unseren eigenen Händen, in den Händen dieser Versammlung von auserwählten Männern des Volkes, welchen die Beratung und die Lösung einer Reihe hochwichtiger und uns allen naheliegender Fragen bevor steht. – Landsleute! Eure studierenden Söhne und Töchter empfinden das wärmste Interesse für Eure Arbeit. Wir stellen uns alle freudig und willig in Eure Dienst und versprechen unsere eifrigste Mitarbeit, des Wahlspruches unseres Vereins eingedenk: „Dem Freunde treu und treu dem Volke.“ – (Beifall)
Student Dinges beantragt, den Kämpfern des Vaterlandes, allen Söhnen, Brüdern und Vätern, die ihr Blut für das Vaterland vergießen, einen warmen Gruß zu übersenden. (Zustimmung und Beifall).
Al. Bier erstattet hierauf Bericht über die Tätigkeit des Saratower zeitweiligen Komitees.
Pastor Schneider dankt mit warmen Worten dem Komitee für seine eifrige und verantwortungsvolle Arbeit zum Wohl unserer Kolonien. Er weist darauf hin, welch eine große Freude es war, als man in den Kolonien das erste „Flugblatt“ erhielt, nachdem man lange Zeit eine deutsche Zeitung entbehrt hatte; mit zitternden Händen ergriff man das Blatt, das wiederum traute Mutterlaute erhielt, und las es mit Begierde durch. Das und vieles andere, was uns zum Heil gereicht, sagt Redner, haben wir der hingebenden Arbeit des zeitweiligen Komitees zu verdanken, darum wollen wir ihm dafür unseren wärmsten Dank darbringen. (Lauter Beifall).
Al. Lichtner teilt von einem großen Freudentag mit, den die deutschen Soldaten der Sysraner Garnison erleben durften, als sie nach langer Zeit ihren ersten deutschen Gottesdienst (in einer Tenne) abhielten. Tränen der Freude und der Dankbarkeit leuchteten in den Augen der Andächtigen. Da wurde auch der Beschluss gefasst, drei Männer zu wählen und sie in diese Versammlung zu schicken, um auch von deutschen Soldaten einen warmen Gruß den auserwählten Männern unseres Volkes zu überbringen. Die deutschen Soldaten, wenn sie auch nicht an der Front sind, werden doch auch da, wo sie hingestellt sind, für das Vaterland und für die große Sache der Revolution arbeiten und kämpfen. Zum Schluss richtet Redner an die Versammlung die Bitte: „Wenn ihr nach Hause kommt, grüßet von uns Vater und Mutter, Weib und Kind!“ (Beifall).
Ad. Emich bittet ums Wort – er wollte nur die Versammlung begrüßen.
Der Vorsitzende fragt die Versammlung noch einmal, ob den Gästen das Wort gegeben werden soll.
M. Kiesner meint, es sei gerecht, dass man die Delegierten zu Worte kommen lasse.
Vorsitzender schlägt vor, Herrn Emich aussprechen zu lassen, sonst aber den Gästen das Wort nicht zu geben.
Die Versammlung erklärt sich damit einverstanden.
Ad. Emich, dem das Wort erteilt wird, sagt, die Versammlung habe heute sehr viel Süßes zu hören bekommen, er könne nicht umhin, etwas Misston in diese friedliche Stimmung zu bringen, etwas Galle in den Honig zu träufeln, nach so vielen Süßen könne man auch etwas Bitteres vertragen… Das zeitweilige Komitee habe den Erwartungen nicht entsprochen: es hätte das Programm der Versammlung in den Flugblättern bekannt machen sollen, damit man die Möglichkeit gehabt hätte, sich auf die Verhandlungen vorbereiten, so sei man ganz ohne Direktiven zur Versammlung gekommen…
Es werden Stimmen laut: „Es ist genug! Wir wollen nicht mehr hören!“
Der Vorsitzende sagt: das Komitee wollte die Versammlung nicht an ein fertiges Programm binden, welches von der Versammlung hätte auch abgelehnt werden können. Die Versammlung sollte selbst über das Programm ihrer Tätigkeit entscheiden. (Beifall).
Ad. Emich setzt seine Rede in derselben Weise fort.
Der Vorsitzende macht ihn darauf aufmerksam, dass er nur einen Gruß der Versammlung anbieten wollte.
Ad. Emich zögert etwas und – verlässt dann schleunigst den Rednerplatz.
