Geschichte der Wolgadeutschen

CHRISTIAN GOTTLOB ZÜGE

DER RUSSISCHE COLONIST
ODER CHRISTIAN GOTTLOB ZÜGE´S LEBEN IN RUSSLAND


Züge, Christian Gottlob: Der russische Colonist oder Christian Gottlob Züge´s Leben in Russland. Nebst einer Schilderung der Sitten und Gebräuchen der Russen, vornehmlich in den asiatischen Provinzen. / Nachdruck der Ausgabe Zeitz u. Naumburg, Wedel, 1802. – Bremen: Edition Temmen, 2. Auflage 1992. – 287 S.

ISBN 3-986958-09-X

Dieser erstmals im Jahre 1802/3 publizierte Reisebericht beschreibt Lebens- und Arbeitsbedingungen deutscher Kolonisten in Rußland, die dem Aufruf der russischen Zarin Katharina II. von 1763 gefolgt waren und sich zu großer Zahl in der Wolgaregion um Saratow ansiedelten.

Christian G. Züge begab sich 1764 ebenfalls auf die abenteuerliche Reise in das verheißungsvolle Land. Seine Erlebnisse auf der Anreise, die Befindlichkeiten vor Ort, das kleinstädtische Leben im russischen Saratow und in umliegenden „deutschen“ Ortschaften, seine nichtlegale Flucht auf dem Landwege über Moskau ins heimatliche Gera u.a.m. werden in dem Bericht lebendig dargelegt. Der Band vermittelt darüberhinaus ein eindrucksvolles und einfühlsames Bild kulturellen und ökonomischen Wirkens im zaristischen Rußland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.


Vorbericht

Mich der Vergangenheit zu erinnern, schrieb ich schon vor einigen zwanzig Jahren auf, was ich in Rußland gesehen hatte und mir daselbst begegnet war. In dem großen Brande 1780, welcher beinahe ganz Gera in einen Aschenhaufen verwandelte, verlor ich unter wichtigem Dingen auch dieses Manuscript. Nach etlichen Jahren verwendete ich meine Musestunden zu dessen Erneuerung; ich war aber dabei weit von der Absicht entfernt, es jemals dem Drucke übergeben zu wollen. Erst dann kam ich auf diesen Einfall, als einige Freunde und vornehmlich verschiedene Männer von Cultur, deren Urtheil ich als competent annehmen konnte, mich aufforderten, allgemeiner bekannt zu machen, was ich nur für mich und meine Freunde ausgearbeitet hatte. Ich weiß sehr wohl, daß ich weder ein Trenk[1] noch Benjowsky[2] bin, danke auch meinem Schicksale, die Celebrität weder des einen noch des andern erreicht zu haben; es schien mir aber doch, als ob meine Begegnisse, und das, was ich während meines Aufenthalts in Rußlands unbekanntern Gegenden erfahren und gesehn habe, leicht lesenswerther sein möchten, als mancher schale Roman, oder die erdichteten Reisen eines Dambergers und Schröters.[3]

Dies alles bewog mich, in meinem herannahenden Alter eine Bearbeitung meiner Hefte vorzunehmen, in der ich sie glaubte dem großem Publicum übergeben zu können, wobei ich allerdings auf die Nachsicht rechnete, die jeder Billige mit einem Manne meines Standes haben wird, der noch überdies nicht in der Absicht reiste, seine Reise herauszugeben, folglich manches nicht so genau beobachtete, als es in diesem Falle geschehen seyn würde. Ich bin daher nicht so stolz zu glauben, daß für den Gelehrten Ausbeute in meinem Buche zu finden seyn möchte, hoffe aber, daß derjenige, welcher nur zu seiner Unterhaltung liest, es nicht unwillig aus den Händen legen wird. Die Wahrheit alles dessen, was ich erzählt habe, verbürge ich mit meinem Namen, der, weil ich einen Handel mit hiesigen Fabricaten treibe, auch außer meiner Vaterstadt bekannt, und mir zu werth ist, als daß ich ihm durch Unwahrheiten ein Brandmahl anheften sollte.

Die lange Zeit, welche seit meinem Aufenthalte in Rußland verflossen ist, schadet meiner Bekanntmachung dieser Nachrichten nichts, da Geographie ganz außer meinem Plane liegt, und ich, außer meinen Begebenheiten, nur ein Sittengemälde der Russen, zunächst in den asiatischen Provinzen, liefere, die uns Deutschen noch ein ziemlich unbekanntes Land sind. Nur selten dringen Reisende bis in diese öden Steppen; geschieht es, so leben sie nur in hohern Zirkeln, und man lernt also durch sie nicht den großen Haufen, ganz so wie er ist, kennen. Russen, oder nationalisierte Russen, mögen ihn vielleicht auch nicht öffentlich zur Schau stellen, um nicht vor dem gebildetem Europa gestehn zu müssen, wie weit Rußland zum Theil noch hinter demselben zurück ist.

Ich lasse daher mein Büchlein getrost den Weg in das große Publikum gehen; frei von dem Stolze, mir dadurch Autorruhm zu erwerben, doch mit dem ruhigen Bewußtsein, daß das lesende Publikum den Verlust der Stunden, welche es auf die Lectüre desselben verwendet hat, nicht bereuen wird.

