Geschichte der Wolgadeutschen

BEITRÄGE ZUR HEIMATKUNDE
DES DEUTSCHEN WOLGAGEBIETS


Dr Taschkenter Broidijam

Der Taschkenter Bräutigam[a]

Erzählt von dem Bauern Heinrich Brandt.

Aufgezeichnet von G. Dinges im Dorfe Kraft den 3. September 1914.

 

No di warn zum zwaide. De aannt hot e Mihl gekaaft on de anr wolt hoiroode. N Geewler (Göbeler) Mann hot se fon Kameschinge rausgefahrn. Wie se on di Krafter Grenz komme, hot da wu hoiroode wollt, gefreecht: „Wem is dä Mest (Mist) dou ?" — „A de Geeweler." — „On di Grenz, uf däre wu er setzt (sitzt)?" — „A de Krafter." — „Hoidj noch Kraft, do wohne di Domme (Dummen)." Wie er noch Kraft is komme, do is er bai eme Wärt engefahrn on hot gesaat, er weer (wäre) fon Daschgent on weer komme on weit sich e Fraa houle. On do hat e (er) e Kistche, do warn paar Zodl dren. „Grousbaabe, hot e gesaat, kennt r net n Honrdr weksle, do san laudr Honrdr dren." Wie des inr (unter) di Loit is komme, hot s gehaase: „Do is en Hoirooder dou, fon Daschgent, dä is schrecklich raich." Di Loit, ba dene wu er en war gefahrn, hade (hatten) e zimlich schii´ Meedje. Des hode sich gefrait. Wie s Meedje gefrait is warn, on do wolde drai honrt Ruwl gewe ohne s Draigeld (Wolle saa', dr Jung frait sich e Fraa, on do muß Draigeld sai"), on hadje (hatte ja) kan Siweder. „Nar uf dr Zihe!" hodr dr Marjet gesaat, dr Aalt, wan dr Broidijam noch geschloufe hot;„nar recht Bodr nengeschafft en Daaik — des get (gibt) Honrdr." No´, nou (hernach) gongs nuf zu dr Velouwung (Verlobung) zum Paster. Do is er nen, dr Broidijam, on hot sich ba de Knechte bisje (ein wenig) ufgehaale (aufgehalten), nou is e raus on hot gesaat: „Ich war dren bam Paster, hon em zeh Ruwl gewe — s git." Wie se zureck (zurück) san komme, san se feer di Kawak gejaat, on do hot r gesaat: „Kennt r n Honrdr weksle?" Di Fuhrmenner hon blouskebbich druf gesotze on hade di Kabbe onrem (unter dem) Setz. Wie se haam san komme zum Schwäär, hot e die Loit o'gekresche on hot gesaat: „Di Stchup (Stube) dou sauwr, dou wolle ich on mai´ Braut laie!" Aanr hot zeh Ruwel ferrsch di Schdup-ausraame on s Soiwern krit. Uf dr Hochzich war s ganze Daref besoffe. On dou is di Hochzich komme, di is, di is komme iwr draihonrt Ruwl. De anern Dook, wi die Hochzich rim war, wolt de Broidijam noch Bauer gefahrn sai´, on do saat dr Fuhrmann: Jaagop, geb mr sechzich Gebii (Kopeken) zum Howr kaafe", on do is es rauskomme, daß dr Broidijam niks hat, als wi paar Zodl. Sa´ Braut hon di Loit net anerscht gehaase, als wi di Daschgender Braut. Di ganz Familje is noch oo´di Linje gezouche (gezogen), sunt het s Meedje kan Mann krit. — On m Broidijam san Kumrood is noch Schtefaan (Stephan) gefahrn on hot e Mihl gekaaft on hot sich finefonzwanzich Ruwl Handgeld gewe lose: därt flouch er (flog er) naus!

