Geschichte der Wolgadeutschen

HEIMATLICHE WEITEN

SOWJETDEUTSCHE PROSA, POESIE UND PUBLIZISTIK

1983 № 2


 

Johann Windholz, geb. 1942 in einer Bauernfamilie im Dorf Jewgenjewskoje, Gebiet Kustanai. Absolvierte mit Auszeichnung die Musikfachschule Karaganda und 1970 das Konservatorium Alma-Ata. Aspirantur in Leningrad. Erforscht seit zehn Jahren die Folklore der Sowjetdeutschen.

Zur Zeit Leiter der Abteilung für Fernstudium in der Musikfachschule Karaganda.


Johann WINDHOLZ

VOLKSMUSIK DER SOWJETDEUTSCHEN

(Geschichte und Aufgaben ihrer Erforschung) [1]

Unlängst hat die einträchtige Völkerfamilie der Sowjetunion ihr 60jähriges Jubiläum gefeiert. Im vielstimmigen Chor der musikalischen Kulturen der Völker unseres Landes klingt auch die Stimme der Sowjetdeutschen. In 220 Jahren ihres Lebens in Rußland und der UdSSR haben sie ihre nationale musikalische Kultur nicht nur bewahrt, sondern sie auch ständig entwickelt und bereichert. Die vorliegende Abhandlung ist eine kurze Übersicht der Sammler- und Forschertätigkeit auf dem Gebiet des Volkslieds und der Instrumentalmusik der Sowjetdeutschen und deutet die Hauptphasen dieser Arbeit an. Als Beispiele sind vor allem Lieder angeführt, die bereits in der neuen Heimat entstanden sind.

Die Einwanderung deutscher Bauern und Handwerker, und mit ihnen kamen Lehrer, Geistliche, ausgediente Offiziere und anderes Volk nach Rußland, begann mit dem Manifest der Kaiserin Katharina II. vom 22. Juli 1763. Sie dauerte mit Unterbrechungen mehr als hundert Jahre. Im Ergebnis entstanden in Rußland deutsche Siedlungsherde im Wolgagebiet, in der Ukraine, im Petersburger Gouvernement, in Transkaukasien und Bessarabien. Da die Bevölkerung wuchs und es an Boden mangelte, erschlossen später die deutschen Kolonisten bereits mit eigenen Kräften bedeutende Ländereien im Schwarzmeergebiet, im Nordkaukasus, in Baschkirien, im Orenburger Gebiet und seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts auch in Turkestan, Sibirien und Kasachstan.

Unsere Vorfahren haben aus verschiedenen Gegenden Deutschlands Volkslieder, Musikinstrumente und Volksmusik, Sitten und Gebräuche mitgebracht, die sich wesentlich voneinander unterschieden. In den Tochterkolonien, die auch nach religiösen Gesichtspunkten gegründet wurden, kamen zu den Kulturgütern aus verschiedenen Mutterkolonien noch Lieder, Musik, Sitten und Gebräuche hinzu, die schon in der neuen Heimat entstanden waren. In jeder neugegründeten Siedlung ging somit die Vermischung und Wechselwirkung folkloristischer Überlieferungen verschiedener deutscher Einwohnerschaften noch intensiver als in den Mutterkolonien vor sich. In jedem deutschen Dorf bildete sich ein eigenes Liedgut und eine eigene Vortragsmanier. Als ein systematisches Studium der sowjetdeutschen Folklore begann (1925), traten ihre Unterschiede in den genannten deutschen Siedlungsgebieten vor den Forschern klar zutage. Die volkstümliche musikalische Kultur der Wolgadeutschen erwies sich als die altertümlichste. Die Lieder und die Musik der ukrainischen Deutschen waren moderner, weil dort das Liedgut und die Singart aus dem Deutschland des 19. Jahrhunderts ziemlich breit vertreten waren. Im Gebiet Leningrad lebten deutsche Lieder nur noch in der älteren Generation fort, die Jugend sang nunmehr russische und sowjetische Lieder, in den Dörfern Transkaukasiens befand sich die musikalische Erziehung auf einem hohen Niveau, das Liedgut Deutschlands des vorigen Jahrhunderts war dort in professioneller Vortragsmanier aktiv verwurzelt.

Trotz der Meinung einiger ausländischer Forscher, daß das deutsche Lied in Rußland verrottet ist, haben die Rußland- und Sowjetdeutschen ihre alten Überlieferungen entfaltet und neue Lieder geschaffen. In ihnen haben sich die wichtigsten Ereignisse in der neuen Heimat sowie in den engeren Wohngebieten widergespiegelt. So hat auch der Vaterländische Krieg des Jahres 1812 in Liedern Widerhall gefunden, die noch heute gesungen werden. Anna Diener aus dem Kirow-Sowchos des Gebiets Karaganda singt:      

Ist das dann ach wirklich war,
Was man hat vernommen,
Daß der Kaiser Napoljon 
Ist nach Rußland kommen?

 Viel zu Fuß un viel zu Ferd
Sind sie angekommen,
Haben aach gleich die schejne Stadt
Moskau eingenommen.

Moskau war noch nicht genug:
Dort gebt’s ka schejn Gaben.
Pejdersburch — ein Riesenstadt
Missen mir noch haben.

Dort gebt’s aach noch Flaasch genug
Un ein lust’ges Leben,
Un ein Glas Schampansker Wein,
Un ein Schatz daneben.

Des morjens sprach der Offizier:
„Mir sin all’ verloren:
Alle unsre schejne Leit
Sin in Schnej verfroren.“

Für Anna Diener ist Napoleon eine reale Figur. „Wär er net nach Rußland kommen, hätt’r aach jetz noch auf dem Thron g’sotze“, sagt sie nach dem Singen. Und Johannes Rollheiser aus Akbastau sang dazu eine Strophe aus einem anderen Lied:

Ach Poulan, du Schustergeselle,
Was sitzest du so fest auf deinem Thron,
Wärst du ja in Frankreich geblieben,
So hättest du die allerschejnste Kroun.

„Der hot ja dou nix zu schaffe“, fährt er fort. „Die Russe hän den nausgeschlaage iwr Hals un Kopp. Sou muß des ja aach sein.“

Die Erinnerung an das Manifest, an die Aufhebung der Kolonistenfreiheiten und Einführung der Wehrpflicht für die Rußlanddeutschen (1871, 1874) hat in vielen Liedern Widerhall gefunden. So sang man:

Katharina, die war die Kaiserin,
Die zog uns Deutsche zu sich hin.
Auf hundert Jahr gab sie uns frei,
Die hundert Jahr, die sind vorbei! . .

Das Manifest der Kaiserin,
Die dachte nach den Deutschen hin:
Sie sollten pflanzen Brot und Wein
Und sollten auch Kolonisten sein.

Wir verließen unser Vaterland
Und zogen in das Russenland...

Das Dienen in der zaristischen Armee — die Rekruttschina — fiel den Bauernburschen, die oft kein russisches Wort konnten, sehr schwer. Sie klagten:

Nun müssen wir exerzieren
Bei dem kalten Reg’n und Schnee.
Wir bekommen nichts zu essen
Als wie lauter Suchare.

Über den Krimkrieg (1853—1856) erzählt das Lied:

Die taurische Festung bei Sewastopol...
Sie kamen herüber von Konstantinopol...
Die Franken, die Türken, die englische Schar —
Das heilige Kreuz mit dem Halbmond gepaart...

Das alles und die ständigen Mißernten, die den Bauernwirtschaften an der Wolga einen großen Schaden zufügten, haben eine Auswanderungswelle, nach Brasilien, Argentinien und den USA hervorgerufen.

Jetzt ist die Zeit und Stunde da,
Wir ziehen nach Amerika, —

heißt es in einem Lied. Oder:

Der Wagen steht schon vor der Tür,
Mit Weib und Kinder ziehen wir,
Wir ziehen ins gelobte Land,
Dort findet man das Gold wie Sand.
Tralallala, tralalla,
Bald sind wir in Brasilia.

Aber als die ersten schlechten. Nachrichten von den „Brasilianern“ kamen, ließ das Auswanderungsfieber nach.

Viele Lieder sind im Russisch-Japanischen Kriege entstanden. Eines von ihnen wird auch jetzt noch viel gesungen.

Wie sieht’s aus im Fernen Osten,
Wo der Krieg so wüten tut?
Manches Leben wird es kosten
Und ein manches junges Blut.

Wieviel Eltern werden weinen
Um ihr heißgeliebtes Kind,
Wieviel Bräuten wird es scheinen,
Daß der Krieg kein Ende nimmt...

Die Ereignisse der Oktoberrevolution und des Bürgerkriegs haben auch in Liedern ihren Niederschlag gefunden. Sie wurden zum Beispiel von Kämpfern der deutschen Roten Regimenter der Ersten Reiterarmee Budjonnys und der Divisionen Woroschilows verfaßt und gesungen. Eines von ihnen ist ein richtiges Kavalleristenlied:

    1. In den grünen Steppen hat vor vielen Tagen
        Die Armee Budjonnys unsren Feind geschlagen.

Refrain:
Nicht vergebens, nicht vergebens,
Für Sichel und für Hammer verloren sie
Ihr Blut und ihr Leben
Und haben unsre Heimat befreit.

2. Ruhe unsren Helden, weit im Feld begraben,
    Die für uns gestritten und geblutet haben.

     Refrain.

Das Hungerjahr 1921 wurde zu einer richtigen Tragödie für Tausende Wolgadeutsche. Bis heute lebt noch das Lied über die Ereignisse jener Tage.

Neunzehnhunderteinundzwanzig
War für uns ein schweres Jahr:
Viele Menschen sind verhungert
Und verfroren — das ist wahr.

Das Getreide auf dem Felde
War verbrannt schon vor der Zeit.
Und es waren ohne Hoffnung
Ringsum alle Bauersleut.

Niemand wollte Hungers sterben,
Jeder sucht ein Rettungsort.
Das Vermögen wird verschleudert
Und verkauft für einen Spott.

Nach Taschkent, Kuban, Wolhynien
Ging’s zu Fuß, zu Bahn, zu Pferd.
Auf dem Wege starben viele,
Ruhen jetzt in tiefer Erd’.

Die Regierung schickte Kinder
In die fremde, weite Welt,
Um die große Not zu lindern,
Da bei uns lag schwarz das Feld.

Die Regierung hat gebildet
Manches Kinderheim zur Zeit.
Viele Waisenkinder wurden
Dadurch aus der Not befreit.

Die Regierung hat gegeben
Samen, hat sie schnell versandt,
Um die Hungersnot zu stillen
Ringsum in dem ganzen Land.

Dem angeführten Text ist klar zu entnehmen, wie die junge Sowjetmacht in ihrer schwersten Zeit alles mögliche getan hat, um das Los der hungernden Wolgadeutschen zu erleichtern.

