Geschichte der Wolgadeutschen
WOLGADEUTSCHE MONATSHEFTE
Monatsschrift für Kultur und Wirtschaft der Wolgadeutschen
1924 Nr. 7/8

Verlobungs - und Hochzeitssitten im Wolgagebiet

von J. Toepfer

Die Meibäume werden in der Nacht vor Pfingsten gesteckt. Zu diesem Zweck wird eine schöne lange Stange ausgesucht. Nachdem an deren Spitze ein schöner grüner Ast befestigt ist, wird der "Baum" vor dem betreffenden Hause eingegraben.

Ist der Maibaum einem Manne gesteckt, so bekommen die Burschen etwas Geld, das dann am zweiten Pfingsttage pünktlich vertanzt wird. Ist er aber einem Mädchen gesteckt, so bekommt der betreffende Bursch von seiner "Alt" ein Taschentuch geschenkt oder einen eigenhändig genähten Tabakbeutel.

Das Mädchen bildet sich auf ihren Maibaum nicht wenig ein. Mit Vorliebe erzählt sie, wie diese oder jene die Burschen nicht leiden mögen und ihr anstatt einen Maibaum - einen Korb Mist gebracht und vor dem hause ausgestreut hätten...

Das Johannisfest gehört den Mädchen. Zu diesem Tage sammeln sie Blumen, schmücken die Stuben und Kirchen damit und hängen "Johannissträuße" an das Tor.

Ein anderes Vergnügen gönnen sich die Mädchen in den katholischen Kolonien in der Andreasnacht. Da "brauchen sie sich", indem sie sich mittels spezieller "Zauber"sprüche ihren Zukünftigen zitieren. U.a. wird dies so gemacht:

Vor dem Schlafengehen geht das Mädchen stillschweigend hinaus in die Küche und kehrt ebenso stillschweigend auch wieder in die Schlafzimmer zurück. Hier legt sie das Kissen vom Kopfende an das Fußende des Bettes, zieht den Strumpf vom rechten Fuß an den linken, den vom linken an den rechten. Indem sie nun mit dem linken Bein zuerst ins Bett schreitet, betet sie:

"in mein Bettchen schreit` ich,
Laß mich meinen Herzliebsten sehn
Wie er geht, wie er steht
Und mit mir zur Kirche geht".

In der Nacht sieht sie nun ihren "Herzliebsten". Die Gestalt war zwar nicht ganz deutlich erkennbar, aber das war sicher "Er"...

Wenn eingeschlachtet ist, beginnt das heiraten. Der Heirat geht eine "Freierei" voraus. Bei der Freierei muß unbedingt auch ein Freiersmann sein.

Die Freierei geschieht abends, zwischen 8 - 9, damit eventuelle Gäste schon Hause gegangen sind und bei der hochwichtigen Angelegenheit nicht stören.

Sind Bursche und Mädchen aus ein und demselben Dorf bzw. sich ihrer Sache eins, dann verläuft die Freierei gewöhnlich folgendermaßen:

Vater (des Mädchens): "Wann m`r frage, was brengt ihr dann so spät?"

Freiersmann: "Ja...,    was brenge m`r ... Der   alte Müller (Vater des Burschen) bräucht`e` Arweitern... Sich e` Mad (Magd) nemme, do wißt Ihr, wie das geht mit fremde Leit. ... Und do hot he (er) sich korz besunne un will sein (auf den Burschen deutend) Karl heirate losse. Un der will Eure Mrikche hun ..."

Vater: "Do wird nicks draus! ... Die muß noch e` Johr warte: die hun m`r noch nötig."

Jetzt legt der Freiersmann mit seiner Freierskunst los: daß beide sich gerne hätten, auch schon alt genug seien, daß sich eine solche Gelegenheit nicht jeden Tag biete: nicht arm, bzw. wohlhabend, einziger Sohn usw. usw.

Vater: "Des is jo alles wohr, awwer `s geht for dies Johr net."

Freiersmann (zur Mutter): No, Wes-Millis, sagt aach Ihr `mol Euer Wort ..."

Mutter: "Was is do viel zu sage? ... Sie kann noch `e Johr warte: sie hot noch so wenig Soche ..."