J. Propp schildert in einer längeren Rede die Lage der Deutschen in Russland. Die Deutschen, die nicht freiwillig nach Russland gekommen, sondern hierher berufen worden sind, haben schon manche schlimme Zeichen hier durchmachen müssen. Sie sind, wie die Geschichte beweist, schon oft Gegenstand der Verfolgung verschiedener Machthaber gewesen. Redner führt dafür mehrere Belege aus der Geschichte Russland an. Hierauf schildert er die großen Leiden der südrussischen Kolonisten während der Liquidation ihrer Ländereien. Viele tausende Menschen mussten in 24 Stunden Haus und Hof verlassen und waren der Verzweiflung und einem grausamen Schicksal preisgegeben. Einer Mutter erfroren zwei Kinder, sie selbst wurde wahnsinnig. Selbst russische Bauern empörten sich über solche unmenschliche Grausamkeiten und sagten: „Da machen wir´s nicht mit!“ (Beifall). Diese Opfer der alten Regierung hat nun dem grausamen Spiel ein Ende gemacht. Männer, wie Professor Lindemann, der sich um die Geschichte unserer Kolonien hochverdient gemacht hat, und der Reichsduma-Abgeordnete Lutz, der seine ganze Kraft unermüdlich seinen deutschen Mitbrüdern widmet, haben unseren wärmsten Dank verdient. Redner ersucht die Versammlung, diesen beiden Herren Begrüßungstelegramme abzusenden. (Zustimmung und Beifall). Als die Zeitungen die Nachricht brachten, sagt Redner weiter, dass das Gesetz über die Aufhebung der konfessionellen und nationalen Beschränkungen sich nicht auf die Deutschen beziehe, da waren es diese Herren, die den Minister Kerenski mit diesbezüglichen Anfragen bestürmten und von ihm die Versicherung erhielten, dass er als Justizminister eine derartige Ungerechtigkeit nicht zulassen werde. Und wirklich, das Gesetz erschien ohne jene verhältnisvollen Punkte. Dasselbe geschah, als der Kriegsminister Gutschkow in einem Erlass den deutschen Offizieren der russischen Armee die Beförderung im Rang verweigerte. – Redner teilt mit, dass in Petersburg ein deutsches Zentralkomitee gebildet werde, welches die Interessen aller Deutschen Russlands vertreten werde. Hierauf berichtet er über die Verhandlungen des Moskauer deutschen Kongresses, der am 20. bis 22. April getagt hat. Aus allen Gauen Russlands waren deutsche Vertreter auf diesem Kongress erschienen. Unter ihnen auch Vertreter der Balten und der Mennoniten, die den Wunsch aussprachen, in den Verband der deutschen Kolonisten Russlands einzutreten und einen allrussischen Verband der Deutsch-Russen zu bilden. Dieser Verband soll eine Zeitung als Zentralorgan herausgeben, welche die Interessen aller Deutschen Russlands vertreten soll. Redner hebt noch einmal die großen Verdienste des Herrn Lutz um das Deutschtum hervor und bittet die Versammlung, diesen unermüdlichen Kämpfer für die deutsche Sache durch Aufstehen zu ehren.
Die Versammlung erhebt sich von ihren Sitzen.
Ad. Emich zeigt an, dass der Katharinenstädter Lehrerverein in Anlass des erwähnten Erlasses des Kriegsministers Gutschkow ein Protest-Telegramm an den Petersburger Rat der Soldaten- und Arbeiter-Deputierten geschickt und gebeten habe, hinsichtlich der Rangerhöhung der Offiziere Gleichheit aller Nationen zu beobachten.
Der Vorsitzende fordert die Versammlung auf, zur Bildung folgender vier Sektionen zu schreiten:
1. Organisationssektion.
2. Schulsektion.
3. Zeitungssektion.
4. Politische Sektion mit Einschluss der Land- und der Auswanderungsfrage.
Es wird darauf für jede Sektion eine besondere Liste ausgelegt, in welche die Bevollmächtigten, je nachdem in welcher Sektion sie zu arbeiten wünschen, ihre Namen eintragen.
Die Versammlung beschließt hierauf, die ersten Sektionssitzungen um 8 Uhr abends in den Räumen des Katholischen Seminars abzuhalten.
Lehrer Jäger (Balzer) meldet sich noch zu Worte und redet darüber, dass man beschlossen habe, Leuten Begrüßungstelegramme zu schicken, die seinerzeit zu einer Partei gehört haben, welche selbst die Freiheitskämpfer in die Kerker geworfen und nach Sibirien verschickt habe. (Lärm, man will den Redner nicht hören). Mit dem Ausruf: „So schickt denn Telegramme an die Partei von den 3 Galgen!“ verlässt Herr Jäger den Rednerplatz.
Um 5 Uhr wird erste Sitzung geschlossen.
Am 2. Kongresstag, den 26. April, finden nur Sitzungen der Sektionen statt. In den Räumen des Katholischen Seminars wird emsig gearbeitet und eifrigst debattiert. Spät abends sind alle Sektionen mit ihren Arbeiten fertig und haben ihre Beschlüsse zu Protokoll gebracht. Am 27. April findet die zweite und letzte Plenarsitzung des Kongresses statt.
Die Zweite Sitzung.
Die Sitzung beginnt um 10 Uhr morgens. Den Vorsitz führt Herr F. Schmidt.
Der Vorsitzende teilt mit, dass die Arbeiten der Sektionen beendet sind und die Versammlung nun an die Beratung der Berichte und der von den Sektionen ausgearbeitet Beschlüsse herantreten könne. Da die Zeit kurz bemessen ist und eine sehr große Anzahl von Fragen zur Beratung vorliegen, wird gebeten, dass die Redner sich bei den Debatten möglichst kurz fassen. Auf Vorschlag des Vorsitzenden wird beschlossen, bei der Beratung jedes einzelnen Punktes der Beschlüsse je 2 Redner für und wider zuzulassen.
Organisationssektion.
Die Organisationsfrage als eine Kardinalfrage gelangt zuerst zur Beratung. Berichterstatter Pastor Wacker.
Der Berichterstatter spricht in einer kurzen einleitenden Rede von der Notwendigkeit einer Organisation der Wolgakolonisten. Das zeitweilige Komitee habe alles vorbereitet und nun nach Erledigung aller seiner Arbeiten seine Vollmachten niedergelegt. Es gelte jetzt, ein beständiges Komitee zu bilden, als Zentralkomitee der deutschen Wolgakolonisten, mit dem Sitz in Saratow. Dieses Komitee soll das Band sein, das die Wolgadeutschen eng zusammenschließt, ihnen in allen wirtschaftlichen, politischen und Rechtsfragen mit Rat und Tat beisteht und für eine gedeihliche Entwicklung der Kultur und des Bildungswesens in den Kolonien wirkt. Das Komitee soll sich in Verbindung setzen mit allen anderen deutschen Organisationen im Reiche und dadurch eine Einigung aller Deutschen Russlands erstreben.