  Nun, sie waren zu zweit. Der eine hat eine Mühle gekauft und der anderer wollte heiraten. Ein Göbeler Mann(Bewohner von Göbel) hat sie von Kamyschin gefahren. Als sie an die Krafter Grenze kamen, hat der, der heiraten wollte gefragt:“ Wem gehört dieser Mist da?“ – „Den Göbeler.“ – „ Und die Grenze, auf der dieser sitzt?“ – „Den Krafter.“ – „Fahre nach Kraft, da wohnen die Dummen.“ Als er nach Kraft kam, ist er bei einem Wirt[b] angefahren und hat gesagt, er wäre von Taschkent und kommt vom Weiten sich eine Frau zu holen (zu heiraten). Und da hat er eine kleine Kiste, in der nur ein paar Zotteln drin waren. „Großvater, hat er gesagt, können sie einen Hunderter wechseln, da sind lauter Hunderter drin.“ Als das unter die Leute gekommen ist, hat es geheißen: „Da ist ein Heiratswilliger da, von Taschkent, der ist schrecklich (sehr, sagenhaft) reich.“ Die Leute, zu denen er gefahren ist, hatten ein ziemlich schönes Mädchen. Das hat er gefreit. Als das Mädchen gefreit geworden war, wollte er drei hundert Rubel geben, ohne das Dreigeld[c] (ich will sagen, wenn ein Junge sich eine Frau freit, da muss Dreigeld sein), und hatte keinen Silbernen. „ Nur auf den Zehen!“ hat der Alte der Marjet gesagt, als der Bräutigam noch geschlafen hat; „nun viel Butter in den Teig reingeschafft[d] – es gibt Hunderter.“ Na, danach ging es zur Verlobung beim Pastor. Da ist er, der Bräutigam, hineingegangen und hat sich bei den Knechten ein wenig aufgehalten, danach kam er raus und sagte: “Ich war drin bei dem Pastor, habe ihm zehn Ruwel gegeben – es gilt.“ Als sie zurückkehrten, sind sie vor dem Kabak geritten, und da hat er gesagt:“ Könnt ihr einen Hunderter wechseln?“ Die Fuhrmänner sind bloßköpfig da gesessen und hatten die Kappen (Mützen) unterm Sitz. Als die nach Hause zu den Schwiegereltern zurückkamen, hat er die Leute angeschrieen und hat gesagt:“ Die Stube (Zimmer) da säubern, da wollen ich und meine Braut liegen!“ Einer hat zehn Rubel für das Aufräumen und Säubern der Zimmer bekommen. Auf der Hochzeit war das ganze Dorf besoffen. Und da ist die Hochzeit gekommen, ist gekommen, mehr als auf drei hundert Rubel ist sie gekommen. An anderem Tag, als die Hochzeit vorbei war, wollte der Bräutigam dass man ihn nach Bauer fährt, und da sagt der Fuhrmann: „Jakob, gib mir sechzig Kopeken, um Hafer zu kaufen“, und da ist es raus gekommen, dass der Bräutigam nichts außer paar Zotteln hat. Seine Braut haben die Leute nicht anders als die Taschkenter Braut genannt. Die ganze Familie ist danach außer der Linie gezogen[e], sonst hätte das Mädchen keinen Mann gekriegt. – Und dem Bräutigam sein Kamerad ist nach Stephan gefahren, hat eine Mühle gekauft und hat sich fünfundzwanzig Rubel Handgeld[f] geben lassen (verlangt): dort flog er raus!

Kommentare und Anmerkungen
vom Andreas Idt, Deutschland:

[a] Серым цветом приведен параллельный перевод текстов на современный литературный немецкий язык. Перевод подготовил Андреас Идт.

[b] Трактирщик.

[c] Dreigeld – Dreifache Strafe / Dreifachentgelt, компенсация, выкуп.

[d] Butter in den Teig (Butter zu den Fischen) Redewendung – Gut leben, Geld bei der Ware usw. Все идет как по маслу. Как сыр в масле.

[e] An die Linie ziehen – nach Kaukasus ziehen. Vergl. P. Sinner „Orts- und Flurnamen“ – „nach der befestigten Grenzlinie Nordkaukasiens abzuziehen (sie gingen an die „Linie“).

[f] Handgeld, (Hantgeld) – Zins, Rente, oder Bargeld, das täglich eingenommen wird.


Beiträge zur Heimatkunde des deutschen Wolgagebiets. Pokrowsk, 1923, S. 75.