Freiersmann: "Do muß ich wenigstens aach e`mol `s Mrikche froge: die will vrllicht aach net. (Sich dem Mädchen zuwendend) Was manst dann du drzu?"

Mädchen: "Ich hun nicks drgege ... Wie mei Eltern wolle ..."

Freiersmann: "No, Millis-Wes, hot Ihr`s gehert?"

Mutter: "Wie unser Vatter will."

Freiersmann: "No, Vatter Hannes, die Sach hängt vn Euch! ..."

Vater: "No, wann`s von Gott so sein soll ... Meintwege. Nun ist`s fertig."

Sind Burschen und Mädchen aus verschiedenen Dörfern, bzw. kennt man sich gegenseitig nicht oder nur wenig, dann kommen die Freier etwas früher am Abend: man soll im Laufe des Abends den Heiratslustigen etwas kennen lernen.

Nach längerer Unterhaltung bekommt dann der Freiersmann gewöhnlich Durst. Er bittet das Mädchen, ihm einen Becher Wasser aus der Küche zu holen.

Nachdem diese hinausgegangen, geht auch der Freiersmann hinaus. Dann auch der Bursche: man will von dem Mädchen das "Ja" bekommen.

Gibt’s einen "Korb", dann verweilt man anstandshalber ein wenig bei den Eltern und zieht dann ab, um eventuell an demselben Abend noch anderweitig zu freien.

Ist aber das Mädchen einverstanden - und das ist es gewöhnlich immer, wenn sie keinen "Alten" hat - , dann verläuft die weitere Freierei, wie sie oben geschildert ist. Wenn die Tochter einverstanden ist, gelingt es in der Regel, auch die Eltern zu freien.

"Ist's fertig", dann zieht der Freiersmann eine Flasche Branntwein aus der Tasche - ohne Branntwein   geht kein Freiersmann auf die Freierei - und es wird "uf gut Glück" getrunken.

Nun gibt es nach einigen Tagen "Beschau", indem die Braut mit ihren Eltern den Bräutigam besuchen.

Sind erstere aus einem anderen Dorfe und kennen sie die Wirtschaftsverhältnisse des Bräutigams nur wenig oder gar nicht, dann wird alles gründlich "beschaut". Besonders interessiert sich der Brautvater für den "Misthaufen". Es kommt nämlich vor, daß man sich zum "Beschau" fremdes Vieh in den Stall holt. Schaut nun ein erfahrener Brautvater den Misthaufen an, so weiß er sofort, wie es mit dem Viehstande sowie überhaupt mit der Tüchtigkeit des Bräutigams steht.

Ist alles in "Ordnung", dann geht's an einem der nächsten Tage zum Geistlichen, zur Verlobung.

Sofort nach der kirchlichen Verlobung gibt's "Verlobung" oder "Handschlag" im Hause der Braut. Das ist eine Art Vorhochzeit, von den Eltern der Braut veranstaltet.

Nach dreimaligem Aufgebot und darauf folgenden Trauung findet die Hochzeit statt. Noch einige Tage früher sieht man den "Hochzeitsbitter" (Freiersmann) mit seinem Bänberstock hoheitsvoll die Straße schreiten: er ladet die Freundschaft des Bräutigams zur Hochzeit ein.

Die Einladung geschieht etwa in folgenden Worten:

"Guten Abend, Ihr vielgeliebten Leut!
Ich komm` zu Euch in großer Freud:
Denn Gott hat uns und auf Erden
Ein  neues Eh`paar Lassen Werden!
Ich bin von dem Hochzeitsvätern gesandt
- Das könnt Ihr sehen an Stock und Band -
Und auch von Braut und Bräutigam.
Sie lassen Euch Bitten insgemein:
Ihr sollt die Hochzeitsgäste sein,
Mit ihnen in die Kirche gehen
Und im Gebet für sie erflehn,
Daß der Herr möcht ` auf sie legen
Seine Hand und Vatersegen:
Denn das Segnen geht voran,
Wie auf der Hochzeit zu Kanaan.
Und wenn die Trauung ist vorbei,
Dann macht die Musik ein Geschrei.
Dann geht es nach dem Hochzeitshaus,
Da ist vorhanden ein fetter Schmaus.
Drum steckt Euch Messer und Gabel ein:
Es wird was zu zerschneiden sein.
Wenn Ihr sie aber tut vergessen,
Da müßt Ihr mit den Fingern essen.
Denn allerlei Vieh ist angeschafft
Und zu der Hochzeit abgeschlachtet.
Ochsen, Kälber, Küh´ und Schwein!
Werden dort die Menge sein.
Und dazu auch viel Federfieh,
Das kam geflogen in aller Früh.
Ich selbst sah sie nicht dorthin fliegen,
Ein Hahn, der ist so fett
Wie ein gedorrtes Wagenbrett;
Eine Kuh , die ist so hoch,
Daß kaum ein Vogel darüber flog -
Glaubt, diese ist  gewiß nicht klein,
Hat hundert Pud an einem Bein,
Ein Kalb von sieben Wochen
Hat dreißig Pud fast ohne Knochen.
Dies alles, das ist mit ... Mangel gemäßt,
Das wird Euch schmecken, Ihr lieben Gäst.
Im Keller liegt ein starkes Bier,
Glaubt nur, es graut mir selbst dafür.
Hab ich Euch dieses Kundgetan,
Geb ich Euch noch mehr bekannt:
Mein Stock, der möchte ein Bändchen han;
Bekommt er nun ein schönes Band,
So mach ich Euch noch mehr bekannt.
( Er bekommt ein Band.)
Beim Henker! Was fällt mir noch ein:
Ich bin ganz still vom Branntwein,
Und sind doch alle Flaschen voll,
Das weiß doch der Salwalnik[1] wohl.
Und wie ich vom Hochzeitsvater vernommen:
Soll mehr noch aus Saratow kommen.
Wer aber zuviel trinkt davon,
Hört nicht den Musikantenton.
Gebt Ihr mir ein Glas mit Bier,
Dann bleib´ ich noch ein wenig hier;
Gebt Ihr mir ein Glas voll Wein,
Das wird mir noch lieber sein!
(Bekommt einen Schnaps.)
Viel mürbe Kuchen sind im Ofen,
Sind von der Anna eingeschoben,
Und dies sind recht braun gebackt.
Das Fleisch ist kurz und klein gechackt.
Und wenn das Wohl verzehret is(t),
Setzt sich die Musik hintern Tisch.
Dann auf, Ihr Gäst, und lustig gemacht:
Die Hochzeit geht drei Tage, drei Nacht,
Es sitzen Musikanten da,
Die spielen hopsa, trallalla!
Mit Geigen, Hackbrett, Dudelsack,
Da kann man tanzen nach dem Takt.
Ihr Leut braucht aber nicht zu lachen,
Wenn  ich meine Sache nicht recht sollt´ machen;
Ich weiß auch , daß ich nicht alles kann:
Ich bin ja kein studierter Mann."

In einigen Dörfern gibt es sogar zwei Hochzeitsbitter, einer seitens des Bräutigams, der andere seitens der Braut. In diesem falle bleibt die Einladung im großen und ganzen doch dieselbe und wird abwechselnd von beiden vorgetragen. Während z.B. der erste Hochzeitsbitter seinen teil mit den Worten schließt: "jetzt müßt Ihr meinen Kameraden fragen, der wird Euch vieles besser sagen", beginnt der zweite: "Mein Kamerad, der ist ein blöder Mann, der geht nicht gern zur Küche an".

Kurz vor der Trauung versammeln sich im Hause des Bräutigams die Brautburschen, die Gäste des Bräutigams und die Musikanten. Mit diesen allen - und selbstverständlich auch mit dem Bänderstock - begibt sich der Freiersmann in die Wohnung der Braut. Hier sind schon die Brautmädchen versammelt und die Gäste der Braut.

Jetzt wird geläutet, und alle stellen sich in Reih´ und Glied: 4 - 10 Musikanten, dann Braut und Bräutigam, ihnen folgen 4 - 10 Paare Brautburschen und Brautmädchen und schließlich die Gäste.

Unter Glockenläuten und feierlichster Führung des Freiersmanns setzt sich der "Ufzug" in Bewegung, zur Kirche...

