Geschichte der Wolgadeutschen
UNSERE WIRTSCHAFT
Illustrierte Halbmonatsschrift
1923 № 19-20

Die Forstwirtschaft des Gebiets
(Лесное хозяйство Области.)

Bei der Ausscheidung des Gebiets der Wolgadeutschen in eine selbständige Einheit aus den Gouv. Samara und Saratow im Jahre 1918 befanden sich in seinen Grenzen Wälder, die früher ausschließlich der Bauernbevölkerung angehörten. Die ungefähre Größe dieser Waldflächen betrug 35.000 Dessjatinen.

Alle Waldflächen waren ohne geringe Ausnahmen durch die unrationelle Forstwirtschaft und die zu starken jährlichen Abholzungen sehr geschwächt. Da in den abgeholzten Flächen, sowie im Jungwalde Vieh geweidet wurde, hatte die natürliche Aufforstung sehr zu leiden. Indem die jungen Triebe abgeweidet wurden, wurde das Wachstum gehemmt, und es entstanden Verkrüppelungen des Nachwuchses und andere Schäden.

Die Waldfläche wurde von Jahr zu Jahr kleiner. Die Ursache davon war, daß sie nicht von dem Ackerland abgegrenzt war und daß dadurch die Bevölkerung so nach und nach jährlich den Waldboden aufriß und für den Ackerbau benutzte.

Von diesen Waldflächen waren meistenteils keine Pläne vorhanden, und wenn es auch solche gab, so waren sie so sehr veraltet, daß sie der Wirklichkeit nicht entsprachen und man sich damit nicht orientieren konnte.

Das war ungefähr der Zustand, in dem sich die Wälder bei der Bildung des Gebiets der Wolgadeutschen befanden.

Nach der Organisation der Gebietsforstabteilung im Dezember 1919 bestand die Hauptaufgabe darin, so schnell wie möglich Förstereien zu bilden, sowie einen regelrechten Waldschutz und eine regel- rechte Forstwirtschaft einzuführen. In dem damaligen Bezirk Balzer bestanden schon zuvor zwei Förstereien, die Kamenkaer mit einer Fläche von ungefähr 10.500 Dessj., die sämtliche Waldflächen von dem Dorfe Rossoschi bis zur Wolga in Obhut hatte, sodann die Oleschnajer mit ungefähr 13.000 Dessj., zu der alle anderen Waldflächen gehörten Auf der Wiesenseite war eine Försterei organisiert, die Marxstadt-Seelmänner, die alle Waldflächen des Marxstädter und Seelmänner Bezirks, ungefähr 9000 Dessj., umfaßte. Es kostete viel Mühe, für den Posten des Försters einen Spezialisten zu finden. Da bei uns auch schon früher sehr wenig Förster vorhanden waren, so war ein solcher jetzt nach dem 7-jährigen Krieg einfach eine Seltenheit. Doch zuletzt wurde ein solcher gefunden, und die Försterei fing an zu funktionieren.

Die Waldfläche des Bezirks Pokrowsk und der weiter entfernt liegenden Flächen des Bezirks Seelmann waren stets durch ihre zerrissene Lage von Marxstadt aus sehr schwer zu bedienen. Die Waldschützen und die Grenzreiter wurden sehr oft gewechselt, und häufige Kontrollfahrten des Försters waren durch die Schwierigkeiten, die damals der Verkehr bot, unmöglich. Außerdem gab sich in diesem Teil der Banditismus sehr stark zu erkennen, und während des Aufstandes im Jahre 1921 war die Försterei einige Monate gänzlich abgeschlossen.

An Kulturmaßnahmen, wie an Anlage von Baumschulen, Aufforstungen usw., war bei den Mißernten der Jahre 1921‒1922 weder auf der Berg- noch auf der Wiesenseite zu denken. Die Gebietsforstabteilung selbst bestand nur aus dem Heiter und dem Kanzleipersonal, und erst im Jahre 1921 gelang es, einen gebildeten Forstwirt als Gehilfen des Leiters anzustellen.

Doch im Jahre 1922 änderte sich das Bild stark, als es gelang, den Banditismus zu beseitigen. Von diesem Moment fängt auch die tatsächliche Arbeit an. Die Wälder werden nach und nach untersucht, es werden in den Förstereien Baumschulen angelegt und die abgeholzten Flächen von den zurückgebliebenen Resten gereinigt. Die Sachlage änderte sich vollständig, als das Gebiet im Juli 1922 abgerundet wurde und alle Gebietsanstalten im August nach Pokrowsk übersiedelten. Bei der Abrundung kamen zwei Förstereien hinzu, die Pokrowsker mit ungefähr 17.000 Dessj. und die Solotojer mit 18.000 Dessj., desgleichen auch der Saltower Kronswald und die Wälder bis zur Grenze des Zarizyner Gouv. Von diesem Moment an wurde eine selbständige Försterei bei Seelmann notwendig, in deren Grenzen alle Waldflächen des gewesenen Bezirks Seelmann, der Saltower Kronswald, der Wodjansker Wald, desgleichen auch sämtliche Waldflächen bis an die Grenzen des Zarizyner Gouv. eingeschlossen sind.