Gera, zur Leipziger Ostermesse 1802

Christian Gottlob Züge


1 Es muß offen bleiben, welchen der beiden Trenck Züge meint. Sowohl Franz Freiherr von der Trenck, der bekannte Pandurenoberst Maria Theresias während des Ersten Schlesischen Krieges, wie auch sein Vetter Friedrich, der sich die Ungnade des Preußenkönigs zuzog, standen kurzfristig in russischen Diensten und berichteten in ihren Memoiren darüber (Merwürdige Lebensgeschichte des Freiherrn Franz von der Trenck. Theil 1-4. Berlin 1787-1792; Lebensgeschichte des Freiherrn Friedrich von der Trenck. Band 1-3. Berlin 1786.).

2 Moritz August Graf Beniowski: Reisen durch Sibirien und Kamtschatka. Berlin 1790. Beniowski (1744-1786), aus Ungarn gebürtig, hatte 1768 auf Seiten der polnischen Patrioten gekämpft und war in russischer Gefangenschaft nach Kamtschatka gebracht worden, von wo ihm eine abenteuerliche Flucht nach Europa glückte. Sowohl Beniowski wie auch die beiden Trenck-Werke, die als rührselige Anklagen gegen die Willkühr der Despotie sich gut in die konstitutionelle und republikanische publizistische Propaganda der Zeit einfügten, gehörten zu den damals vielgelesenen Memoiren.

3 Der Fall Damberger/Schröder erregte in den Jahren 1801-1803 einiges Aufsehen. Damberger, ein Buchdruckergeselle, der auch unter dem Namen Schröder schrieb, veröffentlichte unter dem Pseudonym eines Ägypters eine fiktive Reisebeschreibung durch Afrika und eine weitere, die den Leser nach Asien, Afrika und Amerika führte.


Inhalt

Vorbericht. – 7.

I

Jugendgeschichte – Reise nach Berlin, Lübeck, Trawemünde – Einschiffung. 10. — Seefahrt – die Hexenmeister auf Bornholm – Seekrankheit – Ankunft in Kronstadt – Kleidung der Rußinnen – Oranienbaum – Arrest – Pfingstfeier – Catharina. 31. — Eidesleitung – Transport – Peterhof, Peter III. – Wasserfahrt – Lebensgefahr – Händel auf dem Schiffe – Beziehung der Winterquartiere. 51. — Aufenthalt zu Panschyna – gestörte Liebschaft – Krankheit – Tracht der Geistlichen – Verdrießlichkeiten mit den Einwohnern – Maasens Caffeehaus – förmlicher Friedensvertrag mit den Einwohnern – Abreise. 62. — Landreise nach Saratow – Aufenthalt daselbst – Reise nach der Colonie – Getäuschte Erwartung – Nothdürftige Einrichtung in der Wüste – Coloniewesen. 81. — Saratow, Fabrikwesen daselbst – Wohlfeilheit der Lebensmittel Lebensweise – öffentliche Bäder. 105. — Ermordung eines rußischen Officiers – Knute, Koschky, Pletky, Podoggen – Kabacken – Salzmonopol. 117.

II

Verfall der Fabrik – und des Verdienstes – Aufsuchung anderer Erwerbsquellen – Kopfputz der Russinnen – Pantoffeln mit Tressen an blossen Füssen – eine Erscheinung – Der Wahnsinnige. 132. — Neujahrsumgang – Schauspiel – mühsamere Erwerbsmittel – Verdienst mit Lebensgefahr. 139. — Sehnsucht nach Erlösung – vereitelte Hoffnung – Colonien – Gefängniße zu Saratow. 151. — Aufenthalt bei Diebesgesindel – Verlust der letzten Habe – Unerwartete Gelegenheit zu entfliehen. 167. — Gefahren erkannt zu werden – gastfreundschaftliche Aufnahme in den Dörfern – Morduinen – Kalmücken. 180. — Glücklich vorübergehende Gefahr, entdeckt zu werden – Kasan – Unerwartete Gelegenheit zu sicherem Fortkommen – Beiträge zur Sittengeschichte – Moskau mit einigen seiner Merkwürdigkeiten. 204. — Neue Gefahr – sonderbarer Unterricht in der Musik – Natalie – Trennung – polnische Unreinlichkeit – Klosterabentheuer – Frau von Hülsen am Ziele. 220. — Rast auf einem polnischen Schloße – leibliche und geistliche Anfechtungen – Spiegelgefechte mit einem Wolfe – Nothwendigkeit, von Mitleid Anderer zu zehren – Ankunft in der Heimath. 229. — Religiöse Gebräuche – Bilderdienst – Flußweihe – В Btterwoche – Fasten – Osterfest – Katschalky – Stratzy – Processionen. 242. — Heirathsgebräuche – Zeichen der Jungfrauschaft – Begräbniße – Gedächtnißfeier der Verstorbenen – Begräbnißplatz Verunglückter. 251. — Vermischte Nachrichten von dem gemeinen Leben und Wesen der Rußen. 256.

Nachwort. – 267.

Zur Herausgabe. – 282.

Die Illustrationen. – 283.

Anhang: Aufruf der russischen Zarin Katharina II. – In: Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten, Nr. 145 den 13. September 1763. – 284.