Unterwegs wird mehrmals "gehemmt", d.h. Burschen ziehen ein Seil über die Straße und verhindern so das Weitergehen. Um Weiterzukommen, muß sich der Bräutigam den Weg gewissermaßen freikaufen. Er streut Geld aus, wonach die Burschen gierig haschen und darüber das Seil aus den Händen fahren lassen: der Weg ist frei!

Sind die Brautleute aus ein und demselben Dorfe, und zwar aus dem Pfarrdorfe, dann begibt sich der Hochzeitszug zufuß zur Kirche; sind sie aber aus verschiedenen Gemeinden, beziehungsweise aus einer Filialgemeinde des Kirchspiels, dann werden die Pferde mit Bändern geschmückt: es geht per Schlitten nach dem Pfarrdorfe!

Nun heißt es - fest sitzen! Dies ist besonders dann von nöten, wenn die Brautburschen unterwegs fortwährend Pistolenschüsse abfeuern, so da? Sich die wildgewordenen Troikas vom Kutscher nicht mehr im Zaume halten lassen.

Während der Trauung in der Kirche steht der Freiersmann mit seinem Bänderstock etwas hinter dem Brautpaar. Sind es zwei Hochzeitsbitter, so steht der eine zur Rechten und der andere zur Linken hinter den Brautleuten.

Sie stehen da wie Marmorsäulen, getragen von dem erhobenen Bewußtsein: Wann mir (wir) net wär´n, dann stünd´ aach ka Brautpaar do[2].

Nach der Trauung begibt sich der Zug in das Haus des Bräutigams, wo der Vater des Bräutigams seinem Sohne "Hochzeit macht".

Zuerst gibt da ein Gläschen Branntwein, Kaffee und Tee mit Kuchen.

Bei Tisch geht auch gelegentlichen Teller herum: es wird kollektiert für die Heidenmission, die Taubstummenanstalt usw. Es erscheint auch der Teller der Küchenfrauen: diese haben sich beim Kochen ihre Schürzen verbrannt und können ihr wichtiges Amt nicht weiter versehen, falls sie sich nicht alsbald neue Schürzen kaufen können.

Währenddessen ist irgendein Gast   bestrebt, der Braut einen Schuh zu stibitzen. Diese wird dies natürlich nicht inne. Um so mehr aber sind die Brautburschen auf der Hut.

Endlich wird die Tafel aufgehoben. Die Tische werden beiseite geschoben. Es beginnt der Tanz.

Als erste haben die Brautleute die sog. Brautreihen, d. h. drei Walzer zu tanzen.

Das geht jedoch nicht, denn die Braut hat ... nur einen Schuh an! "Ha - ha - ha! Ha - ha - ha!" macht man sich über die Brautburschen lustig.

"Brautborsch, kaft der Braut   ´n Schmuck , wann Ihr tanze wollt!" hört man von allen Seiten.

Es findet sich da auch zufällig ein Gast, der einen übrigen Schuh hat, und - glücklicher Zufall - er paßt gerade zum Fuß und Schuh der Braut!

Der Mann schlägt seinen Preis an, läßt noch ein wenig mit sich handeln und verkauft schließlich den Schuh für das 3 - 10fache an die Brautburschen, die ihn dann der Braut schenken.

Jetzt kann getanzt werden!

Während der Brautreihen werden die Brautleute beschenkt. Die einen stecken ihnen Geld an, die anderen hängen ihnen Stoff, Kinderdecken usw. um die Schultern. Je wohlhabendere Freunde das Brautpaar hat, desto schwerer wird es während der Brautreihen beladen.

Die Brautreihen sind überhaupt der Brennpunkt der ganzen Hochzeit: was und wieviel werden die Brautleute wohl bekommen!

Nach den Brautreihen tanzen die Brautburschen mit ihren Brautmädchen.

"Musikante, ´n Tusch for die Brautborsch!" kommandiert der Freiersmann.

Die Brautburschen stellen sich mit ihren Brautmädchen vor den Musikantentisch, und die Musik spielt Tusch. Nach dem Tusch trinken sie - Burschen wie Mädchen - ein Gläschen Branntwein und der Tanz geht los.

