Das Verhältnis des Wolgakolonisten zur Natur
von Universitätsdozent P. Sinner, Saratow
Die weite Wolgasteppe ist in klimatischer Hinsicht unstät und unberechenbar, wie vielleicht kein zweites Steppengebiet auf unserem Planeten. Einmal schüttet sie ihre Reichtümer gleichsam aus einem Füllhorn, übermütig und verschwenderisch über ihre Bewohner aus: herrliche Ernten an Getreide, Obst, Gemüse, Heu, bewirkt durch große Schneemassen im Winter und reichliche Regen und milde Wärme im Sommer. Das andere Mal zeigt sie nur, was sie könnte, wenn sie wollte: im Frühling ein Wachsen und Sprossen, ein Treiben und Blühen, dass sich das Auge nicht genug freuen kann; nach reichlichen Winterniederschlägen wechselt häufiger Regen mit gedeihlichem Sonnenschein; auf einmal setzt dann unerträgliche Hitze und Dürre mit Höhenrauch ein, und in wenigen Tagen ist die ganze Herrlichkeit dahin — verwelkt, verdorrt, verbrannt ... Ein drittes Mal bringt schon der Winter keinen Schnee und der Frühling keinen Regen. Dann liegt die Wolgasteppe schon im Mai als öde Wüstenei da: alles kahl und rot gebrannt, rundherum flimmern in den Augen des vor Hitze verschmachtenden Steppenbewohners Teilchen von Staub, der sich Menschen und Vieh in Augen und Nase hinein setzt und sie durch sein Jucken und Beißen entsetzlich quält und die letzten Reste von spärlicher Vegetation niedersengt und zersetzt, dazwischen die schier unerträglichen heißen Ostwinde mit Rost- und Brandgeruch — kurz, die Steppe erinnert an eine verwüstete Brandstätte . . .
Das eine Mal wächst also hier Brot auf Steinen, das andere Mal gedeiht es auf gutem Lande nur sehr kümmerlich, trotz sorgfältigster Bearbeitung; das dritte Mal aber gerät überhaupt nichts, mag man sich auch noch so sehr abmühen und quälen. Diese eigenartigen klimatischen Verhältnisse haben den deutschen Wolgakolonisten zu einem ebenso eigenartigen Fatalisten geprägt: alles hängt von unserm Herrgott ab — er sendet Regen und Schnee, e r gibt Wachstum und Gedeihen, e r schützt auch die Felder und Fluren vor Hagel, Dürre und Höhen rauch . . .
Seit mehr als anderthalb Jahrhunderten vom Fortschritt der Außenwelt abgeschnitten und in dieser spröden Umgebung sich selbst überlassen, ist er bei all seiner anerkennenswerten Rührigkeit und Arbeitsamkeit weit hinter seinem Bruder, dem Bauern Westeuropas, zurückgeblieben, eine raue, herbe, urwüchsige Erscheinung, ein echtes Kind der wilden Steppe. Nur sein zähes Festhalten an der völkischen Eigenart und sein grenzenloses Gottvertrauen konnten ihn nicht nur vor dem Aufgehen in fremdem, numerisch so sehr überwiegendem Volkstum retten, sondern ihn auch auf einer solchen Höhe aufrecht erhalten, daß er auch heute seiner heterogenen Umgebung kulturell und wirtschaftlich noch stark überlegen ist.