Hierauf verliest der Berichterstatter folgende Beschlüsse der Sektion und gibt zu den einzelnen Punkten derselben kurze Erläuterungen.
Beschlüsse der Organisationssektion.
1. Zwecks Herstellung eines geistigen Bandes und des Verkehrs der deutschen Kolonisten unter einander sowie mit den Regierungsinstitutionen in Petersburg und angesichts der Gemeinsamkeit der materiellen wie der geistigen Interessen aller Deutschen (einschließlich Mennoniten) in Russland – ist die Gründung eines Zentralkomitees in Saratow notwendig.
2. Dieses Komitee muss unterrichtet sein über alle Nöte und Bedürfnisse der Deutschen an der Wolga und hat die Gesamtheit der Wolgakolonisten wie für jeden einzelnen Kolonisten des Saratowschen und des Samarschen Gouvernements einzustehen, wo es gilt Schutz zu bieten, Rat zu erteilen und Auskünfte und Anweisungen zu geben, sei es in kulturellen, wirtschaftlichen Rechts- oder Administrativfragen und dergl. für die Kolonien. Das Komitee hat die Aufgabe, die Beschlüsse der Versammlung der Kreisbevollmächtigen zu erfüllen.
3. Zur Erreichung dieses Zieles setzt sich das Komitee in Verbindung mit anderen deutschen Organisationen mit gleichen Vertretungen, wo solche bereits bestehen oder künftig in Städten oder Kolonien ins Leben gerufen werden können.
4. Die Verbindung des Komitees mit den Kolonien erfolgt mittels der bereits bestehenden oder eigens zu diesem Zweck an Ort und Stelle zu bildenden Organisationen. Über den Bestand dieser Organisationen muss das Zentralkomitee in Kenntnis gesetzt werden.
5. Die Versammlung der Kreisbevollmächtigten wählt aus ihrer Mitte das Zentralkomitee auf 3 Jahre, bestehend aus 24 Mitgliedern, 12 aus Saratow und 12 aus den Kolonien. Diese 24 Gewählten wählen aus ihrer Mitte einen Vorstand mit einem Vorsitzenden an der Spitze, die die Aufgabe haben, laufende und unaufschiebbare Angelegenheiten zu entscheiden.[2]
6. Für die Unterhaltung des Zentralkomitees müssen von den Kolonie- oder Kreisämtern sowie Stadtgemeinden Geldmittel bestimmt werden, entsprechend einem vom Komitee ausgearbeiteten Kostenverschlag. Die Verteilung dieser Ausgaben geschieht entsprechend der Bevölkerungszahl der betreffenden Gemeinde, die selbst über die Art der Hebung der Gelder entscheidet.
7. Zur Deckung der ersten Ausgaben wird die erforderliche Summe von dem gewählten Komitee noch vor Schluss der Versammlung bestimmt und unter den Gemeinden verteilt, die ihre Vertreter geschickt haben.
Punkt 1 – 4 werden von der Versammlung einstimmig angenommen.
Punkt 5. Lehrer Jäger meint, dass die Frist von 3 Jahren zu lang sei. Aus jedem Kreis soll ein Vertreter in das Zentralkomitee gewählt werden, damit die Städter nicht das Übergewicht haben.
Auch die Herren K. Knaub, Lehrer Obert, H. Michaelis, Al. Bier, Jost und Grünwald sind dafür, dass jeder Kreis seinen Vertreter im Zentralkomitee habe. Herr Grünwald meint, das sei ganz besonders auch deshalb wichtig, weil jeder Vertreter dann die Möglichkeit haben wird, über die Tätigkeit des Komitees einen mündlichen Bericht seinem Kreis zu erstatten, das lebendige Wort wirke immer besser als das geschriebene.
Lehrer Obert ist für eine 1-jährige Frist.
H. Schellhorn meint auch, dass die Vertretung aus den Kolonien stärker sein müsse, als aus den Städten, weil die Dorfbewohner die Bedürfnisse des Volkes besser kennen.
Der Berichterstatter erklärt, dass die Frist von 3 Jahren nicht zu lang sei, da die Kommiteemitglieder sich erst einarbeiten müssen und erst nach gesammelten Erfahrungen eine gedeihliche Tätigkeit für die Kolonien entwickeln können.
Die Versammlung beschließt, dass das Zentralkomitee für die deutschen Kolonisten aus 12 Saratower Mitgliedern und je einem Vertreter der Städte und der Kreise bestehen soll.
Punkt 5 wird mit dieser Veränderung fast einstimmig angenommen.
Die letzten zwei Punkte, 6 und 7, werden einstimmig angenommen.
Zum Schluss wird der ganze Entwurf abgestimmt und einstimmig angenommen.
Der Vorsitzende macht darauf aufmerksam, dass die Saratower Mitglieder des Zentralkomitees ohne Vergütung arbeiten werden.
Es wird beschlossen, die Saratower Mitglieder gleich zu wählen, die anderen Vertreter aber an Ort und Stelle.
Die Saratower Mitglieder bilden das Büro des Zentralkomitees und handeln gemäß den Anweisungen des ganzen Komitees.
Auf Vorschlag des Vorsitzenden wird beschlossen, die erste allgemeine Sitzung des Zentralkomitees am 15. Mai abzuhalten.
Schulsektion.