"Musikante" , sagt ein Brautbursche und singt:

"Drei  Schleifer will ich haben,
Drei Schleifer spielt mir -
Ich hab ein schön-Schätzel
Und das gefällt mir."

Die Musikanten spielen drei Walzer.

"´n Rusche! Und einer singt;
Du bist net schee, du bist net schee:
Du hast ka rote Backe meh!
Rote Backe, weiße Zäh,
Blaues Auge - das lißt schee!"
Die Musik spielt Polka.

"Den sei Nochber!" d. h. einen ähnlichen Tanz.

Auf einmal wird es unruhig im Vorzimmer.

"Freiersmann , die "Verklader" sein do!"

Das sind Burschen und Mädchen, die sich irgendwie komisch kostümiert und maskiert haben und nun gekommen sind, um auch etwas von der Hochzeit zu haben.

In der Tanzstube erschienen, fragt sie der Freiersmann:

"Ihr seid doch ka Landstreicher? Hot´n Ihr aach ´n Paß?"

Daraufhin zieht einer der "Verkleider" ein weißes Papier aus der Tasche und zeigt es dem Freiersmann.

"Ich kann net lese", gesteht dieser, "les´ es Du e´mol ."

Nun liest dieser etwa:

"Ich bin von Gixen-Gaxen,
Wo die schöne Mädel wachsen.
Hätt´ ich dran gedacht,
Hätt´ ich mir eine mitgebracht" usw.

Bis er auf diese Art und Weise von seinem weißen Papierblatt noch eine ganze Menge Schnurren heruntergemacht hat, ist die Gesellschaft davon überzeugt, das diese Fremden ehrliche Männer sind, die freundlichst aufgenommen zu werden verdienen.

"Was wünsche die Herrn?"   fragt auf einmal der Freiersmann "hochartig".

Die Verkleider sind ja Fremde. Die müssen wissen, daß ein Freiersmann auch so kein "Protsch" - kein Auswurf der Gesellschaft ist.

So gefragt, erklären die Verkleiderer, daß sie essen, trinken und tanzen möchten.

Wen weiter nichts ist, - das können sie haben! Sie bekommen einen Schnaps, Zubiß und - was die Hauptsache ist - dürfen tanzen. " Musikante, spielt uns e´mol!" sagt einer der Verkleider und singt:

"Mutter, unser Katz´ hot Junge:
Nochbers Kater hots getan!
Dem muß m´r e´mol ´n Schwanzabhacke,
Daß he net mehr katern kann."
Und los geht´s im wilden Tanz.

"Hochzeit! Hochzeit! Hochzeit! Hopsassa! Unser Hochzeit! Trallala!" jubelt man und tanzt, daß die Fensterscheiben klirren. Nach dem Tanz drücken sich die Verkleider unter verschiedenen Vorwänden noch eine Weile im Hochzeitshause herum. Wenn sie endlich das Haus verlassen haben, stellt sich heraus, daß es doch Landstreicher gewesen sein müssen, denn alles Eß und Trinkbare ist - verschwunden.

Sonderbarerweise ist man darüber nicht sehr erboßt. Man hatte ja auch vorsichtshalber beizeiten das meiste aus dem Wege gräumt, weil man weiß, daß die Verkleiderer weite Taschen haben.

Das gehört halt auch zu den Sitten und Gebräuchen.

"Musikante, die "junge Männer" tanze ... Tusch!"

Die jungen Männer treten mit ihren Frauen vor den Tisch und singen unter Begleitung   der Musik etwa folgendes:

"So wie wir zwei sind, gibt´s keine nicht mehr:
Wir sitzen im Hausmiet, der Geldsack ist leer.
Wir borgen, das Zahlen das hat ja noch Zeit,
Wir sind so ordentliche Leut!"

Gesprochen: "Wo seid Ihr den her?"

"Wir sind von Lindenau,
Da ist der Himmel blau,
Dort Tanzt der Ziegenbock
Mit seiner jungen Frau, Frau, Frau!"

"Es heirat´t, es heirat´t,
Es heirat´t sich so schön,
Man muß es nur verstehn
Mit den Frauen umzugehn!"