Die Kollektivierung in den deutschen Siedlungen verlief im kompromißlosen Klassenkampf. Das vertierte Kulakentum schreckte vor nichts zurück. Im Dorf Großliebental bei Odessa ermordeten die Kulaken eine Pionierin, eine Aktivistin, die sie in der Zeitung angeprangert hatte.                                                                         

Als Muster im Schaffen und Streben
Stand Katja hier und dort.
Ihr Andenken wird stets noch leben
In unseren Herzen fort und fort.

Sie kämpfte tapfer und ehrlich,
Voll Lob wird ihr Name genannt
Als Dorfkorrespondentin gefährlich
Kulaken und Pfaffen sie fand.

Der böse Plan war erfüllet
In einer so finsteren Nacht,
Der Feinde Blutdurst gestillet,
Und Katja war umgebracht.

Hin Jungpionier am Grabe
Sprach laut zu groß und zu klein:
„Wir alle, ob Mädchen, ob Knaben,
Auch wir wollen Klassenkämpfer sein!“

Das von Martha Neumüller und dem Gesangslehrer Richard Biber verfaßte Lied lebt noch immer im Gedächtnis jener fort, die am Kampf um ein neues Leben teilgenommen haben.

Die Trennung von Freunden und Verwandten, die an den Fronten des Großen Vaterländischen Krieges kämpften und heldenhaft im Hinterland schafften, der Seelenschmerz um die Dahingeschiedenen fanden ihren Ausdruck im Genre lyrischer Abschiedslieder.

О wie lang soll es noch dauern,
О wie lang soll es noch gehn,
Bis ich meinen Herz erfülle,
Und mein Liebjen wieder seh!?

Wieviel Stunden sind vergangen,
Die ich an dich hab gedacht,
Wieviel Tränen sind verflossen,
Keine Ruhe Tag und Nacht?
Ach, Vater, ihr wollt von uns scheiden,
Ach, Vater, ihr wollt von uns geh’n.

Rosalia Rollheiser und Rosalia Krug haben das Lied 1935 im Dorf Nowousenka bei Karaganda anläßlich der Abreise ihrer jungen Ehemänner zu einem Lehrgang nach Karaganda verfaßt. Während der Kriegsjahre erhielt es einen neuen, tieferen Sinn, einen neuen sozialen Inhalt und wurde im Dorf allgemein bekannt.

Das Volkslied der Sowjetdeutschen besingt alle Seiten ihres Lebens. Und wie selbst das Leben vielseitig ist, so gattungsreich ist auch das Volkslied und die Volksmusik der Sowjetdeutschen. Es gibt alte Balladen wie „Ich stand auf hohen Bergen“, „Es waren zwei Königskinder“, „Es kehrt ein Fürst zum Fürsten ein“, „Es stehen drei Sternlein am hohen Himmel“ und andere. Zu den ältesten Liedern gehören komische Balladen und scherzhafte Lieder wie „Es waren drei Gesellen“, „Ich ging mal bei der Nacht“, „Es war einmal ein kleiner Mann“, fast alle lyrischen und Liebeslieder: „Ach Schätzchen, was hab ich erfahren?“, „Schatz, warum bist du so traurig?“, „Schätzchen, ade, Scheiden tut weh“...

Im Laufe des 19. Jahrhunderts sind In die deutschen Siedlungen Rußlands neue Balladen eingedrungen. Oft werden Lieder „In des Gartens dunkler Laube“, „Es wollt ein Mann nach seiner Heimat reisen“, „Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten“ und ähnliche gesungen. Es gibt Brauchtums-, Kriegs- und Soldatenlieder, Müller-, Jäger-, Matrosen- und andere Ständelieder, Scherz-, Spott-, Lügen-, Streitlieder, unzählige Vierzeiler, im Volke als „Reimcher“, „Schnörkel“, „Korze Liedcher“, oder auch „Stücklliedjer“ und „Fetzjer“ genannt.

Im großen und ganzen kann man die Volkslieder der Sowjetdeutschen in drei Schichten einteilen:

1. Die älteste Schicht bilden Lieder, die unsere Vorfahren aus Deutschland mitgebracht haben.

2. Lieder, die im Laufe der 19.—20. Jahrhunderte aus Deutschland eingedrungen sind.

3. Lieder, die in Rußland und in der Sowjetunion entstanden sind.

Die Instrumentalmusik enthält sowohl ältere als auch neuere Weisen, aber sie paßt sich der Zeit viel schneller an. Deutsche Volksmusikanten und Hochzeitskapellen spielen nicht nur deutsche Tanzweisen: Polka, Walzer oder Schleifer, sondern Melodien aller Völker der Sowjetunion, mit denen die Sowjetdeutschen in Berührung kommen. So auch die Instrumente. Als typische kann man die Geige — im Volke „Vihilien“ oder auch „Kratz“ genannt; das Zimbal—„Hackbrett“; Baßgeige oder Baß—„Kuh“; Ziehharmonika—„Ziehorgel“. Früher spielte man auf der Steppenpfeif, dem Dudelsack und der Heududel. Es wäre sehr interessant, diese Instrumente irgendwo ausfindig zu machen. Flöte, Klarinette, Trommel, Trompete werden auch verwendet. Es wird aber auf der russischen Balalaika („Pulalaike“), auf der Gitarre, Mandoline und mit Löffeln gespielt.

Selbst die Hochzeitsmusikanten sind öfter Arbeiter, Bauern, Angehörige der Intelligenz, die in der Freizeit musizieren. Traditionelle Instrumente werden in letzter Zeit mit elektronischen Mitteln verstärkt.

Die Besonderheit der sowjetdeutschen volksmusikalischen Kultur besteht darin, daß in ihr die deutsche bäuerliche Folklore des 13. bis 19. Jahrhunderts noch immer lebendig ist, während die bäuerliche Folklore und vor allem ihre Vortragsweise in Deutschland selbst etwa gegen Ende des vorigen Jahrhunderts verwischt wurde, und zwar im Ergebnis der aktiven Entwicklung der Berufsmusik, der Kultur des vielstimmigen Gesangs in der Kirche, der Schule, den Vereinen, Liedertafeln, Arbeiterchören.

Die bei uns herrschenden Vorstellungen vom deutschen Volkslied sind in der Periode seines zweiten Daseins entstanden, nämlich in der von Komponisten und Dichtern bearbeiteten Fassung. Auch ist bekannt, daß die auf uns gekommenen mittelalterlichen Liedersammlungen (die Rostocker, Lochheimer, Glogauer u. a.) in der Regel keine Bauernlieder enthalten, sondern Lieder der deutschen Städte. Daher das Interesse ausländischer Forscher zur heutigen Folklore der Sowjetdeutschen.

Wenn man die sowjetdeutsche Folklore als Ergebnis fortwährender Vermischung und Wechselwirkung verschiedener örtlicher folkloristischer Überlieferungen betrachtet, so ergibt das die Möglichkeit, eine richtige wissenschaftliche Einstellung zu ihrer Erforschung zu erarbeiten und richtiges Verständnis für die Prozesse ihrer Entstehung und Entwicklung. für die Besonderheiten ihres heutigen Stils zu finden. Jede Siedlung, jeder Rayon, jede Region waren eigenartige Laboratorien folkloristischer Wechselwirkung.

Um die Geschichte der Folkloreforschung der Rußland- und Sowjetdeutschen einigermaßen vollständig und objektiv zu beleuchten, muß man auch die Folklore der Rußlanddeutschen in Amerika berücksichtigen, die schon lange auf geschrieben und veröffentlicht wird.

* * *

Das Studium unserer Folklore begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts und wurde mit Unterbrechungen bis jetzt fortgesetzt. Die Geschichte dieses Studiums teilen wir in drei Perioden: die vorrevolutionäre, die Vorkriegs- und die Nachkriegszeit.

Die ersten Angaben stammen aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts. B. W. Assafjew schreibt in seinem Buch „Russische Musik“, daß es in Moskau eine „deutsche Gesangsakademie“ gibt. In der Mitte des 19. Jahrhunderts notierte Johann Matthias Firmenich Dialektausdrücke südrussischer Kolonisten, kindliche Folklore und Schwänke. Seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts wurden in Moskau, Shitomir, Odessa, Saratow und Prischib Bauernkalender herausgegeben. Seit 1889 erschienen Gesangshefte „Liederperlen“, in denen Liedermelodien mit Hilfe von Ziffernnoten veröffentlicht wurden. Kalender waren eines der Hilfsmittel, durch welche das Liedgut Deutschlands in die deutschen Kolonien Rußlands gelangte.

1909 erschienen in Cernowitz „Deutsche Volkslieder aus der Bukowina“, herausgegeben von R. Kaindl, 1917 — „Deutsche Volkslieder aus der Dobrudsha und Südrußland“, gesammelt von A. Byban.

Viele wertvolle Kenntnisse über die Folklore der Deutschen in Rußland sind in den Periodika, in der historischen und der schönen Literatur enthalten, zum Beispiel in dem Gedicht „Das Lied vom Küster Deis“ von David Kufeld, wo die Hochzeitsmusik von Volksmusikanten sehr schön beschrieben ist.

Als Beginn der Folkloristik der Rußlanddeutschen halten wir den Sammelband „Volkslieder und Kinderreime aus den Wolgakolonien“, gesammelt und mit einem Anhang von Rätseln herausgegeben von Johannes Erbes und Peter Sinner in Saratow 1914. Das erste Liederbüchlein der Wolgadeutschen enthält Lieder aller Gattungen, die auch jetzt noch gesungen werden. Sehr hoch schätzten die Herausgeber das Volkslied und seinen erzieherischen Wert.

„Der Segen, der von guten und sorgfältig gepflegten Volksliedern über das Volk ausgeht, kann gar nicht hoch genug angeschlagen werden“, meinten sie mit Recht. Im Volkslied sahen sie einen „Rettungsanker“ für die Erhaltung der deutschen Sprache und der nationalen Kultur. Das Lied ist eng mit den Bräuchen und Sitten verbunden. Wo sie noch ausgeübt werden, lebt aktiv auch das Volkslied. „In hoher Blüte steht der Volksgesang in denjenigen Kolonien, wo noch die alten fröhlichen Bauernhochzeiten zwei Tage... gefeiert werden“, lesen wir weiter.

Traurig war es mit dem Gesang in denjenigen Kolonien bestellt, „wo die kirchlichen Brüder zahlreich waren“, die die Volkslieder als vermeintliche „Schelmenstückchen“ von den Straßen zu verdrängen und auszurotten suchten. Selbst die Hochzeiten in solchen Kolonien glichen einer Trauermahlzeit. Bei dem niedrigen Niveau des Schulwesens in den Wolgakolonien führte eine solche Politik der Geistlichkeit zur geistigen Verarmung ganzer Generationen deutscher Kolonisten.