So hat sich auch sein Verhältnis zur Natur in ganz primitiver Form und eigenartigster Gestalt erhalten. Ein wahres Naturkind, ist er nicht fähig, über Naturschönheiten zu schwärmen, sich nur daran zu ergötzen oder bewusst darüber zu freuen. Und doch ist er ganz mit dieser Natur verwachsen, seine ganze Seele geht darin auf, aber auf ganz primitive, reelle Weise. Nur wenn man selbst ein Steppenkind ist, kann man davon zeugen, mit welcher Wehmut der Wolgakolonist sein sehnsüchtiges Auge nach oben richtet, wie tief seine Seele unter der Dürre und elementaren Furcht vor Misswachs krankt, wenn der Himmel seine Schleusen längere Zeit verschlossen hält: und mit welchem Frohmut er sich seinem überaus anstrengenden Tagewerk hingibt, wenn der Himmel seinen Segen nicht verweigert. Dass man aber auch dieses spröde Klima bezwingen, beherrschen kann: dass die Dürre durch die hier übliche Entwaldung der Gegend vergrößert wird, da der Wald Aufsparer der Winterfeuchte und Anzieher der Regenwolken ist: dass infolge der räuberischen Abholzung und der totalen Ausrottung aller Wälder das Land voller Gräben reißt, die es unwegbar machen und ganz und gar entwässern und mithin der hier so nötigen Feuchtigkeit gänzlich berauben —, das sieht der Wolgakolonist nicht ein, daran glaubt er nicht. Wollte man dem Durchschnittsbauern hier erst klar zu machen suchen, dass wir uns durch Aufwerfen von einfachen, billigen Dämmen und Aufhalten des Schneewassers auf den Feldern wenigstens eine alljährliche gute Heuernte, wenn nicht gar eine mittelmäßige Broternte sichern können, so würde er einen für einen hirnverwirrten Phantasten oder gar für den Leibhaftigen selbst halten. Zu einer solchen Einsicht ist der Massenvertreter der Wolgakolonien noch nicht reif, noch nicht fähig.
So sind denn hier in den Wolgakolonien bei der Bewirtschaftung des Bodens auch noch fast gar keine Vorrichtungen zum Kampfe gegen die Elemente vorhanden. Der Wolgakolonist bestellt in hergebrachter Weise nach bestem Können sein Feld. Im übrigen läßt er unsern Herrgott wirtschaften, Wie ein hilfloses Kind steht er der Macht der Elemente gegenüber und gibt sich in urväterischer Weise der wachen und scharfen Beobachtung der ihm unverständlichen Naturerscheinungen hin. Seine Beobachtungsgabe, so naiv, so kindisch sie auch ist, kann Staunen erwirken. Er ist nicht nur imstande, die Zeit nach Sonne, Mond und Sternen (,,'m Owedstern, ´m Margedstern, der Gluck, 'm Wagge“) bis auf halbe, ja bis auf Viertelstunden zu bestimmen, sondern seine Umgebung verkündet ihm auch im voraus, wie ihn sein naiver Aberglaube nach Urväter Brauch belehrt durch Zeichen am Himmel verschiedenes Unheil, wie Mißwachs, Pestilenz, Krieg, Revolution, ferner: Wetterwechsel, Regen, Schnee, Dürre, Wind, Hitze, Kälte usw.
Diese Beobachtungen sind zum Teil niedergelegt in unzähligen gereimten und ungereimten Sprichwörtern, teils aus dem Mutterlande mit hereingebracht und aus grauer Vorzeit stammend, teils in der neuen Heimat entstanden und mit gleicher Pietät, wie auch jene, von Geschlecht auf Geschlecht überliefert.
Hier nur einige Beispiele: ,,Wenn der Kuckuck spät nach Johanni schreit, gibts eine arme und böse Zeit“; oder: ,,'n nasser April un' 'n kühler Maai, bringt Frucht un' Haai (Heu).“
Die Hauptrolle spielen bei uns im alltäglichen Leben Schnee und Regen. Gibts diese, so ist das tägliche Brot so ziemlich gesichert, demnach entfallen auch die meisten Beobachtungen und Merkmale auf die Frage über Regnen oder Nichtregnen.
Zunächst ist die Vorausbestimmung der Witterung mit verschiedenerlei Aberglauben, vermischt mit Beobachtungen, verbunden. So werden auf die Neujahrsnacht zwölf Schalen aus Zwiebelschichten, mit Kochsalz angefüllt, in einer Reihe auf den Tisch gestellt. Am Morgen wird nachgesehen, in welchen Schalen das Salz trocken oder naß ist. Demgemäß wird für den entsprechenden, Monat trockene oder nasse Witterung prophezeit.
