Geschichte der Wolgadeutschen

Письмо из колонии Луй (Отроговка) в Америку (Виктория, Канзас) (1907 г.).


Victoria Kansas St. Herzog
Joseph Graf


Stempel: Urbach, Woks., den 25.05.07

Marke: 10 Koppejken

Stempel: Victoria, Kansas, den 23. Juni 1907

1.
Geschrieben in Jahren 1907 den 16. Mai Jezt ein schenner Krus von Johannes und Katarin Graf mit unser 2 Kinter an eich Joseph Väther und Wessel und an mein Halb Bruther Pether und sein Frau und ihre 8 Kinther. Es dätt uns freien, wen unser Brief eich bei guther Gesunheit antrefen dätt. Mir sein dem Lieben Gott zu danen noch schen gesun und die Gesunheit wünen wir eich auch von kristen unsern Herzen, soh wie uns selbst.

2.
Jezt wollen wir eich zu wissen gäben, das mir eirer Brief richtig erhalten haben und haben daraus erfahren das ihr noch alle schän gesun war und das uns sehr erfreuet. Jezt wohl ihr wissen, obt ihr auch noch Briether und Geschwisther in Ruslant habt oter nicht. Amria Quint und Katarinna und Joseph und Nikolaus Bollig und sein Frau, Anton Paul und sein Frau und die Makretha Neif, Paulin, Barbara, Markreta unt ihr Manner sein noch alle schän gesun.

3.
Jezt wil ich eich zu wissen gäben das hier in Ruslant nicht mehr zu leben ist. Doh ist nicht mehr wie Armuth und Streit und Raft und da denk ich hier in Lüt war es zimlich am Schlimsten. Wen unser Vorster keinen halt da gieb es almal soh ein Streit, das der Vorster am Ent sich soh klein mus halten sunst gäb er an den Harren heraus geschlebet. Allen hänn strechen sich nach ihne, dass bringt alles die Armuth mith sich.

4.
Ihr war auch gärn wissen wollen, wer unser Vorster ist. Joseph Frank, sein Beinam ist Hersen Miller und eiren Joseph wär ihn ja noch kenen. Jezt nach ein schener Kruß von Johannes Graf an eich. Ihr mein lieben Halbbrither, das hat mir aber soh leit getahn, das ich von eich soh langt kein Brief mehr kriet han und wie ich den Brief kriet han, das hat mich soh erfreut, das sol ihr eich garnichs denen. Jezt leb wohl, bies auf das frohen Wiether sehn. Amen. Bieten auf baltigen Anwort.

5.
Jezt ein schenner Krus von Jakob und Susanna Quint an eich Joseph Väther und Wessel mit sam eiren Kinther und Kinther Kinskin Es dat uns freien, wen unser Brief eich bei guther Gesunheit antrefen datt. Wir sein dem Lieben Gott zu danen, auch noch schän gesun und wünen eich die selben Gesunheit. Wil eich melten, das unser Muther noch läbt, aber imer noch krank ist und der Pether ist auch noch gesunt mit sein Leit.

6.
Jetzt will ich eich melten, das mir eiren Brief erhalten haben und haben daraus ersehen, das ihr noch alle schän gesun war und eich es auch wohl ergehen dut. Ich wohl ja mehr von eich geschrieben haben. Ihr sält als ein Vether und Geschwister Kinther mahl schreiben, obt mir dan nicht mehr nieber komen känn. Hier gent ja die Gespregen es wär wiether ein Nä(?)nein Gehend erfunten und dor sol es jo so guth sin und das dat mir wünen von eich zu schreiben

7.
Jezt wär ihr auch warscheilich ein bisien Neikeit wissen wollen, wie es bei uns zu geht. Bei uns ist es arem. Schon zwei Jahr stätl uns die Sämer das Brot die Stebt. Es aber schwag und krie auch noch viel geschen vom Roten Kreiß. Da sint 4 Kochkichen vom in Lüt. Den vergannen Herbst da hat uns auch noch ein Pather hinterver. Der hat gesagt er wohl Sorgen. Da hat er zwei Rubel von ter Sehl Geld genomen und ist vort gemacht und mir haben gelein bis

8.
das Früagt und dan ist er komen und hat uns nichts gebracht und känen auch unser Gelt nicht krie. Jezt ein schenner Kruß an mein Halbbruther Joseph mit sein Frau und Kinther. Es datt mich freuen wen sie noch alle schen gesun waren. Ich seie dem Lieben Gott zu danen, auch noch schön gesun und wünen ihm das Kleichers. Jezt sei noch alle gekrieset und gekiß bis auf das frohen Wiethersehn. Biethen auf baltige Anwort.


Brief aus Louis (1907) (фотокопия)


Современное написание

Victoria Kansas St. Herzog
Joseph Graf


Stempel: Urbach, Woks., den 25.05.07

Marke: 10 Koppejken

Stempel: Victoria, Kansas, den 23. Juni 1907

1.
Geschrieben in Jahren 1907 den 16. Mai Jetzt ein schöner Gruß von Johannes und Katarina Graf mit unseren 2 Kindern, an euch, Onkel Joseph und Tante und an mein Cousin Peter und seine Frau und ihre 8 Kindern. Wir würden uns freuen, wen unser Brief euch bei guter Gesundheit antreffen würde. Wir danken dem Lieben Gott, dass wir noch schön gesund sind und diese Gesundheit wünschen wir euch auch von ganzen unseren Herzen, so wie uns selbst.