Als Hauptträger des Volksliedes nennen J. Erbes und P. Sinner die ledigen Burschenkameradschaften. Die Mädchen sangen „nur zaghaft und verstohlen... das eine oder das andere der von den Burschen gehörten Lieder. Sie sind mehr die Pflegerinnen des geistlichen Volksliedes und des kirchlichreligiosen Gesanges“.

Und wie sieht es heute aus? Eine gründliche Untersuchung des Volksgesanges im Dorf Kirowo, Gebiet Karaganda, hat ergeben, daß der Gesang von Jugendgruppen auf der Straße nur die auffälligste Singgelegenheit der Folklore ist. Alle Dorfbewohner, unabhängig vom Alter und Geschlecht, haben das sowjetdeutsche Volkslied in allen seinen Ausdrucksformen bewahrt und gesungen.

Für den Kirower Volksgesang sind folgende Singgelegenheiten typisch: das alltägliche Singen und der feierliche Gesang in der Familie und beim „Spiele“ („Majegehn“), das Singen auf der Hochzeit und auf der Arbeit, das Singen und Spielen der Kinder und der Jugend „uf dr Gaß’ “, auf der Schul- und Dorfbühne sowie das religiöse Singen in der Familie und im Bethaus. Gerade der Gesang in der Familie und während der alltäglichen abendlichen Spinngesellschaften hat am meisten das Singen der langen Texte der „ernsten, Lieder“ gefördert, nämlich der Balladen und lyrischen Lieder erzählenden Inhalts. Der Gesang auf der Straße und auf Hochzeiten ist nur ein Teil des alltäglichen und unterhaltsamen Umgangs, wo gewöhnlich zum Singen langer Texte die Lust fehlt. Vor allem sind es die Frauen, die das Liedgut bewahren und singen.

J. Erbes und P. Sinner zeigen auch, auf welchem Wege die Lieder aus Deutschland gedrungen sind. Unter den Vermittlern nennen sie die Handwerksburschen, Quacksalber, Kurpfuscher, Schatzheber und Lehrer — alles „Ausländer“, die den Weg nach Rußland fanden. Am wertvollsten sind zweifellos die 280 Lieder und Kinderreime sowie 300 Rätsel der Sammlung.

Eine grundlegende Untersuchung der musikalischen Folklore der Rußlanddeutschen ist „Das Lied der deutschen Kolonisten in Rußland“ von Georg Schünemann (München, 1923). Das Wert des Buches besteht vor allem darin, daß die Untersuchung aufgrund phonographischer Aufnahmen des Vortrags deutscher Lieder durch Volkssänger und -musikanten aus Rußland durchgeführt wurde. Die Aufnahmen wurden in den Jahren 1917 und 1918 in Kriegsgefangenenlagern gemacht. Das Buch enthält 434 Lieder und ihre Varianten sowie eine große theoretische Einleitung.

Schünemann hat nachgewiesen, daß der größte Teil der rußlanddeutschen Lieder analogischen Liedern in Deutschland entsprechen. Viele von ihnen unterscheiden sich allerdings sehr stärk voneinander. Der größte Teil der Liedvarianten weist auf die Herkunft der Lieder aus den südwestlichen Gebieten hin. G. Schünemann hat viele wertvolle Angaben über die Besonderheiten des Lieds der deutschen Kolonisten in Rußland gemacht. Eine ausgesprochene wissenschaftliche Entdeckung war „das langgezogene, reich ornamentierte melismatische, hohe Singen der deutschen Kolonisten“. Wenn Schünemann für das hohe Singen etwas Entsprechendes in Deutschland fand, so gab es für die Ornamentierung keine Analogie. Er führte eine glänzende musik- theoretische Analyse des Materials durch und zeigte den ganzen Reichtum „der Verzierungspraktik der Rußlanddeutschen“. Schünemann setzte mit Recht voraus, daß eine solche Praktik ornamentierten Singens dem Gregorianischen Choral, der Praktik des mittelalterlichen Musizierens überhaupt eigen war. Alle Verzierungsmanieren entdeckte er in den Traktaten mittelalterlicher Theoretiker.

Außer Melodien und Texten, die sich im Vergleich mit den entsprechenden Melodien und Texten in Deutschland in mehr oder weniger unveränderter Form erhalten haben, fand Schünemann viele Melodien, die aus zwei oder mehr verschiedenen Liedermelodien bestanden. Eine Reihe von Liedern wurde nach einer einzigen sich stets wiederholenden musikalischen Phrase oder sogar nach einem lebhaften Motiv gesungen.

Schünemann entdeckte Melodien, Motive, musikalische Phrasen, die aus der volksmusikalischen Praktik Deutschlands verschwunden sind, und wies auf die große Wichtigkeit hin, das Studium der Folklore der Rußlanddeutschen fortzusetzen.

Dabei ist aber die Forschungsarbeit Schünemanns stellenweise strittig, und die allgemeinen Prinzipien beim Studium der Folklore der Rußlanddeutschen sind falsch. Ebenso wie Erbes und Sinner behauptet er zum Beispiel, daß Jugendgruppen und Burschenkameradschaften die wichtigsten Träger der Folklore sind Er übersieht jedoch, daß Männer am Gesang in der Familie und in der Spinnstube selten teilnahmen, damit ist auch der fragmentarische Charakter der Texte in Schünemanns Buch zu erklären. Die falsche Einstellung führte zu falschen Schlüssen: Die Liedertexte der Rußlanddeutschen werden angeblich mit der Zeit vergessen und schließlich zersungen.

Den größten Widerspruch erweckt das allgemeine Herangehen an die Einschätzung der Vortragsmanier der Rußlanddeutschen. So führt Schünemann das hohe, gedehnte, ornamentierte Singen mit offenen Stimmen, sich wiederholenden Phrasen und melodischen Motiven auf den Einfluß des russischen Liedes und der russischen Singweise, auf den Einfluß der Kulturen der Völker, die die Wolgadeutschen umgaben, zurück. Damit stellt er die ureigenen Quellen der angeführten Erscheinungen in Abrede und sieht in einigen Elementen der Singweise den zersetzenden Einfluß der Kulturen der Völker Rußlands, den Verlust der schöpferischen Möglichkeiten der Rußlanddeutsehen infolge ihrer Abgeschiedenheit von Deutschland. Hier einige Beispiele aus seinem Buch:

„Wer Kolonisten singen hört, ohne Melodie und Worte zu kennen, wird zunächst glauben, Russen vor sich zu haben — so stark ist die Veränderung, die ein deutsches Lied durch Charakterumbildung und Vortrag verfärbt. Tonansatz und Klangfarbe muten fremd an. Die Tonfärbung ist weicher als bei uns. leicht nasal gefärbt und durch russisch beeinflußte Vokalisation verändert. Diese Umstellung wirkt um so stärker, als durchweg mit roher, ungebildeter Stimme gesungen wird. Es ist der typische Gesang russischer Bauernstimmen: breitgezogen, offen und naturalistisch und dabei doch weich und von starker Ausdrucksintensität.“

Von dieser Voraussetzung ausgehend, hält Schünemann die von den Kolonisten übernommene russische Vortragsmanier für die wichtigste Triebkraft im Prozeß der Veränderung und Variierung der deutschen Lieder. Er schreibt:

„Einer der wichtigsten Gründe für Umbildung und Umgestaltung war der Übergang deutscher Lieder in russische Eigenheiten und Vortragsmanieren“.

Als erster bezweifelte die Idee der „russischen“ Vortragsmanier der Rußlanddeutschen der sowjetische Forscher Professor V. M. Shirmunski, der die Ansicht vertrat, daß diese freiere Art (das melismenreiche Singen der Wolgadeutschen — J. W.) auch in der alten Heimat der Kolonisten, im mündlichen Vortrag des Volksliedes bis in die Auswanderungszeit gegolten haben mag. Die Urwüchsigkeit und Autochthonie der Kultur der Rußland- und Sowjetdeutschen wurde später von anderen sowjetischen und ausländischen Forschern bewiesen. Wir halten die altertümlichsten Erscheinungen in der Gesangsmanier der Sowjetdeutschen für Relikte mittelalterlicher und bäuerlicher Vortragsweise und erklären alle Veränderungen in den Liedern der Rußland- und Sowjetdeutschen mit aktiven schöpferischen Prozessen, die in den deutschen Siedlungen Rußlands und der Sowjetunion infolge beständiger Wechselwirkung und Vermischung mit den örtlichen Überlieferungen vor sich gegangen sind.

Schünemann kannte von Kind auf das deutsche Volkslied in seiner professionellen Vortragsweise und erkannte daher im Gesang der deutschen Kolonisten Rußlands nicht die echte bäuerliche Volksgesangsmanier.

Die Haupterrungenschaft der vorrevolutionären Periode ist die Entdeckung der Folklore der Rußlanddeutschen für die Wissenschaft, die Erschließung ihres Reichtums und ihrer Vielfalt, ihrer grundlegenden stilistischen Merkmale und ihrer Vortragsmanier, wenn sie auch falsch gedeutet wurde.

* * *

Wenn vor der Großen Oktoberrevolution die folkloristische Arbeit in Rußland auf Initiative von Privatpersonen betrieben wurde, so erhielt sie nach der Revolution aktive staatliche Unterstützung. Im Jahre 1924 begann die systematische Erforschung der deutschen Siedlungen im Leningrader Gebiet durch Viktor Maximowitsch Shirmunski, Professor der Hochschule für Sprachkultur (jetzt Hochschule für russische Literatur — Puschkinhaus). Aufgrund einer Vereinbarung mit dem Freiburger Archiv wurde die folkloristische Expeditionsarbeit in den deutschen Siedlungen verstärkt.

1926 bis 1930 wurden von A. Ström, L. Sinder, G. Bachmann, T. Sokolskaja und W. Pogorelskaja alle Mutterkolonien in der Ukraine erforscht. E. Johannson untersuchte eine Reihe von Kolonien auf der Krim, V. Shirmunski die Kolonien Transkaukasiens, J. Karblom die Kolonie Riebensdorf im Nowgoroder Bezirk. E. Johannson und A. Zeljasko führten Erkundungsexpeditionen in Sibirien und Kasachstan durch. Die Akademie der Wissenschaften der Ukrainischen SSR gründete eine Sektion für deutsche Folklore am Odessaer Heimatmuseum.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse V. Shirmunski sind in seinen Büchern und Abhandlungen festgehalten, Eine Bibliographie seiner Arbeiten auf dem Gebiet der sowjetdeutschen Folklore ist in den Zeitschritten „Nauka“, 1965, Nr, 5, und „Sowjetskaja Etnografia“, 1973, Nr. 3, veröffentlicht.