Gleichermaßen dienen die zwölf Tage ,,zwischig de Johrn“, von Weihnacht bis Drei Könige (,,Klaa Neujohr“) zur Vorausbestimmung der Witterung aufs ganze Jahr. Jeder dieser 12 Tage entspricht der Reihe nach einem der Monate im Jahr. Schneit es am ersten Weihnachtstage, so bedeutet das, dass es im Januar viel Schnee gibt; ist der zweite Weihnachtstag klar und schneelos, so erwartet man im Februar keine Niederschläge usw.
Ferner wird die Witterung für einen Zwischenraum von 100 Tagen vorausprophezeit: Regnet's heute, so gibt's genau über hundert Tage wieder Schnee oder Regen. Auf einen schneereichen Winter folgt in der Vorstellung unseres Volkes ein regenreicher Sommer.
Tritt Neumond unter Regen ein, so wird für den ganzen Monat wiederholter Regen erwartet, zumal wenn das Neulicht zurückgelehnt ist, dass es „hineinregnen“ kann. Regnet es aber bei Eintritt des Neumonds nicht, oder aber das Neulicht liegt auf dem Rücken, so sind das Vorzeichen für einen regenlosen Monat.
Eine große Rolle wird bei den Wetterprophetien den Träumen eingeräumt. Träumt es z. B. jemand von einem verstorbenen Familiengliede oder Freunde, so heißt es am Morgen: „'s gi't Rege: 's hot m´r von d'r Motter (oder: „vom Vatter" u. dgl.) getraamt.“ Daran glaubt man fest.
Da infolge des hiesigen so stark veränderlichen Wetters Rheumatismus sehr verbreitet ist, so kann man auf Schritt und Tritt hören: ,,'s gi't anner Wetter“ (oder: „'s gi't Rege, Wind“ u. dgl.) — 's reißt m'r so in meine Glieder.“
Verschiedene Merkmale und Zeichen über Wetterveränderungen, ja überhaupt über gute und böse Zeiten, glaubt der Wolgakolonist dem Himmel selbst durch scharfe Beobachtung abringen zu können. Astronomische und meteorologische Erscheinungen, wie Kometen, Sonnen- und Mondfinsternis, Nordlicht, Wolken besonderer Form u. dgl. deutet er auf drohende Missjahre oder Pest, Krieg, Blutvergießen oder Unwetter. Erscheinen am Himmel weiße Schäferwolken, so heißt es: ,,'s treibt 'n Schäfer noch d'r Sunn (oder: „noch'm Mond“) — 's git Rege.“ Wenn die Sterne in der Nacht besonders hell scheinen und glänzen, deutet dies auf zu erwartenden Regen.
Dreht sich der Wind und beginnt von Südwest zu wehen, sagt man: „Der Wind hot sich gedreht, er kimmt aus d'r faule Eck — 's gi't Rege.“ Dreht er sich und beginnt von Norden oder Osten zu wehen, so sagt der Wolgadeutsche für bestimmte Zeit unfreundliche und trockene Witterung voraus. Wenn die Sonne besonders heiß brütet, oder wenn es in der Nacht recht schwül wird, erwartet man nahenden Regen.
Schlüpft die Sonne beim Auf- oder Untergang hinter eine Wolkenwand und wirft Strahlen dahinter hervor, so sagt man: „Die Sunn ziegt Wasser- 's gi't Rege.“ Zeigt sich am Himmel ein regenbogenfarbiges Plätzchen (Widerschein von der Sonne in den Wolken), so lautet die Voraussagung: „...Der Himmel hot e' Wassergall — mer kriehn regerig Wetter.“ Bekommt die Sonne Nebensonnen oder der Mond Nebenmonde mit einem Kreise, so heißt es: „Mer häwwe drei Sunne" oder: „Der Mond hot 'n Hof — 's gi't e arm Johr“, oder: ,,'s gi't argi Hitz“, „harti Kält“ u. dgl.
Ferner zeigen dem Wolgakolonisten so ziemlich alle Haustiere, sowie auch sonstige Kreaturen den Regen und sonstige Wetterveränderungen im voraus an.