Von diesem Moment an erstarkte auch die Gebietsforstabteilung. Es wurden die Exploitierungsabteilung mit einem Spezialisten-Praktiker an der Spitze, ferner die Waldeinrichtungs-, Waldmeliorations-, Kultur- und Jagdunterabteilung organisiert.

Im Herbst 1922 gelang es, eine eigene Holzbeschaffung anzufangen, da dazu die Abteilung für Arbeit vom Zentralkomitee für die Folgen des Hungers leihweise Roggen erhalten hatte. Es wurden 272 Kubfaden Arschinholz angefertigt, die im Frühjahr, nach der Eröffnung der Navigation, nach Pokrowsk geflößt wurden, um die Gebietsanstalten damit zu versorgen. Außerdem besorgte die Solotojer Försterei selbständig 205 Kubfaden Eichenholz und die Oleschnaer 108 Kubfaden zur teilweisen Versorgung der Anstalten auf der Bergseite. Im Winter wurden in der Kamenkaer und Oleschnaer Försterei Eichenrinde zu Gerbereizwecken gesammelt und im Mai—Juni in der ersteren 650 und in der zweiten 4200 Pud angefertigt.

Die Waldeinrichtungs-Unterabteilung bringt die Erforschung und Beschreibung der Oleschnaer Försterei in Ordnung, weshalb zur Ausführung dieser Arbeit der Förster dieser Försterei hinkommandiert wurde. Dem Marxstädter Förster wurde die Erforschung und Beschreibung seiner Försterei aufgetragen, desgleichen auch dem Pokrowsker Forstwirt die unteren Flächen der Pokrowsker Försterei.

Um eine regelrechte Waldeinrichtung im Gebiet einzuleiten, wurden zwei Waldtaxatoren eingeladen, die gegenwärtig mit den Kameralarbeiten und der Bearbeitung des erhaltenen Materials der Erforschung der Oleschnaer Försterei beschäftigt sind. Vom 1. Juli wurde das Gebiet in ein selbständiges Waldeinrichtungsgebiet ausgeschieden, und gegenwärtig wird ein erfahrener Spezialist-Forstwirt als Gebietsinspektor der Waldeinrichtung gesucht.

Die Waldmeliorations-Kulturarbeit erhielt ihren Anfang im Jahre 1921, als der Marxstädter Waldmeliorativrayon in den Grenzen des gewesenen Bezirkes Marxstadt gegründet wurde. Im Herbst 1921 wurde der Seelmänner Rayon in den Grenzen des gewesenen Seelmänner Bezirks organisiert und im Jahre 1922 der Balzerer Rayon in den Grenzen des gewesenen Bezirks Balzer. In den alten Grenzen des Gebiets war während der Zeit vor der Revolution bezüglich der Waldmelioration mit Ausnahme des Bezirks Balzer sehr wenig gemacht. Weidenanpflanzungen von ungefähr 500 Dessjatinen waren nahe bei Marxstadt vorhanden, bei Kustarewo-Krasnorynowka 800 Dessjatinen, bei Werchnaja-Kulalinka 70 Dessjatinen Fichtenanpflanzungen, bei Wodjanoi-Bujerak 50 Dessjatinen und bei Kamenka 50 Dessjatinen. Baumschulen früherer Einrichtung war nur eine in der Nähe des Dorfes Sosnowka, Bezirk Balzer, vorhanden.

Die Weidenanpflanzungen, sowie die Sosnowker Baumschule befanden sich in schlechtem Zustande; die Weiden waren vom Vieh abgeweidet, und die Baumschule hatte ausschließlich altes, überständiges Material. Im Jahre 1921 wurde zur Anlage einer Baumschule in Marxstadt, in der Größe von 17,2 Dessjatinen geschritten und dabei ein abessinischer Brunnen eingerichtet und ein Zaun und zwei Häuser aufgebaut. Gegenwärtig ist in dieser Schule zweijähriges Pflanzmaterial vorhanden, und in der Semjonower Baumschule war ebenfalls die Saat von Gehölzsamen angefangen.

Im Bezirk Seelmann wurden für die Kredite, die von der Kommission für die Folgen des Hungers abgelassen wurden, Weidenanpflanzungen ausgeführt und in den Jahren 1921‒22 160 Dessj. Sandflächen mit Weiden befestigt.