Das Ergebnis der Expeditionsarbeit war die Schaffung eines sowjetischen Volksliederarchivs an der Leningrader Hochschule für Sprachkultur. Insgesamt enthält das Archiv 3950 Liedertexte und ihre Varianten. Davon sind in der Ukraine 1730 aufgenommen, auf der Krim 550, in Transkaukasien 330, im Leningrader Gebiet 900, von den Sammlern im Wolgagebiet wurden 430 eingesandt. Im Archiv werden mehr als 600 Vierzeiler aufbewahrt. Die Liedertexte sind maschinegeschrieben, systematisch geordnet. Die Sammlung hat zwei Kataloge: einen systematischen und einen geographischen. Mehr als tausend Melodien wurden auf Phonograph und Grammophon aufgenommen, dreihundert hat Hermann Bachmann nach dem Gehör niedergeschrieben. Die Entschlüsselung der Melodien besorgten die bekannten sowjetischen Folkloristen Jewgeni Gippius und Sinaida Ewald. Ein Mangel der Sammlung besteht darin, daß die Texte und Melodien getrennt voneinander vorliegen. 500 Aufnahmen wurden dem Freiburger Volksliederarchiv übergeben. Einen Bericht über die Folklore-Expedition 1928 in die Kolonien Rastatt, Waterloo, Speyer, Landau, Sulz, Rohrbach, Katharinental, Johannistal und Worms hinterließ uns Hermann Bachmann in seinem Büchlein „Durch die deutschen Kolonien des Beresaner Gebiets“ (Charkow, 1929).

Das wissenschaftliche Interesse V. Shirmunskis galt hauptsächlich der historischen, sozialen und geographischen Differenzierung der sowjetdeutschen Folklore. Er stellte fest, daß die Folklore der Sowjet- deutschen altertümlicher ist als die Folklore Deutschlands, daß die Folklore der ukrainischen und transkaukasischen Deutschen neuer ist als die der Wolgadeutschen. Er erklärte das mit der Verschiedenheit der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung dieser Regionen. Im Leningrader Gebiet hatten sich Elemente alter Folklore erhalten, aber Lieder wurden nur noch von der alten Generation gesungen. Die Jugend sang ausschließlich russische und sowjetische Lieder, was sich aus dem Einfluß der Großstadt erklären läßt. Versuche, Liedervarianten bei den Deutschen in der Sowjetunion und in Deutschland in geographischer Hinsicht zu vergleichen, stießen auf Schwierigkeiten, weil dieses Problem in Deutschland selbst nicht erarbeitet war. Die Analyse zweier Fassungen des Lieds „Es war ein reicher Schlächtersmann“ zeigte indes, daß solche Forschungen möglich sind und fruchtbar sein können.

Eine monographische Untersuchung der Kolonie Jamburg am Dnjepr ermöglichte es festzustellen, daß die Lieder der Tochterkolonien altertümlicher waren als die Lieder der Mutterkolonien. Unsere folkloristische Untersuchung im Dorf Kirowo bestätigte die Voraussicht V. Shirmunskis, daß man die ältesten Volkslieder und die älteste Vortragsmanier in den deutschen Ansiedlungen Kasachstans, Sibiriens und Mittelasiens suchen müsse. Nach den Angaben V. Shirmunskis waren das Liedgut und seine Vortragsmanier bei der wohlhabenden Oberschicht des Dorfes modernisierter als bei den Armen, da für die ersteren die Bildung und die Elemente der städtischen Kultur zugänglicher waren. Während die armen Sänger die ornamentierte Vortragsweise pflegten, befleißigten sich die Sänger der wohlhabenden und gebildeten Oberschicht einer „reineren“ melodischen Form in denselben Liedern.

Bei der Untersuchung der in Rußland entstandenen Lieder zeigte V. Shirmunski, wie das Volk überlieferte Formen benutzt, um sie mit neuem geschichtlichen Inhalt zu bereichern, wie sich neue Texte mit alten oder mit neuen weit verbreiteten Melodien vereinigen, zum Beispiel mit der allbekannten Melodie des russischen Liedes von Stenka Rasin.

Zu den bedeutendsten folklorischen Arbeiten Shirmunskis gehören „Die deutschen Kolonien in der Ukraine“ (Moskau, 1928), „Das kolonistische Lied in Rußland“ (in „Zeitschrift des Vereins für Volkskunde“, 1928, 3—4), „Volkslieder aus der bayrischen Kolonie Jamburg am Dnjepr“ (Wien, 1931). Die wissenschaftliche Problematik der sowjetdeutschen Folklore wird dargelegt in seinem Vortrag „Volkskundliche Forschungen in deutschen Siedlungen der Sowjetunion“, den er 1930 auf dem Folkloristenkongreß in Berlin gehalten hat. Die allgemeinen Ergebnisse seiner Forschungsarbeit enthält seine Abhandlung «Итоги и задачи диалектологического и этнографического исследования немецких поселений СССР» («Советская этнография», 1933, № 2).

Probleme des russischen und ukrainischen Einflusses auf das deutsche Lied, der Entwicklung des deutschen Liedes in der Ukraine, der Besonderheit des Liedguts der deutschen Sprachinseln in der UdSSR werden in Abhandlungen von Alfred Ström, H. Steinwand, Tatjana Sokolskaja u. a. behandelt.

Eine aktive folkloristische Sammeltätigkeit wurde auch in der ASSR der Wolgadeutschen unter der Leitung des bekannten Dialektologen Georg Dinges durchgeführt. Es wurden 1928 von Expeditionen des Volkskommissariats für Bildungswesen in zehn Dörfern des Kantons Krasny Jar 193 Lieder aufgenommen, 1929 im Dorf Blumenfeld 301 Lied, 1935 in den Dörfern Mariental und Herzog 40 Lieder, 1937 im Dorf Paulskoje 39 Lieder, in Unterwalden 51 Lieder, in 258 Kukkus 42 Lieder, in Dobrinka 35 Lieder. Im selben Jahr wurden 80 Aufnahmen von Instrumentalmusik gemacht. Im Jahre 1940 fand eine folkloristische Expedition statt, geleitet von Andreas Saks, unter Mitwirkung Victor Kleins sowie des künstlerischen Leiters des Gesangs- und Tanzensembles der Deutschen Wolgarepublik, des Komponisten Gottfried Sehmieder, die sich mit der Sammlung von Folklore aus der sowjetischen Zeit befaßte. Es wurden 90 Werke aufgeschrieben.

1932 erschien in der Serie „Landschaftliche Volkslieder“ der Sammelband „Wolgadeutsche Volkslieder mit Bildern und Weisen“, herausgegeben von Georg Dinges, Bilder von Paul Rau. Er enthält alle Varianten bereits bekannter und veröffentlichter sowie bisher unveröffentlichter Lieder. Unter den letzteren ist auch das Lied vom Dorf Schilling:

Schilling ist ein schönes Städtchen,
Weil’s so dicht am Wasser liegt,
Weil’s so dicht, weil’s so dicht,
Weil’s so dicht am Wasser liegt.

Sind auch schöne Mädchen drinnen,
Wenn man sich auf sie verläßt.

Gerne tät ich bei ihr stehen,
Wenn der Hund nicht bellen tät.

Gerne tät ich sie mal küssen,
Wenn ihr Mund von Zucker wär.

Gerne tät ich bei ihr schlafen,
Wenn die Nacht drei Jahr’ lang wär!

Immer noch werden die Scherzlieder gesungen, die in dieser Liedersammlung gedruckt sind. Das sind die Lieder „Ach, Bruder, mein Kittel geht vorne nicht zusammen!“, „Als ich ein armer Mann war, da ging ich übers Feld“, „Bruder Lustig! — Ei was dann? — Wo willst du dann gehen?“. Volkslieder wurden in den Schulliederbüchern gedruckt. Das waren das „Deutsche Liederbuch“ und die Liedersammlung „Singt mit“, die von dem Schulmusiklehrer Leo Bellendier herausgegeben wurde. Volkslieder wurden auch in Liederheften herausgegeben. In den Vorkriegsjahren sind an der Wolga 200 Liederhefte erschienen.

Im Wolgagebiet wurde auch theoretische Arbeit durchgeführt. Eine der ersten Arbeiten war die von Sinaida Potulowa „Armut und Reichtum im Wolgadeutschen Volkslied“ („Teutonista“ 1926/27). Die bedeutendste Arbeit jener Periode war die Dissertation Semjon Jewgenjewitsch Maximows «Народная музыкальная культура немцев Поволжья», die sich auf sowjetdeutsches Volkslied und Volksmusikmaterial stützte und im Jahre 1939 im Moskauer Konservatorium verteidigt wurde. Sie besteht aus zwei Teilen: Gesangskultur der Wolgadeutschen und instrumentale Volksmusik. Der erste Teil enthält eine Beschreibung des musikalischen Lebens der Wolgadeutschen vor der Revolution, aus Deutschland mitgebrachte und in Rußland entstandene Lieder, und es werden die Besonderheiten des musikalischen Ausdrucks beider charakterisiert. Im zweiten Teil wird die Rolle der instrumentalen Volksmusik im Leben der Massen, ihr Niederschlag in der verbalen Folklore gezeigt, werden die Hochzeitsmusikanten und ihr Repertoire charakterisiert. Maximow beschreibt die Volksinstrumente, die aus der heutigen Musikpraxis verschwunden sind: Steppenpfeif, Heududel, Ringelstock, Dudelsack.

Maximow unterstreicht die nationale Eigenheit der sowjetdeutschen Folklore und Vortragsmanier. Gegen Schünemann polemisierend schreibt er:

„Es ist kaum wahrscheinlich, daß die Wolgadeutschen den Geist der Kultur der sie umgebenden Völkerschaften übernommen hätten, denn das „Wesen“ der musikalischen Kultur wird viel schwerer übernommen als ihre äußeren Erscheinungsformen“. Was die Vortragsmanier betrifft, so äußert Maximow die Überzeugung, daß „Schünemann (der Vortragsmanier der Rußlanddeutschen — J. W.) zuschreibt, was auch ohne irgendwelchen fremden Einfluß dieser Erscheinung eigen sein konnte“.

S. Maximow liefert neue Züge zur Charakteristik des gedehnten ornamentierten Gesangs. „Die Freiheit im Umgang mit der Melodie und dem Text ist wohl die wichtigste Beobachtung aller, die mit deutschen Dorfsängern zu tun hatten.“ Die Sänger können „einfach“ aber auch „verziert“ singen, das zeugt davon, daß die Volkssänger die Melodien verzieren und variieren. Das bestätigen auch unsere Beobachtungen. Ob der Sänger „einfach“ oder „verziert“ singt, hängt von seiner guten oder schlechten Stimmung, dem positiven oder negativen Verhalten der Zuhörer zu seinem Vortrag, von dem Zustand seiner Stimme und von Altersbesonderheiten ab.

Mit der Dissertation Maximows geht die zweite Periode des Studiums der sowjetdeutschen Folklore zu Ende. Hier wären zu erwähnen die Vorbereitung der Herausgabe der Sammlungen von Liedern der Deutschen des Gebiets Leningrad und der Ukraine durch V. Shirmunski und seine Mitarbeiter, einer Sammlung von Wolgadeutschen Liedern P. Sinners, L. Baumtrogs und anderer. Aus verschiedenen Gründen sind sie nicht erschienen.

