Ein deutscher Todesweg. Authentische Dokumente der wirtschaftlichen, kulturellen und seelischen Vernichtung des Deutschtums in der Sowjet-Union. / Hrsg. in Verbindung mit Univ.-Prof. Dr. Iwan Iljin, Dr. N. Constantin, Dr. H. Neusatz u.a. Sachkennern von Dr. theol. K. Kramer. Zusammengestellt und bearbeitet von Dr. H. Neusatz und D. Erka. – Berlin: Eckart-Verlag, 1930. – 111 S.
Statt eines Vorworts
K. in Sibirien, den 14. Mai 1930.
„. . . Am 5. April ging das Verschicken bei den umliegenden Dörfern von frischem los. Was sich dort alles abgespielt hat? Es ist nicht zu beschreiben. Das war ein Kampf mit Frauen. Die Miliz und die GPU im Auto und bewaffnet, die Frauen mit Gabeln und Spaten. Es hat Tote und Verwundete gegeben. Da auf einmal kam eine Frau aus den Bazar, dann ging’s los, das Pferdegeschirr zerschnitten, die Miliz erwürgt und verhauen, das war so rasch gegangen. Überall haben die Frauen wache aufgestellt. Aber die Freude war zu früh. Am 7. ist man mit doppelter Macht gekommen und hat die Menschen fort. Zwei Frauen haben sich ersäuft. — Unser Schicksal hat uns aufs Uralgebirge gebracht. Es war eine lange und schwere Reise. 40 bis 45 Mann in einem Wagen mit etwas Dagasch, meistens wurde der Waggon auf der Station zugemacht, weil es aber Frachtwaggons waren, so hatten wir anstatt Abtritt zwei Eimer. Durch das Reißen und Zerren der Lokomotive kam es vor, daß die Eimer um« fielen. Ihr müßt nicht vergessen, daß wir niemals raus durften — es war greulich. Jetzt sind wir 35 Familien in einer Baracke, aber da ist wenigstens das Gute, daß es lauter Deutsche sind. Die Läuse fressen uns noch ganz auf. Hier ist nichts als lauter Sumpf und Wasser. Etliche wurden in den Wald getrieben, zu Fuß 100 Werst und bis 300 Werst, die mußten in Sumpf, Wasser, Schnee und Eis gehen, es waren Frauen und Rinder. Sie bekamen dreiviertel Brot, ein Eßlöffel Hirse, ein Eßlöffel Sonnenblumenöl auf den weg. Es sind viele verhungert, verfroren. Rinder sind bei roo gestorben. Unser Ort ist in der Nähe von N. N. Die Schmalspurbahn wurde von deutschen Kriegsgefangenen im fünfzehnten Jahr erbaut. Die Familien sind voneinandergerissen. Es kam auch vor, daß die Familie hier ist und das Haupt zu Hause geblieben ist. Viele Familien wissen jetzt noch nicht, wo die Ihrigen sind. Unsere Männer müssen in meterhohem Schnee arbeiten. Ist das nicht himmelschreiend? was soll aus unseren Rindern werden; Ach, wir wollen nicht für uns bitten, aber erbarmt Euch doch, Ihr Deutschen, über die Rinder, die nichts verbrochen haben und nun so bitter leiden müssen. Bitte, erbarmt Euch, holt unsere Rinder, damit sie nicht ganz verhungern. Man hat uns schon posilki (Pakete) und Geld geschickt. Aber das Traurige ist, wir bekommen nichts. Es möchte sich doch ein Stein erbarmen, und die Unmenschen haben kein Gefühl... Auch das Ausland ist blind und taub, wird denn wirklich nichts unternommen?“
(Brief eines nach Sibirien verschickten deutschen Bauern.)