Bei der Abrundung kam zu dem Gebiet der Pokrowsker Waldmeliorations-Rayon hinzu mit drei gut hergerichteten Baumschulen in Krasny-Kut, Saltowo und Woskresensk. Doch wurde darin nicht gearbeitet, weshalb sie altes, überständiges Pflanzmaterial enthalten. In den jetzigen Grenzen des Gebiets gibt es etwa 45.177 Dessjatinen Sandflächen, von denen in der Vorrevolutionszeit 11.580 Dessjatinen mit der spitzblättrigen Weide befestigt wurden.

Die gwischenreihen wurden teils mit Fichten, teils mit Laubhölzern bepflanzt, und zwar 269 Dessjatinen mit Fichten und 238 Dessjatinen mit Laubhölzern. Im Laufe der Jahre 1921‒22 waren bis zu 2600 Dessjatinen Sandbefestigungsarbeiten ausgeführt. Somit erwarten noch 32.000 Dessjatinen teilweisen Flugsandes waldmeliorative Eingriffe.

In den Marxstädter, Krasny-Kuter und Semenowker Baumschulen werden gegenwärtig Saaten verschiedener Gehölzsämereien ausgeführt, und es ist in ihnen schon einjähriges Pflanzmaterial vorhanden: der Amorpha (Leguminosen) 430.000 Stück, der Ölweide 30.000 Stück, der gelben Akazie 250.000 Stück, der weißen Akazie 75.000 Stück, des amerikanischen Ahorns 15.000 Stück, der gewöhnlichen Esche 20.000 Stück, des spitzblättrigen Ahorns 16.000 Stück, der Rüster 3600 Stück, der Eiche 1700 Stück und der Esche 3000 Stück. Außerdem werden die Quartale von dem alten, überständigen Pflanzmaterial gereinigt. Dies ganze Material wartet nur der Anpflanzung. Der ganze Stillstand liegt nur an dem Abhandensein der nötigen Kredite.

In der Periode 1922‒23 wurden in den Förstereien folgende Waldkulturarbeiten ausgeführt: es wurden Gehölzbaumschulen angelegt in der Kamenkaer Försterei, eine von 1800 Quadratfaden, in der Oleschnaer eine von 1200 Quadratfaden, in der Solotojer 4 von 2 Dessjatinen 1280 Quadratfaden. In den zwei ersteren Förstereien wurden in den Baumschulen Aussaaten von Gehölzsämereien verschiedener Arten ausgeführt, und es find schon einjährige Pflanzen der Eiche, Birke, des Hartriegels, des letzteren für den eigenen Bedarf, vorhanden. In den Baumschulen der Solotojer Försterei wurden außer diesen Gehölzarten hauptsächlich Nadelhölzer eingesät, und von hier aus sollen die Förstereien der Bergseite und des Seelmänner Kantons bedient werden.

Im Jahre 1923 wurde schon in der Oleschnaer Försterei Eichensamen auf einer Dessj. großen Fläche gesät, und eine 600 Quadratfaden große Fläche wurde mit zweijährigem Pflanzmaterial bepflanzt.

Flächen, die einer künstlichen Aufforstung bedürfen, sind folgende: in der Oleschnaer Försterei 4000 Dessj., in der Kamenkaer ungefähr 500 Dessj., in der Seelmänner ungefähr 5575 Dessj., in der Solotojer 150 Dessj.

Nach der Abrundung des Gebiets ist die Fläche der Förstereien eine folgende:

Förstereien

Gesamtfläche der Förstereien

Gesamtfläche der Wälder

Die Kamenkaer

10.500

9.830

Die Oleschnaer

16.702

13.152

Die Solotojer

18.944

16.051

Die Seelmänner

25.724

15.513

Die Pokrowsker

17.343

6.030

Die Marxstädter

13.379

9.000


Von der Jagdunterabteilung wurden für die Summen, die das Zentralkomitee für die Folgen des Hungers abließ, Jagdgewehre, Schießbedarf, desgleichen verschiedene Jagdutensilien eingekauft, um damit die Bürger zu bedienen.

Alles dies wurde dem staatlichen Landwirtschaftslager und seinen Gebietsabteilungen übergeben. Außerdem sind in den Kantonen Bevollmächtigte bestimmt, die die regelrechte Jagdausführung beaufsichtigen und die Jäger über die Regierungsvorschriften aufklären.

Das waren in kurzen Strichen die Arbeiten der Forstunterabteilung.

Es hätte mehr gemacht werden können, doch einerseits fehlte es an dem nötigen technischen Personal und andererseits an den Mitteln, wodurch viele Maßnahmen nicht ausgeführt werden konnten.


Unsere Wirtschaft, 1923, Nr. 19-20, S. 591-594.