Von großem Interesse sind auch die ausländischen Veröffentlichungen über die Folklore der Deutschen, die aus Rußland nach Amerika ausgewandert waren. 1937 gab der Volksbund der Rußlanddeutschen in Argentinien eine Auswahl von Texten „Rußlanddeutsche Lieder aus der Kolonie Santa Theresa“ heraus, die auch als „Rußlanddeutsches Liederbuch“ bekannt ist. Der Herausgeber Thomas Kopp war sich über die Bedeutung des Volksliedes für das Volk im Klaren. Im Vorwort betonte er: „Mit jedem, der stirbt, sterben auch paar Lieder“ und rief zum Mitsammeln auf. Die meisten Lieder stimmen mit den Wolgadeutschen Volksliedern überein. Es wurden auch neue Lieder geschaffen wie das "Chacolied“, das von Thomas Kopp auf gezeichnet wurde:

Pater Holzer hat gemacht bekannt,
Chaco war ein schönes Land.
Dazu stimmten andere auch noch bei,
Wenn sie es auch gleich noch nicht gesehen.
Mag es sein, wie es will,
Doch soll der Wille Gottes geschehen!

Drum wollen jetzt auch viele Leut
Nach Chaco ’naus mit vieler Freud!
Sogar unser Schmied, der Herr Schilling,
Der versteht sein Handwerk schon übergut.
In aller Früh hämmert’s ting, ting,
Und das Eisen glühen tut.
So geht denn auch schon der Vetter Reis,

Denn er hat hier keinen guten Preis;
Dazu noch der Vetter Nab
Als diplomierter Brunnenbohrer
Und der neue Ehemann Schwab
Für erste Koloniebewohner.

Drum will auch der Jakob Deibele
Dorthin mit einem Flügele.
Kette hat schon sein Platz verkauft.
Auch der Schreiner Müllers Joachim,
Castelli ist der Ort getauft,
Wo — wie es scheint — sie alle streben hin.

1917—1923 stellte Pater S. Lichius eine Sammlung von 733 geistlichen Liedern und Meßgesängen der katholischen Rußlanddeutschen, die bis jetzt noch in der Kirche aktiv verwendet wird.

Im Artikel „Volksdeutsche Lieder aus Argentinien“ hat Marius Schneider die vorkommenden Formen der Mehrstimmigkeit untersucht. Er hat festgestellt, daß die Rußlanddeutschen in Argentinien die ältesten Formen der Mehrstimmigkeit des deutschen Volksgesanges bewahren, die in Deutschland längst verlorengegangen sind.

1929 erschien eine „Sammlung deutscher Volkslieder der Rußlanddeutschen in Amerika im nordwestlichen Teil der Vereinigten Staaten und Kanada“, gesammelt und herausgegeben von Brendel und Zahn („Dakota-Rundschau“, Bismark).

Unter den Arbeiten deutscher Forscher nimmt die Abhandlung A. Mauchs „Das deutsche Lied am Schwarzen Meer“ (In: Deutscher Volkskalender für Bessarabien, 1929) eine besondere Stellung ein. A. Mauch liefert interessante Angaben über die musikalische Erziehung in den Schwarzmeersiedlungen am Ende des vorigen und zu Beginn unseres Jahrhunderts. Er schreibt über die ersten Liederfeste in Arzis, Kischinjow, Odessa. Die Pflege des Chorgesangs konnte sich in den deutschen Kolonien natürlich aufgrund der Pflege des Kirchengesangs entwickeln. Wo es musikalisch geschulte Pastoren und Pfarrer gab, erreichten die Chöre oft ein hohes Niveau. A. Mauch nennt unter den besten damaligen Chören die von Tarutino, Schabo, Arzis, Saraty. Unter den Chorleitern nennt er H. Hahn, A. Neumann, A. Hoffmann. Einen der Chöre leitete er selbst. Neben geistlichen Liedern und Choralen wurden auch viele Volkslieder gesungen. Eine große Rolle in den Chören spielten Sänger aus den schöpferisch aktiven Familien und ganze Familiengemeinschaften, von denen oft der Klang des Chors abhing. Das Studium des Entstehens und der Entwicklung der Gesangskultur im Dorf Kirowo ergab, solche Familien imstande sind, den Grundstein zur Entwicklung der Volksliedkultur eines ganzen Dorfes zu legen und den Anstoß zur Entwicklung dieser Kultur für Jahrzehnte hinaus zu geben. Solche Familien waren in Kirowo (gegründet 1907) die Sanders aus Mariental (Pannestiel) und die Baiers aus Marienberg—Bisjuk (Wolgagebiet).

In den Artikeln von A. Mauch, A. Karasek-Langer, A. Brosch, H. Bräutigam wird der lähmende Einfluß der Kirche, besonders des Sektierertums auf das Volkslied gezeigt, das bei den Deutschen Bessarabiens und Wolhyniens aus dem häuslichen musikalischen Leben ausgemerzt und von den Jugendlichen im Freien „verstohlen“ gesungen wurde. Einigen Autoren gelang es, örtliche Besonderheiten von Liedern und ihrer Vortragsmanier aufzuzeigen. Helmut Bräutigam betont zum Beispiel die äußerliche Asketik der Vortragsweise der Deutschen Bessarabiens, die Härte ihrer Mundart und der Aussprache der Liedertexte, die vorwiegend Dreiteiligkeit und strenge Rhythmik, die Veränderlichkeit der Tempi, den Dreiklang der Melodik ihrer Lieder. Zum Unterschied von den Wolgadeutschen fehlen hier fast völlig Verzierungen.

A. Karasek hebt die Armut des Volksliedguts in Wolhynien hervor. Er sieht darin den Einfluß des Sektierertums, das seiner Meinung nach günstige Bedingungen für das Eindringen religiöser Melodien aus Amerika und für die aktive Pflege slawischer Lieder geschaffen hat.

Die zweite, die Vorkriegsperiode des Studiums der sowjetdeutschen Folklore zeichnet sich somit durch eine stürmische Belebung der Sammel- und Forschungsarbeit aus. Daran beteiligten sich Institute der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, das Volkskommissariat für Bildungswesen der Wolgarepublik, die Heimatmuseen in Engels und in Helenendorf in Transkaukasien (Jakob Hummel) sowie Privatpersonen. In dieser Periode erschienen Liedersammlungen, Bücher und Abhandlungen über Folklore, Dialektologie und Ethnographie der Sowjetdeutschen. Unsere Kenntnisse wurden auch durch Veröffentlichung ausländischer Fachleute bereichert.

* * *

Die dritte, die Nachkriegsperiode im Studium der sowjetdeutschen Folklore ist bei uns vor allem mit den Namen des Schriftstellers Victor Klein und des Komponisten Oskar Geilfuß verbunden. O. Geilfuß hat in Kasachstan und Mittelasien mehr als 300 Lieder auf geschrieben. In den Jahren 1971 und 1977 hat der Verlag „Kasachstan“ zwei Sammelbändchen „Deutsche Volkslieder“ für Singstimme und für Chor mit Klavierbegleitung herausgegeben. Neben bekannten Volksliedern gingen auch einige Lieder aus der sowjetischen Zeit in das erste Büchlein ein: aus dem Bürgerkrieg, über die Kollektivierung, aus der Vorkriegszeit. Das ist das schon früher erwähnte Lied „In den grünen Steppen“; ein anderes Lied aus dem Bürgerkrieg schildert den Kampf der Armee Woroschilows gegen die Banden:

Bei Zarizyn besiegten wir die Banden,
Wir liebten unsren roten Kommandeur.
Wir machten Woroschilow keine Schande
Und hielten stand in allen Kämpfen schwer.

Hoch zu Roß jagt den Feind er durch die Steppe,
Er jagt ihn im Galopp und auch im Trab.
Den Donbass und die Gruben und die Schächte,
Die gibt er keinen weißen Schurken ab.

Wenn jedoch die Halunken sollten wagen,
Von neuem unsre Heimat zu bedrohn,
So werden wir sie wiederum verjagen,
Sie kriegen ihren wohlverdienten Lohn!

Die gemeinsame Arbeit der Sowjetbauern in der Kollektivwirtschaft besingt das Lied „Frühlingskollektivgesang“:

Die, Lerche singt ein neues Lied,
Die Wagen rasseln unermüd!
Traktoren brummen tagelang
Den Frühlingskollektivgesang.

In den Vorkriegsjahren entstand das Lied „Pioniere und Elvire“ und die „Hopsapolka“. Der Text ist von Johann Schaufler gedichtet worden. Oskar Geilfuß gibt als Verfasser der Melodie das Volk an. In Wirklichkeit hat diese Weise der Komponist Gottfried Schmieder komponiert. Es gibt auch noch eine Weise zu diesem Text, die der Komponist Sebastian Haal aus Alma-Ata komponiert hat. Der Volkssänger hat schon die Verfasser des Liedes vergessen und singt das Lied als Volkslied.

In der Nachkriegszeit wurden Volkslieder der Sowjetdeutschen in dem Schulliederbuch „Wir singen deutsch“ (Moskau, 1973) und dem Liederbuch „Schön ist die Jugend“ (Moskau, 1975) sowie in Sammelbänden für die Laienkunst gedruckt, zum Beispiel „Dorfbühne“ (Zelinograd, 1957).

Eine theoretische Arbeit über die sowjetdeutsche Folklore der Nachkriegszeit stellt das Buch Victor Kleins „Unversiegbarer Born“ (Alma-Ata, 1974) dar. Heutzutage lebt das Volkslied und die instrumentale Volksmusik hauptsächlich in der älteren Generation, stellt der Verfasser fest. Die Hauptsphäre der Folklore sind der Gesang zu Hause, bei Familienfesten, auf Hochzeiten, seltener werden Volkslieder auf der Laienbühne und von Berufskunstlern gesungen.

Victor Klein beleuchtet den Ursprung, die Genres, die Thematik, die Sprache, den Stil, den Rhythmus, die Symbolik des Volkslieds. Er liefert glänzende Porträts von Volkssängern und wertvolle Angaben über den Gesang von Jugendgruppen in den Wolgakolonien der Vorkriegszeit. Victor Klein gibt eine objektive Charakteristik von Liedern historischen Inhalts, beschreibt ausführlich lyrische, rituelle und Soldatenlieder, führt viele Tatsachen über die Ethnographie der Hochzeitsgebräuche und anderer nationaler Sitten an.