2.
Jetzt wollen wir euch zu wissen geben, dass wir euren Brief richtig erhalten haben und haben daraus erfahren, dass ihr noch alle schön gesund wart und das hat uns sehr erfreuet. Jetzt wollt ihr wissen, ob ihr auch noch Brüder und Schwestern in Russland habt oder nicht. Amria (Anna Maria) Quint und Katarina und Joseph und Nikolaus Bollig und seine Frau, Anton Paul und seine Frau und Margaretha Neif, Paulin, Barbara, Margaretha und ihre Männer sind noch alle schön gesund.

3.
Jetzt will ich euch zu wissen geben, dass hier in Russland nicht mehr zu leben ist. Da ist nichts mehr als Armut und Streit und Raft und da denke ich: hier in Louis war es ziemlich am schlimmsten. Wenn unser Vorsteher keinen halten kann, da gibt es allemal so einen Streit, dass der Vorsteher am Ende sich selbst so klein halten muss, sonst würde er an den Haaren heraus geschleppt. Alle strecken sich nach ihnen. Dass alles bringt die Armut mich sich.

4.
Ihr möchtet auch gerne wissen wollen, wer unser Vorsteher ist. Es ist Joseph Frank, sein Beiname ist „Hirsen Müller“. Und euer Joseph wird ihn ja noch kennen. Jetzt noch ein schöner Gruß von Johannes Graf an euch. Sie, mein lieber Cousin , das war für mich so schlimm, dass ich von euch so lange keinen Brief mehr bekommen habe, und als ich den Brief bekommen habe, hat es mich so erfreut, dass könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Jetzt lebe wohl, bis auf das frohen Wiedersehen. Amen. Bitten um baldige Antwort.

5.
Jetzt ein schöner Gruß von Jakob und Susanne Quint an euch Onkel Joseph und Tante mit all euren Kinder und Kindes Kinder. Es würde uns freuen, wenn unser Brief euch bei guter Gesundheit antreffen würde. Wir sind, dem Lieben Gott zu danken, auch noch schön gesund und wünschen euch dieselbe Gesundheit. Will euch melden, dass unser Mutter noch lebt, aber immer noch krank ist und der Peter und seine Leute sind auch noch gesund.

6.
Jetzt will ich euch melden, dass wir euren Brief erhalten haben und haben daraus ersehen, das ihr noch alle schön gesund wart und euch es auch wohl ergehen tut. Ich wollte ja mehr von euch geschrieben haben wollen. Ihr solltet als ein Onkel und Geschwister Kinder mal schreiben, ob wir dann nicht mehr hinüber kommen könnten Hier gehen ja die Gespräche es wäre wieder eine neue Gegend gefunden (worden) und dort soll es ja so gut sein und das tue ich mir von euch wünschen darüber zu schreiben

7.
Jetzt möchtet ihr auch wahrscheinlich ein Bisschen Neuigkeiten wissen wollen, wie es bei uns zu geht. Bei uns ist es ärmer. Schon zwei Jahre stählt uns die Stepp den Samen und das Brot. Es ist aber schwach und wir bekommen auch noch viel vom Roten Kreuz geschenkt. Da sind 4 Kochküchen davon in Louis. Den vergangenen Herbst da hat uns auch noch ein Pfarrer hinterfahren. Er hat gesagt, Er will (sich um uns) sorgen. Da hat er zwei Rubel von der Seele Geld genommen und ist fort gemacht und wir haben geliehen bis

8.
das Frühjahr und dann ist er gekommen und hat uns nichts gebracht und wir können auch unser Geld nicht kriegen. Jetzt ein schöner Gruß von meinem Halbbruder Joseph mit seiner Frau und Kinder. Es tut mich freuen, dass sie noch alle schön Gesund waren. Ich bin, dem Lieben Gott zu danken, auch noch schön gesund und wünsche euch das Gleiche. Jetzt seit noch alle Gegrüßt und geküsst bis auf das frohe Wiedersehen, bitten um baldige Antwort.

Экспонат предоставлен: Kevin Rupp

Дата размещения: 02.11.2011


Bemerkungen vom Dolmetscher:

Zwei Seiten in dem an uns gekommenen Original waren vertauscht worden, um den Sinn des Briefes richtig darzustellen, haben wir die Seiten 5 und 7 miteinander getauscht.

Письмо предоставили Кевин Рупп (Kevin Rupp) и Хью Лихтенвальд (Hugh Lichtenwald) из США.

Адреса отправителя в письме не указано, однако анализ письма и упомянутых в нем фамилий однозначно указывает, что отправлено оно было из колонии Луй.
В содержательном плане письмо, помимо сугубо личной, семейной информации, представляет собой интересную зарисовку общественной и хозяйственной жизни колонии, отображает неудовлетворенность существующим положением и переселенческие настроения колонистов.

Письмо написано уверенным, аккуратным и устойчивым почерком человека, привыкшего много писать. Построение предложений, грамматика и словарный запас письма следуют нормам разговорной речи писавшего и являют собой замечательный образец диалекта колонии Луй.

Прочитали, записали и переложили на современный немецкий язык И. Шварцкопф и А. Идт.