Berichterstatter K. Dorsch erklärt in seiner Einleitungsrede wie die russischen Behörden ganz besonders in den letzten drei Jahren bemüht waren, alles Deutsche aus unseren Schulen zu verdrängen und jeden national gesinnten deutschen Lehrer zu verfolgen. Wir haben nun dafür zu sorgen, dass die teure Muttersprache und damit auch der deutsche Geist in unsere Schulen einkehre. – Der Schulsektion haben zwei ausführliche Berichte über das Schulwesen in unseren Kolonien vorgelegen: 1) von Herrn Lehrer Al. Wulf und 2) von Herrn Pastor J. Erbes, die den Verhandlungen der Sektion zu Grunde gelegt wurden.
Hierauf verliest Lehrer K. Lonsinger das Protokoll, welches den Verlauf der ersten Sektionssitzung schildert.
Schulmeister Schulz (Saratow) verliest ein zweites Protokoll der Schulsektion, in welchem folgende Beschlüsse der Sektion enthalten sind:
Beschlüsse der Schulsektion.
1. Der Kursus der Volksschule währt 7 Jahre, vom 7. Bis zum 14. Lebensjahre; der Schüler kann aber freiwillig noch ein Jahr in der Schule bleiben.
2. Sämtliche Unterrichtsfächer werden, mit Ausnahme der russischen Sprache, in deutscher Sprache vorgetragen.
3. Die russische Sprache muss als Unterrichtsgegenstand gründlich getrieben werden.
4. Im ersten Schuljahr wird nur die deutsche Sprache beim Unterricht gebraucht.
5. Im zweiten Schuljahr kommt die russische Sprache zur Geltung nur in der Form eines Unterhaltungsgegenstandes.
6. Im dritten Schuljahr wird die russische Sprache zum Lehrgegenstand, der gründlich vorgetragen werden muss.
7. Die Norm der Schülerzahl in sämtlichen Klassen darf nicht 40 übersteigen.
8. Das Schuljahr währt 9 Monate. Hinsichtlich der Feiertage dürfen nur die Tage gefeiert werden, die die Gemeinde festhält. Schulzwang mit steigender Strafe bis zum Arrest ist erwünscht.
9. Das Fürsorgekomitee der Schule besteht aus sämtlichen Lehrern der Schule und einer ebensolchen Zahl von Gemeindegliedern, und hat den wirtschaftlichen Teil der Schule zu verwalten.
10. Das Verwaltungssystem ist ein kollegiales.
11. Der Religionsunterricht steht unter der Aufsicht der Geistlichen.
12. Mit Beginn des neuen Schuljahres muss der Unterricht sämtlicher Fächer, da wo es möglich ist, in der deutschen Sprache erteilt werden.
13. In den drei unteren Klassen der Volksschule muss das Klassensystem beibehalten werden, während in den übrigen, den oberen Klassen, das Fachsystem eingeführt werden muss.
14. Bei der Anstellung von Lehrern in den Volksschulen werden nur Lehrer, die die deutsche Sprache vollkommen beherrschen, berücksichtigt. Jedoch muss der Lehrer auch der russischen Sprache mächtig sein.
15. Die Schulinstrukteure (Aufseher) werden von sämtlichen Lehrern eines Rayons gewählt.
16. Die Lehrer werden von sämtlichen Lehrern und Eltern der Schulkinder gewählt, und die Wahl wird dem Kreisschulrat angezeigt.
17. Der Kreisschulrat besteht aus Vertretern der Lehrer, der Bevölkerung und des Staates.
18. In Ermangelung solcher Lehrer, die die deutsche Sprache vollkommen beherrschen, ist die Schule bis zur Heranbildung tüchtiger Lehrer der deutschen Sprache notgedrungen auf die augenblicklich vorhandenen Lehrer angewiesen.
19. Die beiden Zentralschulen müssen in Volksschullehrerseminare umgestaltet werden nach den zu verbessernden Statuten vom Jahre 1909. Desgleichen muss das Rownojer Seminar den Bedürfnissen der deutschen Kolonien entsprechend umgestaltet werden.
20. Es muss sofort zur Gründung von Lehrerinnenseminaren geschritten werden. Zur Ausbildung von Lehrern für die oberen Klassen der Volksschulen ist die Gründung eines Lehrerinstituts erwünscht.
21. Die Anstellung der nötigen Lehrer in der Katharinenstädter Zentralschule wird zeitweilig dem deutschen Büro in Saratow aufgetragen.
22. Der Eintritt in die Zentralschulen wird allen Kindern ohne Unterschied der Konfession nach bestandenem Eintrittsexamen gestattet.
23. In den Zentralpunkten unserer Kolonien sollen Volksschulen höheren Typus, oder Progymnasien mit deutscher Unterrichtssprache gegründet werden.
24. Das Saratower deutsche Büro wird gebeten, nach Möglichkeit für deutsche Lehrbücher zu sorgen.
25. Vom Spätherbst an müssen den Winter hindurch abendliche Fortbildungskurse in deutscher Sprache für ausgetretene Schüler und Erwachsene bestehen.
26. Zur weiteren Fortbildung, Belehrung und Unterhaltung der ausgetretenen Schüler und Erwachsenen müssen überall Schulbibliotheken und Volksbibliotheken mit deutschen und russischen Büchern vorhanden sein.
27. Dem Saratower deutschen Büro wird aufgetragen, Schritte zu tun, dass der hochverdiente gewesene Direktor der Grimmer Zentralschule, Herr Karl Dorsch, zu seiner früheren Stellung wieder zurückberufen wird.