Es gibt in dieser Arbeit auch strittige Stellen. Zum Beispiel kann man kaum der Behauptung zustimmen, die neue Zeit habe keine neuen lyrischen Lieder geschaffen. Dazu gehören die schon oben erwähnten Lieder „O wie lang soll es noch dauern“ und auch „Schilling ist ein schönes Städtchen“ aus den „Wolgadeutschen Liedern“ von Georg Dinges. Wie die Mehrzahl der neuen Lieder werden auch diese beiden Lieder nach bekannten Melodien gesungen. Der erste Text wird nach der Melodie des russischen Lieds «В воскресенье мать старушка», der zweite nach der weniger bekannten Melodie des rituellen Lieds „Ihr Musikanten, tut mir spielen“ gesungen.

Als Beilage enthält das Buch Noten zu 20 Liedern, die Victor Klein und der Verfasser dieser Abhandlung während einer gemeinsamen folkloristischen Expedition im Frühjahr 1974 in Nowosibirsk aufgeschrieben haben. Das Aufschreiben und die Veröffentlichung der Lieder waren als Beginn einer gemeinsamen Arbeit gedacht. Ein viel zu früher Tod hat es. Victor Klein, diesem begabten und prächtigen Menschen, nicht vergönnt, viele seiner Pläne zu verwirklichen. Im Verlag „Kasachstan“ befindet sich das Manuskript des zweiten Teils des Buches, in welchem die ganze Vielfalt der Kinderfolklore aufgezeigt wird. Seine Veröffentlichung wird ein großer Beitrag zum Studium der sowjetdeutschen Kultur sein. Wir sind es auch dem Andenken des aufrechten Patrioten, Schriftstellers, Pädagogen schuldig, der alle seine Kräfte der Entwicklung der Sprache und Kultur unseres Volkes gewidmet hat.

Der Verfasser dieses Beitrags befaßt sich seit zehn Jahren mit sowjetdeutscher Folklore. In dieser Zeit gelang es mir mehr als 2500 Volkslieder und Musikstücke verschiedener Genres aufzuzeichnen. Die meisten Aufzeichnungen wurden im Gebiet Karaganda, ein Teil im Gebiet Nowosibirsk gemacht, 1000 Aufzeichnungen stammen aus dem Dorf Kirowo. Es gibt Niederschriften, die mir von einzelnen Sängern und Musikanten handschriftlich oder auf Tonband aus verschiedenen Republiken und Gebieten der Sowjetunion eingesandt wurden. Außerdem wurde der Großteil der Veröffentlichungen über die Folklore der Rußland- und Sowjetdeutschen gesammelt.

Mein Interessenkreis ist die Rolle der Folklore in der Gesellschaft — die Soziofolkloristik. Da diese Wissenschaft erst in den Kinderschuhen steckt, ist es wohl angebracht, einige ihrer Grundsätze zu erläutern. In meinen Überlegungen stütze ich mich auf eigene Beobachtungen der sowjetdeutschen Folklore, auf eine gründliche Untersuchung des Volksgesangs im Dorf Kirowo, auf die Untersuchungsergebnisse anderer sowjetischer und ausländischer Forscher.

Ein jedes Volk hat nicht nur das Lied, die Instrumente und die Musik erfunden, sondern ein soziofolkloristisches System geschaffen, in dem die Folklorewerte und ihre Träger selbst funktionieren. Es gibt zwei Niveaus des Funktionierens — MAKRO und MIKRO. Stufen des Markoniveaus sind die Folklorekultur der Gesellschaft eines Staates, National-, Regional-, Lokal-, Siedlungs (Dorfs)-Folkloretraditionen.

Der Hauptbereich des Funktionierens der Folklore im Mikroniveau ist die Sing- oder Spielgemeinschaft — die Folkloregruppe. Ein Mensch kann zum Träger der Folklore werden, nur wenn er sich den Liederschatz seines Dorfes in der Singgemeinschaft anhört oder mitsingt. Was ist eigentlich eine Folkloregruppe? Gibt es eine Folkloregruppe im alltäglichen Leben? Nein. Wie die Folklore im Gedächtnis des Volkes lebt und zum klingenden Werk nur beim Singen wird, so auch die Folkloregruppe: Es ist immer eine Kinder-, Jugend-, Arbeits- usw. Gruppe, die während des Musizierens jedesmal von neuem als eine Folkloregruppe erscheint und nach dem Musizieren wieder ins alltägliche Dasein taucht. Die Folkloregruppe hat eine soziale Struktur, ihre Folklorewerte, ein System der Wechselbeziehungen ihrer Mitglieder, Funktionen, ihre Besonderheiten im Prozesse des Singens.

SOZIALE STRUKTUR DER GRUPPE. Sind nur die Sänger Mitglieder der Folkloregruppe? Nein. Mitglieder sind alle, die das Singen miterleben. Die ästhetische Tätigkeit selbst ist nur ein Teil der Lebenstätigkeit der Menschen und der Alltagsgruppe. Man kann die soziale Struktur und die Beziehung zwischen der ästhetischen und nichtästhetischen Tätigkeit so zeigen: 1. ein oder einige Vorsänger, — die Sängergruppe (die Hauptsänger, die die Folklorewerte der Gruppe bestimmen), — ständig und aktiv singende Mitglieder der Gruppe, episodisch und passiv Singende, — die Nichtsänger; 2. ästhetische Tätigkeit (vorwiegend ästhetische, vorwiegend nichtästhetische, nichtästhetische Tätigkeit). Während des Musizierens der Gruppe gibt es keine reine ästhetische und keine reine nichtästhetische Tätigkeit. Alles und alle wirken auf alle und alles.

FOLKLOREWERTE DER GRUPPE. Die Folkloregruppe ist eine Einheit des sozialen und des ästhetischen Werts. Zu sozialen Werten gehören selbst die Mitglieder der Gruppe mit ihren psychophysiologischen Besonderheiten, ihren Stimmen, Fähigkeiten. Zu den Folklorewerten gehören das Liederrepertoire, die Vortragsart u.a.m., kurz, das WAS, WO, WIE, WANN, mit WEM man singen kann und darf oder nicht kann und nicht darf, so auch WAS man über die Lieder, die Sänger, das Singen denkt und spricht. Aus den Kombinationen der Sänger, ihrer Möglichkeiten und schöpferischen Aktivität bilden sich Gruppenfolklorewerte, werden Gruppennormen geschaffen, die immer ein Teil der Folklorewerte und Normen der Dorffolkloretradition sind. Zum Beispiel in Kirowo funktionieren ungefähr 500 deutsche Volkslieder. Die Gruppen der 70jährigen besitzen einen Liederkern von ungefähr 90 Liedern (obwohl die einzelnen Sänger der Gruppen bis 180 Lieder singen), die 50jährigen — bis 45 deutsche und ebensoviel russische Lieder. Es ist interessant, daß alle Gruppen eines- Alters immer denselben Liederkern singen wie in der Zahl, so auch in der Art, während die anderen Lieder den einzelnen Sängern eigen bleiben.

DIE GRUPPENBEZIEHUNGEN. Ein jedes Mitglied hat in der  Gruppe seinen festen Platz — spielt seine Rolle. Was sind das für Rollen? In Kirowo gibt es einen Vorsänger, einen „Ausleger“ des Inhalts der Lieder, Sänger, die die erste oder die zweite Stimme singen, alle Stimmen eine Oktave höher „iwrtreibe“ oder „iwrhoule“, oder den „Baß“ singen. Ein guter Sänger kann gewöhnlich alle Stimmen des mehrstimmigen Gesangs ausführen. In der Gruppe verfestigen sich aber die Rollen und werden konkreten Mitgliedern zugeteilt. Die Verfestigung kann zur Spezialisierung führen, so daß der Sänger nur eine Rolle in seiner synchronen Gruppe spielt: nur vorsingt, nur die erste oder die zweite Stimme singt oder nur die Stimmen hoch überlegt. In Kirowo war und ist die beste Vorsängerin Rosalia Krug; Amalia Sachs singt am besten und immer die zweite Stimme, und Rosalia Rollheiser singt am besten hoch. Die Wechselbeziehungen der Sänger in der Gruppe, ihre Zahl und Kombinationen, die Gruppennormen des Musizierens bestimmen den Klang und die mehrstimmige Faktur der Lieder, die von Gruppe zu Gruppe bei demselben Liede verschieden sind.

Funktionen der Gruppe. Die Folkloregruppe ist polyfunktional. Die Hauptfunktion der Gruppe im Volksgesange des Dorfes ist die Realisierung der Folklorewerte und die Selbstrealisierung der Folkloreträger beim Gruppengesang. Wichtig sind die Funktionen der Kommunikation (weil das Musizieren selbst der Gruppe eine Wechselwirkung seiner Mitglieder, also eine Kommunikation ist), der Integration (des Zusammensingens der Gruppenwerte und Herausarbeitens der Gruppennormen), der Differentiation (das Verteilen der Rollen in der Gruppe). Für die Folkloregruppe Ist die Vielfältigkeit der Funktionen der Folklore charakteristisch, das sind die ästhetische, erzieherische, Erhaltungs-, Informations- u. a. Funktionen.

Soziofolkloristische Struktur des Dorfes. Jeder Folkloreträger singt gewöhnlich gleichzeitig in etlichen (synchronen) Folkloregruppen (In der Familie, auf der Arbeit, auf der Hochzeit usw.). In einigen Gruppen singt er sein ganzes Leben lang, in den anderen — eine kürzere oder längere Zeit. Die einen verschwinden, die anderen entstehen von neuem (diachrone Gruppen). Im Dorfe gibt es vier Arten von Folkloregruppen:

1. Altersgruppen. Hier sind die Alterswellen wichtig, die die Einwohner des Dorfes im Abstand von 5—7 Jahren vereinigen und die Folkloregruppen einbeziehen, in denen sie ihr ganzes Leben lang singen können.

2. Geschlechtsgruppen. Männer-, Frauen- und gemischte Folkloregruppen.

3. Situation- oder Singgelegenheitsgruppen. Für die Sowjetdeutschen sind alltägliche und feierliche Familien- und Spielegehngruppen, Kinder-, Jugend-, Arbeits-, Hochzeitsgruppen typisch, In unserer Zeit gibt es im sowjetdeutschen Volksgesang fast keine Kinder- und Jugendgruppen, die deutsche Lieder singen.

4. Ethnische Folkloregruppen. Das sind Gruppen der Deutschen, Russen, Kasachen, Ukrainer usw.; Dialektgruppen der Deutschen: Schwaben, Plattdeutsche, Wolgadeutsche u. a.

Soziofolkloristisch gesehen bildet eine jede Art der Folkloregruppen sein System. Das Dorf selbst ist ein System von Folkloregruppen. Die soziofolkloristische Struktur des Dorfes kann man in drei folgende Stufen einteilen: 1. der einzelne Folkloreträger, 2. seine synchronen Folkloregruppen, 3. alle Alters-, Geschlechts-, Situations-, ethnische Folkloregruppen des Dorfes. In diesem System wirken wieder alle und alles auf alles und alle. Das Makro- und Mikroniveau überschneiden sich in der Folkloretradition eines Dorfes, einer Siedlung. Das Anknüpfen der lokalen, regionalen, nationalen Folkloretraditionen und der gesamten Folklorekultur der Gesellschaft eines Staates bilden die ganze soziofolkloristische Struktur einer Gesellschaft.