Es wird eins getrunken.

"Drei Schleifer!" kommandiert der Freiersmann.

Hätt´ ich Dich net gesehen,
Wie glücklich könnt´ich sein!
Allein es ist geschehen,
Mein Herz ist nicht mehr mein."

Die Musikanten spielen, die jungen Männer tanzen abwechselnd Schleifer und Rusche. Nach 9 - 15 Tänzen hört man endlich das bekannte: "Macht Platz! Die "Alte" wolle tanze!"

"Na, na - do is gar ka Red´," wehrt sich der eine.

"Ich will mich doch net vun euch "junges Volk" auslache lasse", sträubt sich ein anderer. In der tat aber juckts den Alten schon längst in den Fußsohlen. So sind sie denn auch bald gefreit, und die 50 - 70jährigen treten auf.

"´n Tusch for die Alte!"

Die Alten singen unter Begleitung der Musik: "Schön ist die Jugend" oder etwas ähnliches.

Dann trinken sie eins und jemand von ihnen singt den Musikanten einen Schleifer vor:

"Rundigrum, rundigrum, tanze die Baure,
Hun se ka süßer Wein, trinke se saure;
Hun se ka saure Wein, trinke se Bier statt Wein;
Hun se ka Bier un Wein, trinke se Branntwein;
Hun se ka   Branntwein, losse se ´s Trinke sein."

Die Musik spielt und die Alten machen 3 - 6 altmodische Tänze.

Dann ziehen sie sich wieder ins Nebenzimmer zurück, zufrieden, dem "jungen Volk" mal wieder gezeigt zu haben, wie man früher tanzen und singen konnte. Wenn nur die Beine noch so könnten, man hätte es noch besser gemacht!

"Der Geist is jo noch willig, aber ´s Flaasch!" bedauert der eine.

"J - j -a!" bekräftigt ein anderer und läßt den Kopf sinken.

"Das is ka Kunst!" wirft ein junger Spaßvogel den wolgakolonistischen terminus technicus hin.

Etwa um 12 Uhr nachts gibt es Schafsbraten und kalte Apfelsuppe - das nationale Hochzeitsessen - , dem alle tüchtig zusprechen.

Nach dem Essen gehen die Alten nach Hause, und die Jüngeren tanzen, trinken, so wie es einem einfällt.

Gelegentlich sieht man auch mal, wie sich die Küchenfrauen unter den Gästen herumdrücken und diesem oder jenem mit dem rußigen Finger einen schwarzen Strich durchs Gesicht machen.

Jetzt kommt das ganze Haus ins Wallen. "Achherje, Mäddercher, guckt ´mol, wie der aussieht! Ha - ha - ha! Wäsch dich doch!" Das möchte man schon, aber des Wasser und die Handtücher befinden sich in der Verwahrschaft der Küchenfrauen

"Ich wäsch´n, versetzt eine der Küchenfrauen, "awwer net omsunst!"

Schließlich wäscht sie ihn - aus versehen auch ... den Kopf, reibt ihn in Schweiß - und bekommt ihre mühe mehr oder weniger gut bezahlt.

So währt manche Hochzeit 2 - 3 tage lang. Nach der Hochzeit beginnt für die jungen Leute das ausnahmslose Einerlei von Essen und Trinken, von Ruhe und Arbeit. Nur ab und zu wird dieses trockene Alltagsleben unterbrochen - dann aber auch gründlich! - von Gelegenheiten, wie sie oben geschildert sind.


[1] Schenkwirt.

[2] "Wenn wier nicht wären, dann stünde auch kein Brautpaar da."

Wolgadeutsche Monatshefte, 1924, Nr. 7/8, S. 84-85, Nr. 9/10, S. 110-112.


Dieser Beitrag wurde in folgenden Ausgaben gedruckt:

a) Deutsches Leben in Rußland, 1924, S. 88-89, 114-116.

b) Wolgadeutsche Monatshefte, 1924, Nr. 7/8 (April), S. 84-85, Nr. 9/10 (Mai), S. 110-112.

c) Ostdeutsche Monatshefte , 1924/25 Nr. 12, S. 1195-1203.