28. Dasselbe Büro wird beauftragt, dafür zu sorgen, dass Lehrer Lonsinger aus dem Militärdienst wieder an seine Stelle zurückberufen wird.
29. Die von Pastor Erbes und Lehrer Al. Wulf erstatteten Berichte über das Schulwesen in unseren Kolonien müssen in den Flugblättern des zeitweiligen deutschen Komitees in Saratow veröffentlicht werden.
Diese Beschlüsse gelangten in folgenden 3 Hauptgruppen zur Verhandlung:
Gruppe I, Punkt 1 – 13.
H. Schellhorn vermisst im Vortrage die Erwähnung des Rownoers Seminars. Er meint, dieses Seminar müsste auch den Bedürfnissen unserer Kolonien entsprechend umgestaltet werden, oder es müsste wenigstens dahin gewirkt werden, dass diese Schule die ihr von der Landschaft gegebene ursprüngliche Bestimmung, Lehrer für die deutschen Kolonien auszubilden, erfülle. Dementsprechend müsste die von der alten Regierung eingeführte Beschränkung des Prozentsatzes der Schüler deutscher Nationalität aufgehoben werden.
Pastor Schneider schlägt vor, dass auch der in der Katharinenstädter Zentralschule bestehende Prozentsatz in Bezug auf Schüler katholischer Konfession aufgehoben wird.
Es wird eine Pause von 15 Minuten angesagt, während welcher die Wahlzettel zur Wahl der 12 Saratower Mitglieder des Zentralkomitees ausgefüllt werden sollen.
Bei dieser Gelegenheit fragt der Vorsitzende die Versammlung, ob auch Frauen in das Komitee gewählt werden können.
Die Versammlung spricht sich mit großer Stimmmehrheit gegen die Wahl von Frauen aus. – Auf die Bemerkung des Vorsitzenden: wir wollen hoffen, dass das bald kommen wird – hört man laute Zustimmung.
Nach der Pause wird das Resultat der Zettelwahl mitgeteilt. Aus Saratow sind in das Zentralkomitee gewählt folgende Herren: H. Kling (281 Stimmen), H. Schellhorn (281), K. Justus (276), F. Schmidt (270), J. Schlidt (260), Al. Bier (249), J. Siebenhaar (212), J. Borell (202), J. Staub (158), W. Chevalier (186), S. Schulz (182), F. Scheidt (94).
Die Beratung über die einzelnen Punkte der Beschlüsse der Schulsektion wird fortgesetzt.
Lehrer Obert erklärt sich für das Klassensystem in der ganzen Schule.
Lehrer Schmidt meint, das Klassensystem sei jetzt nicht gut durchzuführen, da gegenwärtig noch viele russische Lehrer angestellt sind.
Lehrer Haffner, ist gegen eine Beaufsichtigung des Religionsunterrichts durch die Geistlichen. Er spricht sich für einen Schulzwang im Alter von 8 – 15 Jahren und für 4 Monate Ferien aus.
Lehrer Jäger meint, die Versammlung sei nicht berechtigt über Schulfragen zu entscheiden.
Pastor A. Schneider sagt: Jede Religion ist frei; die Geistlichen werden sich nicht in den Religionsunterricht anderer Konfessionen hineinmischen, der Religionsunterricht jeder Konfession soll von ihren eigenen Geistlichen beaufsichtigt werden.
Die Versammlung erklärt sich für einen Schulzwang im Alter von 7 – 14 Jahren und für ein Schuljahr von 9 Monaten. Die anderen Punkte der Gruppe I werden einstimmig angenommen.
Gruppe II. Punkt 14 - 22.
K. Pauli meint, dass die Lehrer auch in der russischen Sprache gründlich ausgebildet sein müssen.
Punk 14 wird in diesem Sinne ergänzt.
Desgleichen wird auch Punkt 19 im Sinne von Herrn Schellhorn ergänzt, indem auch eine Umgestaltung des Rownojer Seminars verlangt wird.
Pastor A. Rothermel spricht sich für gemischte Seminare aus.
H. Michaelis schlägt vor, 2 Lehrer- und Lehrerinnenseminar zu eröffnen.
Lehrer Haffner spricht sich auch für gemischte Seminare aus und für ein Lehrerinstitut zur Ausbildung von Lehrern für die höheren Klassen der Volksschulen.
Punkt 20 wird in diesem Sinne ergänzt.
Pastor Schneider schlägt vor, die Beschlüsse der Sektion einstweilen anzunehmen und eine weitere Ausarbeitung der Einzelheiten Fachleuten zu überlassen.
Die Versammlung nimmt alle Punkte der Gruppe II mit den erfolgten Ergänzungen und darauf auch alle Punkte der Gruppe III (23 – 29) einstimmig an.
Hierauf gelangt der ganze Entwurf zur Abstimmung und wird einstimmig angenommen.
Es wird noch der Wunsch ausgesprochen, dass der Staat die Unterhaltung aller Schulen übernehme, was bei einem demokratischen Staat eigentliche selbstverständlich sei.
Pater Schönberger schlägt vor, vorläufig auf der Schülerzahl 40 pro Klasse nicht zu bestehen, da diese Maßregel gegenwärtig schwer durchzuführen sei und viele Kinder der Möglichkeit berauben würde, die Schule zu besuchen.
Pastor Seib sagt, alles was wir hier beschlossen haben, sind ja zunächst Ideale und keine Gesetze. Er ermahnt zur Duldsamkeit gegen Lehrer anderer Nationalitäten.