Das Studium des soziofolkloristischen Systems ist notwendig, um die Gesetze des Funktionierens der Folklore eines beliebigen Volkes richtig zu verstehen. Mit dem Zerfall der patriarchalischen Familie, der Entstehung einer neuen sozialen Organisation des heutigen Dorfes, der Übermittlung von Kunstwerken durch die Massenmedien zerfallen die traditionellen Folkloregruppen und ihre Systeme, gehen alte Bindungen verloren und entstehen neue. Dies alles und eine Reihe anderer Ursachen führen zu einem rapiden Absterben der traditionellen sozialen Basis der Ausübung der Folklore und daher zum Erlöschen der Folklore an und für sich. Aber die zeitgenössische Gesellschaft braucht dringend außer einem organisierten Ausübungssystem der Kunst (berufsmäßigen oder Laienkunst) ein System unorganisierten — alltäglichen und festlichen — spontanen Musizierens, ähnlich dem oben von uns beschriebenen. Um ein solches System zu schaffen, muß man eben die Gesetzmäßigkeiten des Funktionierens der Folklore in der Gesellschaft und die soziofolkloristischen Systeme feststellen, die durch die musikalische Praktik verschiedener Völker geschaffen wurden und sich jahrhundertelang bewährt haben.

In den Nachkriegsjahren und in unseren Tagen weckt der Volksgesang der Sowjetdeutschen immer wieder großes Interesse bei den Forschern. 1949 sind in Stuttgart „Volkslieder und Kinderreime der Deutschen aus Bessarabien“ erschienen, gesammelt von Friedrich Fichtner. Walter Salmen gibt in seinem Buche „Das Erbe des ostdeutschen Volksgesanges“ (Würzburg, 1956) unter anderen deutschen Landschaften auch die Geschichte und die Quellen des rußlanddeutschen Volksgesanges. Die Beschreibung des Musiklebens der Rußlanddeutschen gibt auch Hans Moser in seinem umfangreichen Band „Musik der deutschen Stämme“ (Stuttgart, 1957).

Beide Autoren verhalten sich kritisch zur Idee des „russischen“ Singens der Rußlanddeutschen. Die Sammel- und Forschungsarbeit summierend, bedauert W. Salmen, daß V. Shirmunski seine Folkloreforschungen aufgab, „was, von einem Intermezzo 1942 abgesehen, als Johannes Künzig sammelnd und beobachtend das Schwarzmeergebiet durchquerte, hier das Ende der deutschen Sprachinselforschung bedeutet“ (S. 85). In den fünfziger Jahren war der deutsche Volksgesang in der Sowjetunion noch in der Blüte, und solche Schlüsse zu machen, war wenigstens frühzeitig.

1964 im Artikel „Ein halbes Jahrhundert deutscher Volksliedforschung“, der dem 50jährigen Bestehen des Freiburger Volksliedarchives gewidmet war, haben Josef Lanski und Wolfgang Suppan das Verzeichnis und die Zahl der von dem Archiv gesammelten rußlanddeutschen Volkslieder angegeben, 1971 Ist in Tübingen „Das Schrifttum über das Deutschtum tu Rußland“ von Karl Stumpp herausgegeben worden, ein bibliographisches Werk, das für Forscher der Geschichte und Kultur der Rußland und Sowjetdeutschen von Interesse ist.

1969 erschienen im „Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde“ (Bd. 12) zwei Artikel: „Georg Sänger aus Leichtling von der Wolga als Träger der volkstümlichen Überlieferung seines Dorfes“ von Alfred Camman und die „Untersuchung zum Lied-Repertoire des Rußlanddeutsehen Georg Sänger aus Leichtling an der Wolga“, in denen der Oberlieferungsträger, seine Familie und sein Charakter, das Singen in seinem Dorfe, der Menschenschlag, die Sprache und Mundart untersucht sind. Wolfgang Suppan gibt eine musikologische Untersuchung des Liedrepertoires von Georg Sänger.

Die Musikforscher interessiert immer wieder die „freiere Art“, das melismenreiche „russische“ Singen der Rußlanddeutschen. 1967 im Artikel „Zum melismatischen Singen der Wolgadeutschen“ stellte Wolfgang Wittrock etliche Fragen zu diesem Problem. Zusammenfassend schreibt er:

„Melismatisches Singen kommt ... in verschiedenen Rückzugslandschaften des deutschen Sprachgebiets bis heute vor. Diese Verbreitung ... laßt schließen, daß melismatisches Singen ein alter Zug im Vortragsstil des deutschen Volksgesanges ist. ... Dieses Singen dürfte ... auch in jenen binnendeutschen Landschaften üblich gewesen sein, aus denen die Wolgadeutschen auswanderten. Diese konnten melismatisches Singen also aus ihrer alten Heimat in die Wolgakolonien mitbringen und bewahrten es dort bis jetzt (S. 650). Es scheint damit unwahrscheinlich, daß der Wolgadeutsche Singstil die Melismatik aus der russischen Umgebung übernommen hat.“

Wolfgang Suppan ist in seinem Artikel „Das melismatische Singen der Wolgadeutschen in seinem historischen und geographischen Kontext“ noch konkreter: „Diese Vortragsart“, meint er, „ist bei den Wolgadeutschen nicht auf direkten Einfluß der sie umgebenden ethnischen Gruppen zurückzuführen, sondern bei der Umsiedlung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von den Kolonisten mitgetragen worden“ (S. 237). Die Einseitigkeit der Hypothese Schünemanns scheint W. Suppan dadurch begründet, daß dieser nur das Material der Völker Rußlands zum Vergleich herangezogen hat.

Wenn W. Wittrock bei seinen Voraussetzungen das geographische Prinzip der deutschen Sprachgrenzen berücksichtigt, so ist W. Suppan bemüht, das ornamentierte Singen der Wolgadeutschen im Zusammenhang mit den europäischen Kulturen aufzuzeigen. Er weist darauf hin, daß das ornamentierte Singen bei der Völkern Skandinaviens, des Balkans, der Alpenländer sowie in Korsika und auf den Färöer-Inseln gebräuchlich ist. Es herrscht überall dort vor, wo der normierende Einfluß der schriftlichen musikalischen Überlieferung fehlt, oder wo die schriftlich überlieferten Werke lange Zeit unter den Bedingungen mündlicher Überlieferung weiterleben. Als Beispiel dafür hält er, daß die geistlichen Lieder der Reformation und Gegenreformation bei den Wolgadeutschen lange erhalten geblieben sind.

„Auf sich allein gestellt“, schreibt W. Suppan, „und in ständiger Auseinandersetzung mit bodenständigen Gesängen, entfaltete sich melismatisches Singen in jener spezifischen, uns nun vorliegenden Gestalt. Wobei der formale Aufbau der Lieder vereinfacht, die Melodieführung im einzelnen bereichert wurde.“ (S. 240). W. Suppan betont die Übereinstimmungen zwischen der Verzierungspraktik der Wolgadeutschen mit der Gesang- und Diminutionslehre des 16. bis 18. Jahrhunderts, also der Zeit, da sich das reformatorische und gegenreformatorische Liedgut in Deutschland durchsetzte. Das ist offenbar so zu verstehen, daß den Vorfahren der Wolgadeutschen das melismenreiche Singen in der Kirche zur Gewohnheit wurde. Die einseitige Hypothese der „russischen“ Singweise ist somit durch eine andere, nicht minder einseitige Hypothese von der kirchlich-religiösen Grundlage des melismatischen Singens der Wolgadeutschen ersetzt.

Und wo bleibt das Volk selbst? Wo bleiben seine schöpferischen Möglichkeiten und Fähigkeiten? Ohne den Einfluß der Kirche und die Einwirkung der Kulturen der russischen Nachbarvölker auszuschließen, sind wir der Ansicht, daß das an Verzierungen reiche, hohe, gedehnte Singen der Wolgadeutschen seine Entstehung in der Schöpferkraft des deutschen Volks zu suchen hat. Es ist in den Reliktgebieten der Sprachinseln, in Lothringen und Hessen bis in die letzte Zeit erhalten worden. Wie H. Moser im oben erwähnten Buch schreibt, war Hessen, eines der hauptsächlichen Auswanderungsgebiete der Wolgadeutschen, zu jener Zeit im Vergleich mit den anderen Ländern in seiner Entwicklung um einige Jahrhunderte zurückgeblieben. Die ungewöhnliche Singweise der damaligen Hessener Bauern wirkte auf einen aufgeklärten Ohrenzeugen jener Zeit wie das „Heulen hungriger Wölfe“, und ihre lustigsten Lieder klangen wie Trauergesänge. Hessen konnte gerade jenes Reliktgebiet sein, wo sich vor der Auswanderung der Deutschen nach Rußland der mittelalterliche deutsche Bauerngesang erhalten hatte, der von unseren Vorfahren mitgebracht wurde und bis heute gepflegt wird.

W. Suppan hat richtig festgestellt, welche Umstände die Erhaltung und Entwicklung dieser Singweise im Wolgagebiet begünstigt haben: Es fehlte fast völlig der Einfluß fachmäßigen vielstimmigen Gesangs, Musikinstrumente kamen erst spät auf, die Improvisationskulturen der Nachbarvölker Rußlands waren vom selben Typus.

Was die historische Seite des ornamentierten Singen der Wolgadeutschen betrifft, so sieht W. Suppan seinen Vorgänger in den Halleluja-Melodien des gregorianischen Chorals mit seinem "kunstvoll verzierten, melismatischen Singstil“ (S. 240), der selbst im Davidischen Psalmenwerk der vorchristlichen Zeit vorgebildet war und noch weiter auf den ornamentalen liturgischen Gesängen im Ägypten des 3, Jahrhunderts vor Christus zurückgeht. Bei Allan Moberg findet W. Suppan einen Hinweis, daß der „melismatische Zug ... das (europäische) Hirtenlied typologisch mit dem wortlosen, gesungenen Beten des Morgenländers verbindet“. Damit wird das melismatische Singen der Wolgadeutschen in einer euroasiatischen Quelle in Zusammenhang gebracht.

In den USA befaßten sich in den Nachkriegsjahren Lawrence Weigel und Nick J. Pfannenstiel mit dem Sammeln von Folklore. Ihre Vorfahren verließen vor hundert Jahren die deutschen Kolonien Pfannenstiel und Herzog an der Wolga und gründeten im Staat Kansas eine neue Kolonie Herzog — heute Victoria. Sie sammelten 300 Lieder, schrieben einige Abhandlungen. 1956 stellten sie eine Sammlung von 135 Liedern zusammen, die unseren Liedern ganz nahestehen. Das sind die alten Balladen:

Ich stand auf hohen Bergen,
Schau hinunter ins tiefe Tal,
Da seh’ ich ein Schifflein schwimmen,
Drei Ritter die drauf war’n.