Hierauf meldet sich A. Lichtner zu Worte und spricht darüber, dass in den Kolonien Soldatenausschreitungen vorgekommen sein sollen. Man soll doch dahin wirken, dass solche Ausschreitungen nicht stattfinden. Er fragt, ob er seinen Soldatenbrüdern von der Versammlung die Versicherung bringen kann, dass zu Hause Weib und Kind wohlgeschützt und in Sicherheit sind.
Die Versammlung gibt dem Redner diese Versicherung und verabschiedet sich von ihm durch Aufstehen von den Sitzen.
Zeitungssektion.
Der Berichterstatter S. Karachanjanz teilt der Versammlung mit, dass er vom zeitweiligen Komitee den Auftrag erhalten hatte, einen Bericht über die Zeitungsfrage auszuarbeiten. Die Sektion habe nach Anhören dieses Berichts über die einzelnen Punkte der Frage Beschlüsse gefasst und ihn beauftragt, den Bericht sowohl als auch die Beschlüsse der Versammlung vorzutragen.
Hierauf verliest er den Bericht, der in dieser Broschüre zum Abdruck gelangt ist, und die in einem Protokoll zusammengefassten Beschlüsse der Sektion.
Beschlüsse der Zeitungssektion.
1. Die Sektion erkennt an, dass die Wolgakolonien eine deutsche Zeitung unbedingt haben müssen.
2. Die Sektion beschließt, dass die von den Wolgakolonisten herauszugebende und für sie bestimmte Zeitung den Titel trage: „Saratower deutsche Volkszeitung“.
3. Es wird beschlossen, dass die Kreis- oder Kolonieämter eine einmalige größere Subsidie für die Herausgabe und die Unterhaltung dieser Zeitung bestimmen.
4. Diese Subsidie soll 10 Kop. Pro „Dusch“ betragen.
5. Die Herausgabe der Zeitung und die Verwaltung der dazu bestimmten und für die Zeitung einlaufenden Abonnements- und Annoncengelder wird dem von der Versammlung gewählten Zentralkomitee anvertraut.
6. Es wird beschlossen ein Zeitungsbüro zu wählen, bestehend aus 5 Mitglieder – 3 Protestanten und 2 Katholiken – und 2 Kandidaten, 1 Protestanten, und 1 Katholiken.
7. Das Zeitungsbüro hat die Richtung der Zeitung zu überwachen.
8. Die Redakteure werden vom Zentralkomitee angestellt.
9. Der verantwortliche Redakteur ist stimmberechtigtes Mitglied des Zeitungsbüros.
10. Inbetreff des Inhalts der Zeitung beschließt die Sektion: Da die Zeitung die deutschen Kolonien an der Wolga zu bedienen hat, so vertritt sie die politische Richtung, die von dem Kongress der Kreisbevollmächtigten als maßgebend anerkannt wird.
11. Die Besprechung kirchlicher Einrichtungen steht nur den Bekennern der betreffenden Konfession zu.
In Ergänzung des Berichts macht der Berichterstatter noch folgende Mitteilung: Die Buchdruckerei, die für die Zeitung ins Leben gerufen werden soll, wird für unsere Kolonien auch andere große Aufgaben zu erfüllen haben. Die Kreis- und Kolonieämter, die früher auf Vorschrift der Landhauptleute ihre Drucksachen meist in der Gouvernements-Typographie herstellen lassen mussten, werden nun die Möglichkeit haben, alle ihre Bestellungen in unserer Druckerei zu machen. Dazu kommen die Kirchen und die Schulen mit ihren vielen Büchern, Formularen, Scheinen und dergl., so dass die Zeitungsdruckerei für unsere Kolonien vollauf zu tun haben wird. Dann sei auch der Gedanke angeregt worden, in Saratow eine deutsch-russische Buchhandlung zu eröffnen. Diese Buchhandlung wird vor allen Dingen die überaus wichtige Aufgabe haben, unsere Kolonien mit passendem deutschem Lesestoff belehrenden und unterhaltenden Inhalts und unsere Schulen mit den nötigen Lehrbüchern und Lehrmitteln zu versorgen. Es gibt ja in der deutschen Sprache so viele einfach und verständlich geschriebene Bücher und Broschüren über alle Gebiete des Wissens und der menschlichen Betätigung, wie Landwirtschaft, Viehzucht, Obst- und Gemüsebau, Bienenzucht, Gewerbe und Hausindustrie, Gesundheitspflege und Berge von gediegenem Unterhaltungsstoff. Unsere Kolonisten sollen viel lesen und gerne lesen – dazu wird die Buchhandlung beitragen. Somit werden die Zeitung, die Druckerei und die Buchhandlung in gemeinsamer Arbeit einen kulturellen Mittelpunkt bilden für unsere Kolonien, eine Lichtquelle, die ihre Strahlen weit aussenden wird in alle unsere Kolonien, bis in ihre dunkelsten und verborgensten Ecken, damit es überall licht werde; sie werden eine große kulturelle Arbeit leisten zum Heil und Segen unserer Kolonien. (Beifall).
Die Versammlung nimmt alle Beschlüsse der Zeitungssektion einstimmig an.
Schulmeister Fritzler teilt mit, dass die Bevollmächtigten des Katharinenstädter Kreises keine Vollmacht hätten, Geldsummen für die Zeitung zu bestimmen.
Pater Heilmann: In der Katharinenstädter Vollmacht ist dieser Punkt wohl erhalten.
Schulmeister Fritzler: Warum hat Pater Beilmann uns nichts davon gesagt?...
Viele Stimmen: Wir haben alle das Recht, Gelder für die Zeitung zu bestimmen.
Auch die Städter erklären sich gerne bereit, für die Zeitung zu opfern.
Zum Schluss gelangt der ganze Entwurf zur Abstimmung und wird einstimmig angenommen.
Auf einige Anfragen teilt noch der Berichterstatter mit, dass die Zeitung möglichst bald erscheinen soll. Es seien eine Reihe von Schwierigkeiten zu überwinden, die mit den ungünstigen Zeitumständen zusammenhängen. Das Komitee werde einstweilen die Flugblätter weiter versenden und bei der ersten Möglichkeit, in etwa 1-2 Monaten, die Zeitung herausgeben, die zunächst etwa dreimal wöchentlich, später vielleicht noch öfter erscheinen wird.
Der Soldat Preisendorf aus Frank bittet ums Wort und erzählt der Versammlung von den Leiden und Entbehrungen der Soldaten an der Kaukasischen Front. Auch im Kriegsdienst sind die Deutschen verachtet und verfolgt gewesen, haben manche Ungerechtigkeit über sich ergehen lassen und manche bittere Stunden erleben müssen. Nun sind auch die deutschen Soldaten frei geworden vom schweren Druck. Sie haben sich bereits organisiert und zur Wahrung ihrer Interessen und der Interessen ihrer Volksgenossen in den Kolonien mit der neuen Regierung in Verbindung gesetzt und ihr ihre Wünsche und Forderungen bekannt gemacht. Er richtet an die Versammlung die ernste Mahnung, bestens dafür zu sorgen, dass die Kinder die russische Sprache gut erlernen, denn im Militärdienste erst merkt man, wie viel es wert ist, die Landessprache zu kennen. Nebst der Muttersprache soll man ja das gründliche Erlernen der Reichssprache nicht versäumen. Er bittet, dass man daheim für die Frauen und Kinder der Soldaten sorge und ruft zum Schluss aus: „Eure Freude ist unsere Freude, euer Leid ist unser Leid!“ (Beifall).
Auf Antrag des Vorsitzenden, der von den Mitteilungen des deutschen Soldaten tief ergriffen ist, bittet die Versammlung Herrn Preisendorf, allen seinen deutschen Kameraden einen warmen Gruß von der Versammlung und aus der Heimat zu überbringen.
Polotische Sektion.
Der Berichterstatter Al. Henning verliest folgende von der Sektion ausgearbeiteten Beschlüsse.
Beschlüsse der politischen Sektion.
1. Wir unterstützen die Zeitweilige Regierung insofern und solange sie die gegebenen und versprochenen Freiheiten aufrecht erhalten und verwirklichen wird.
2. Wir bestehen darauf, dass der Gebrauch der deutschen Sprache in Wort und Schrift sowohl in privaten als auch in amtlichen Verhandlungen offiziell anerkannt wird.
3. Wir verlangen dass unsere Kinder und Jugend in deutscher Sprache und Art herangebildet wird.
4. Wir verlangen unbeschränkte Religionsfreiheit und Gewissensfreiheit.
5. Wir erkennen die demokratische Republik mit einem Einkammersystem als diejenige Regierungsform an, die die beste Garantie für das Gedeihen unseres Reiches bieten und unsere wirtschaftliche und nationale Entwickelung sichern wird.
6. Zur Landfrage:
a) Die Landfrage in großen und ganzen ist die wichtigste Wirtschaftsfrage der künftigen Republik. In diesem Sinne kann ihre endgültige Entscheidung nur der Gründerversammlung überlassen werden.
b) Wir halten es für recht und billig, dass das Land Privateigentum sein kann.
c) Im Interesse der großen Masse der Landbevölkerung, die sich der Landwirtschaft widmet, ist es nötig, dass die Krons-, Domänen-, Kabinetts-, Kirchen- und Klosterländereien als Staatseigentum erklärt und von denselben dem landlosen oder landarmen Bauer Land zugeteilt wird.
d) Auch müssen zu diesem Zweck größere Privatlandbesitze enteignet und dem Staatsfonds einverleibt werden.
e) Die Enteignung solcher großen Privatgüter, von welchen festgestellt werden kann, dass sie auf unrechtmäßigem Wege, oder durch Allerhöchsten Schenkungsakt an die Besitzer gelangt sind, muss unentgeltlich geschehen.
f) Wohlerworbene größere Landgüter dagegen können nur gegen eine gerechte Entschädigung auf Grundlage einer entsprechenden Abschätzung enteignet werden.
7. Die Sektion schlägt vor, volgenden Personen und Institutionen Begrüßungstelegramme zu schicken: a) dem Minister Kerenski, b) dem Professor Lindemann für seine unerschrockene deutschfreundliche literarische Tätigkeit, c) dem Reichsduma-Abgeordneten Herrn Lutz und d) dem Rat der Soldaten- und Arbeiter- Deputierten in Petersburg.
Punkt 1-5 werden einstimmig angenommen.
Bei der Besprechung des 5. Punktes spricht sich Lehrer Jäger für eine föderativ-demokratische Republik aus.
Alle anderen Punkte der Beschlüsse werden nach kleinen redaktionellen Veränderungen fast einstimmig angenommen.
Zum Schluß gelangt auch hier der ganze Entwurf zur Abstimmung und wird von der Versammlung einstimmig angenommen.
Die Regelung der Auswanderungsbewegung wird dem Zentralkomitee aufgetragen.
Auf Ersuchen der auf der Versammlung anwesenden Vertreter der Sareptaer Gemeinde wird einstimmig und mit Beifallsäußerungen beschlossen, diese Gemeinde in den Verband der Wolgakolonien aufzunehmen und die Bestimmungen in der Landfrage auch auf sie auszudehnen.