Oder:

In Poland steht ein schönes Haus;
Darin da wohnt ein Offizier.
Er hat so schöne junge Frau,
Sie weint den ganzen Tag so sehr.

Romanzen, die aus dem 19. Jahrhundert stammen:

An einem Fluß, der rauschend schoß,
Ein armes Mädchen saß.
Aus ihren blauen Äuglein floß
Manch Tranchen in das Gras.

Liebeslieder:

Herz, mein Herz, warum bist du so traurig,
Und ich bin aller Freuden voll.
Ei, das macht, weil du mir hast befohlen,
Daß ich kein’ anderen lieben soll.

Lustige Lieder:

Bin in Wien gewesen, hab mich umgeschaut:
Ach, wie ist die Wienerstadt so schön gebaut!
Schöne Kaffeehäuser, schöne Mädel drin,
Wer’s nicht glauben will, der fahre selber hin.
Und zum triumtrala und zum trallala usw.

Die Genres des Liedguts sind dieselben wie bei uns. Einige Lieder sind in vollständigeren Varianten veröffentlicht, es gibt verstümmelte Texte, die davon zeugen, daß die Lieder mit der Zeit vergessen werden. Die Lieder, die aus Rußland nach Amerika mitgebracht wurden und sich dort erhalten haben, sind wertvoll. Das sind die Auswanderungslieder wie das folgende:

Hier können wir ja nicht mehr leben,
Weil wir müssen Soldaten geben,
Ja als Ratnik müssen wir stehen,
Drum wollen wir aus Rußland gehen. . .

In der Sammlung sind Lieder, die in Rußland entstanden sind, doch bei uns nicht mehr leben oder noch nicht auf geschrieben sind. Eines von ihnen ist das Lied von der Jerchs Kattel:

Die Jerchs Kattel hat Fett gestohlen
Bei dem Friedrich Helm.
Er läßt sich gleich zwei
Männer nehmen Und sucht nach seinem Fett.

Und als sie bei Jerchs Kattel kamen,
Da kreischt sie gleich Kraul:
Ihr kommt daher und sucht bei mir,
Man meint, ich wär ein Dieb.

Wir wollen dich nicht zum Diebe machen,
Wir wollen nur mal sehn:
Gestern Abend hast du Fett gestohlen.
Die Leut haben dich gesehn.

Das Fett hab ich gestohlen.
Das sag ich frei heraus.
Drei Silberrubel geb ich euch,
Ach plaudert’s nur nicht aus.

Die Rute sollst du haben,
Das ist eine große Schand,
Da leg dich nur da nieder,
Auf diese schmale Bank.

Als sie die erste Rute krug,
Da tut sie ein heller Schrei.
Da sprach der Richter, nun besser drauf,
Das kommt von dein Betrug.

Für die Erforschung unserer Kultur haben solche Liedersammlungen einen großen Wert.

Auf Hochzeiten spielen in Victoria Musikkapellen, die aus Geige, Zymbal, Akkordeon und Cello (Kuh) bestehen. Als ästhetisches Ideal gilt hohes Singen. L. Weigel schreibt:

„Vorsingen muß ein hoher, starker Tenor, die anderen singen die zweite Stimme. Melismen und Fiorituren gibt es fast in jedem Lied“. Das zeugt von der Verbreitung der ornamentierten Singweise auch bei den Rußlanddeutschen in Amerika.

In den USA ist ein „Amerikanischer Historischer Verein der Deutschen aus Rußland“ tätig, die eine Zeitschrift unter dem entsprechenden Namen herausgibt. Die Gesellschaft besitzt ein Archiv und einen Bücherfonds mit einem Verzeichnis von mehr als 1000 Titeln über die Geschichte und Kulturgeschichte der Rußlanddeutschen, darunter vieles, was in der Sowjetunion erscheint. Archivleiterin ist Emma Haines.

Ende der 60er Jahre besuchte die österreichische Volkskundlerin Iris Barbara Graefe die deutschen Siedlungen in Argentinien. Ihr aus 11 Kapiteln bestehendes Buch „Zur Volkskunde der Rußlanddeutschen in Argentinien“ (Wien, 1971) beschreibt verschiedene Seiten ihres Lebens. Uns interessiert das VI. Kapitel: Bedeutung der mündlichen Überlieferung — musikalische Überlieferung. Lassen wir aber I. B. Graefe selbst zu Wort kommen, wenn es auch vielleicht etwas zu ausführlich ist.

„Immer noch ist bei den Rußlanddeutschen das Singen ein Faktor im Gemeinschaftsleben. Beeindruckend ist die Singfreudigkeit und damit das Beherrschen einer großen Anzahl von Liedern (bis 1000 — J. W.)... Manche Familien und Nachbarn finden sich abends am Sonntag zusammen, um zu singen. Früher war dies ein vielgepflegter Zeitvertreib. Die besten Sänger sind im Alter von 40—60 Jahren. ... Die Katholiken gelten unter den Rußlanddeutschen als die besseren und die fröhlicheren Sänger ... Die Singmanieren... sind eigentümlich... mit vielen Schleifen und Verzierungen... Träger und Pfleger des Gesanges sind heute meist die Hausväter. Sie sind Vorsänger beim gemeinschaftlichen Gesang...

...Die rußlanddeutschen Katholiken singen auch heute noch die Messen nach ihren überlieferten Melodien... Die Chorsänger — es sind Burschen und Männer — singen frei, in mehreren Stimmen. Es ist eindrucksvoll, so eine vielstimmig gesungene Russemess’ mit anzuhören...

Aber auch Spielmusik ist bei den Hochzeiten zu hören. Sie besteht im allgemeinen aus Violine, . . . Hackbrett, Baßgeige und Trummel... Die Baßgeige wird Kuh genannt, das Hackbrett einfach Brett oder Zymbal, Manchmal kommt noch Ziehоrgel dazu... Überall, wo ich Rußlanddeutsche zum Tanz aufspielen oder auch Lieder begleiten sah, fiel mir auf, daß sie mit dem ganzen Körper am Spiel beteiligt sind. Sie bewegen sich vor und zurück, wackeln im Rhythmus mit Kopf und Schultern, lachen fröhlich, sehen die Mitspieler an. Wie die Sänger muß man die Spielleute nicht nur hören, sondern auch sehen. Sie überfragen ihre Energie förmlich auf die Tänzer, die Musik wird durch ihr Verhalten noch mitreißender.“

Jeder, der das Singen der sowjetdeutschen Volkssänger und das Spiel der Volksmusikanten miterlebt hat, kann dasselbe sagen. So war es bei uns üblich, kommt auch jetzt noch vor.

Iris Barbara Graefe sammelte 170 Meßgesänge, viele Kirchen- und weltliche Gassenlieder bei den Sängern aller Altersgruppen. Mit dem Buch „Zur Volkskunde der Rußlanddeutschen in Argentinien“ und dem gesammelten Material hat I. B. Graefe einen wichtigen Baustein für die Erforschung der Volkskultur der Rußlanddeutschen beigetragen.

* * *

Das wichtigste Ergebnis des Studiums der volksmusika1isehen Kultur der Rußland- und Sowjetdeutschen in der dritten Periode und im ganzen ist, daß sie als eigenwüchsig und wertvoll erkannt wird und daß man sie als wichtigen Bestandteil der Kultur der Sowjetvölker betrachtet. Der Reichtum und die Vielfalt der Folkloregenres, die Originalität und — in den altertümlichsten Erscheinungen — die Einzigartigkeit der Vortragsmanier sowie die damit zusammenhängenden musikalisch stilistischen Züge bestimmen auch die Aufgabe der Forschung: sammeln, sammeln und sammeln! Darin sehen wir die heutige Hauptaufgabe.

Zum Studium der Geschichte und der Kultur der Sowjetdeutschen ist es unumgänglich, eine Forschergruppe zu bilden, die aus Historikern, Ethnographen, Folkloristen und Sprachwissenschaftlern besteht. Mit Berücksichtigung dessen, daß die Folklore nur noch in der älteren Generation lebt, muß man dringend ein Folklorezentrum schaffen, um Folkloreexpeditionen in Rayons Kasachstans, Mittelasiens und Sibiriens zu organisieren. An dieser wichtigen und edlen Arbeit können Studenten der Fakultäten für Deutsch als Muttersprache der Lehrerhochschulen in Nowosibirsk und Koktschetaw sowie von Lehrerbildungsanstalten teilnehmen. Man könnte für sie Vorlesungen über die sowjetdeutsche Folklore und folkloristische Praxis einführen, um Werke der mündlichen musikalischen und dichterischen Volkskunst der Sowjet- deutschen schriftlich festzuhalten.

Das theoretische Studium der musikalischen Folklore ist in folgenden Hauptrichtungen möglich:

1. Das Studium der Volksmusik und des Volkslieds der Sowjetdeutschen als eigenwüchsige und selbständige Erscheinung. Hier ist es wichtig klarzulegen, unter dem Einfluß welcher Faktoren die Besonderheiten der Genres und Gestalten, der nationalen Ästhetik und Musiktheorie, des Stils und der Vortragsmanier der sowjetdeutschen Folklore entstanden sind. Eine selbständige Bedeutung hat das Studium der Volksinstrumente, des soziofolkloristischen Systems des Funktionierens der Folklore.

2. Das Studium der sowjetdeutschen Folklore im Zusammenhang mit der deutschen Folklore und der Kultur im ganzen. Dabei ist methodologisch wichtig vorauszusetzen, daß die altertümlichsten Formen des Stils und der Vortragsmanier der sowjetdeutschen Folklore, die zunächst aus Deutschland mitgebracht wurden, primär sind, während die zu uns im 19.—20. Jahrhundert aus Deutschland gedrungenen folkloristischen Werte sekundär sind.

3. Das Studium der sowjetdeutschen Folklore im Zusammenhang mit den Kulturen der Sowjetvölker. Hier ist das wichtigste Problem, die Wechselwirkung, den gegenseitigen Einfluß und die gegenseitige Bereicherung der Kulturen der Sowjetvölker und der sowjetdeutschen Folklore aufzudecken.

Die Hauptaufgabe Ist das Sammeln, denn ich betone nochmal: „Mit jedem, der stirbt, sterben auch ein paar Lieder!“. Man muß eilen! Man muß jeden Tag so arbeiten, als ob er der letzte wäre.

Die Volkskunst der Sowjetdeutschen ist unser Reichtum, der uns von den abgegangenen Generationen vererbt ist. Unsere Pflicht ist es, sie zu bewahren, um den künftigen Generationen nicht mit leeren Händen entgegenzukommen.


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[1] Diskussionsbeitrag auf dem Seminar der Autoren, die über die Geschichte der Sowjetdeutschen schreiben (Moskau, Dezember 1982).


Heimatliche Weiten. М., 1983, № 2, S. 245-279.