M. Kiesner meint, die Versammlung habe noch keinen Standpunkt zur Frage über Krieg und Frieden eingenommen.
Der Vorsitzende erwidert darauf, dass diese Frage in der Sektion nicht verhandelt worden sei. Seines Erachtens, werden die Deutschen am besten handeln, wenn sie nicht mit Worten, sondern mit der Tat zu dieser Angelegenheit Stellung nehmen, indem sie durch fleißige Lieferung von Getreide für die Armee und durch eine rege Teilnahme an der Zeichnung auf die Freiheitsanleihe ihre Vaterlandsliebe zu beweisen suchen. (Beifall).
Nach der Besprechung des politischen Programms wendet sich der Vorsitzende an die Versammlung mit folgenden Worten: Durch die Annahme der Bestimmungen der politischen Sektion gehen wir in einigen Punkten mit der Kadettenpartei zusammen, in anderen aber weichen wir von ihr links ab und neigen mehr zu den Sozialdemokraten: in der Landfrage – von dem der Sozialdemokraten ab. Wir nehmen somit eine Zwischenstellung ein. Es sei deshalb für uns am ratsamsten, unseren eigenen Interessen entsprechend, eine republikanische Kolonistenpartei zu bilden. Wenn die Versammlung damit einverstanden sei, möge sie das Zentralkomitee beauftragen, ein entsprechendes Programm auszuarbeiten, es einem neuen Kongress der Wolgakolonisten zur Begutachtung vorzulegen und die Regierung davon in Kenntnis zu setzen.
Die Versammlung gibt ihre Zustimmung dazu.
Röhrich (Balzer) meint, dass wir als organisierte Gruppe dahin wirken sollen, einen Vertreter in der Petersburger Versammlung zu haben, welche die Wahlen in die Gründerversammlung vorzubereiten hat; das Zentralkomitee müsste von der Versammlung einen entsprechenden Auftrag erhalten.
Die Versammlung nimmt den Antrag an und erteilt dem Komitee den vorgeschlagenen Auftrag.
Hierauf begrüßt der Soldat Maus die Versammlung und bittet auch, für die Soldatenfamilien daheim zu sorgen. (Beifall).
Der Vorsitzende verliest ein Schreiben des Vorstands der Volksuniversität, in welchem um Geldmittel ersucht wird (5000 Rbl.) zur Sendung von Lektoren in die deutsche Kolonien. Auf Antrag des Vorsitzenden beschließt die Versammlung, das Komitee zu beauftragen, diese Angelegenheit zu untersuchen und den Interessen und Bedürfnissen der Kolonien entsprechend zu entscheiden. – Ferner beauftragt die Versammlung das Komitee, die Organisation der Zeichnung auf die Freiheitsanleihe in den Kolonien in seine Hände zu nehmen.
Pastor Schleuning erstattet einen eingehenden Bericht über die Verhandlungen des Moskauer deutschen Kongresses.
Frau Lonsinger dankt der Versammlung für die freundliche Teilnahme an dem Schicksal ihres Mannes. Sie bittet die Versammelten um Spenden zur Anschaffung von Lesematerial für die verwundeten Soldaten im „Kolonistenlazaret“.
Zum Schluss spricht Pastor Schneider im Namen der Versammlung den wärmsten Dank dem Vorsitzenden aus für seine umsichtige und mustergültige Leitung der Versammlungen, wodurch die Möglichkeit gegeben war, eine Fülle von Arbeit zu nur 3 Tagen und bei erhebender Einmütigkeit zu bewältigen. (Stürmischer Beifall). Redner ermahnt die Versammelten noch einmal zur Eintracht und zum festen Zusammenhalten.
Mit einem freundlichen Abschiedsgruß schließt der Vorsitzende um 14 Uhr nachmittags den ersten großen Kongress der Wolgakolonisten, als der freien Bürger des erneuerten Russlands.
Tiefe Befriedigung, Freude und gehobene Stimmung leuchten aus den Augen der Beteiligten.
Vorsitzender: F. Schmidt.
Sekretäre: S. Karachanjanz.
K. Michaelis.
1 Genaue Zahl geht in verschiedenen Quellen auseinander. So spricht Ingeborg Fleischhauer in „Die Deutschen im Zarenreich“, 1986, über 386 Bevollmächtigten aller wolgadeutschen Siedlungen (S. 537). Michail Schippan und Sonja Striegnitz in „Wolgadeutsche, Geschichte und Gegenwart“, 1992, reden von „186 bevollmächtigte Vertreter“ (S. 150). Johannes Schleuning in "Gedanken und Eindrücke" (Sechstes Flugblatt für die Wolgakolonien vom 6. Mai 1917, S. 1-3) gibt folgendes an: "Der große Saal war brechend voll Deputierter — 359 Mann, die Vertreter von allen Koloniekreisen..." Alfred Eisfeld in „Deutsche Kolonien an der Wolga 1917-1919 und das Deutsche Reich“, 1985, schreibt: „Stimmberechtigt waren neben den 30 Mitgliedern des Saratower Komitees 334 Delegierte…“ (S. 46). Diese Zahl findet mit einigen kleinen Korrekturen seine Bestätigung in dem Bericht beigefügten „Namensverzeichnis...“ (Anmerkung A. I.)
2 Dieser Punkt wurde, wie unten zu sehen ist, dahin abgeändert, dass außer den 12 Saratower Mitgliedern je ein Vertreter aus den Kreisen und den Städten (im Bereiche der Wolgakolonien) in das Zentralkomitee gewählt werden sollen.