Wenn die Pferde anhaltend und schwer brüsten oder vor Ungeziefer sehr toben, so ist mit Sicherheit Regen zu erwarten. Wenn die Kühe am Abend mit den Hörnern an einander herumspielen, erwartet man in derselben Nacht Regen.
Niesen die Hunde oder fressen sie Gras, gibt's Regen, wenn sie sich herumwälzen oder miteinander herumbalgen gibt's Wind, Sturm. Wenn die Katzen an sich herumlecken gibt's Regen: wenn sie sich auf den Rücken, aufs Hirn legen oder herumwälzen, gibt's Sturm: wenn sie auf den Ofen 'angeln, gibt's Kälte.
Krähen die Hähne außer der Zeit, gibt's Regen: wenn die Hühner bei beginnendem Regen unter Obdach laufen, ist es nicht anhaltend; laufen sie aber im Regen herum, hält er längere Zeit an.
Sind die Fliegen, die Mücken, die Staubfliegen, ferner die Flöhe, die Wanzen besonders schlimm, naht Regen oder Gewitter.
Wenn endlich die Raben ,,Grrr!“ rufen oder die Hausschwalben in Schwärmen lustig über den Dächern hin- und herkreisen, so sind das sichere Anzeichen für zu erwartenden Regen. Schießen die Schwalben dagegen ganz tief über dem Wasser dahin, so tief, daß sie die Wellen streifen, so gibt's sicher Sturm.
Rufen die Krähen anhaltend und kläglich kräh! kräh! so sagt unser Volk: ,,Die Krappe häwwe Kreuzweh — 's gi't Unnewind (Südwind)“. Wenn die Reiher mit Geschrei über dem Wasser dahin fliegen, kündigen sie dadurch Wind und Sturm an, und zwar wird der Wind aus der Himmelsgegend wehen, nach der sie hinfliegen.
Schweben die Goldammern in Schwärmen mit lautem Geschrei: grrr! grrr! hoch in der Luft herum, so schreien sie Regen herbei.
Wenn die Unken laut rufen, unken sie Regen herbei.
Wenn die kleinen Weißfischlein zahlreich spielend aus dem Wasser in die Höhe springen, so dass ihre Silberschuppen in der Luft blinken, erwarten die Fischer heftigen Wind und Sturm.
Weht am ersten März der Wind aus Südwest, verfaulen dem Fischer die Netze, das heißt, es gibt im Vorsommer viel Regen.
Wenn die Krähen und Dohlen in großen Schwärmen durcheinander schwirren und lärmend schreien, so bedeutet das im Sommer Regen und Sturm, im Spätherbst nahenden Einwintern.
Steigt über Wald und Wiese Tau auf, heißt „D'r Wald raacht“ oder: ,,Die Wisse raacht — 's gi't Rega”.
Wenn der Ruß am Kessel oder im Schornstein brennt erwartet man ebenfalls Regen. Desgleichen. wenn man allzu trockene Hände hat.
Gibt's viel männliches Jungvieh: Böcke, Hähne u. dgl. so bedeutet das ein gutes Jahr.
Wenn das Eis auf der Wolga recht schollig ist, so heißt es: "Viel Scholle — viel Gebund (Garben)." Ist dagegen das Eis blank, so erwartet man ein armes Jahr.
Wenn die Bäume sich im Winter recht voll Duft hängen, sagen unsere Alten: ,,Viel Duft — viel Frucht!“
Kommt eine einzelne Elster vor die Haustreppe und beginnt recht geschwätzig zu erzählen, so bedeutet das eine gute Nachricht (Brief u. dgl.): setzt sie sich aber aufs Dach und schäkert aus Leibeskräften, so jagt sie der Wolgadeutsche von dannen, — denn sie kündet ihm ein nahendes Unheil.
Wenn sich die Katze hinsetzt und emsig wäscht, kündigt sie die Ankunft eines Gastes an.
Sind im Vorsommer bis Johanni oft viel weiße Federwolken am Himmel, sagt man bei uns: ,,Die Schneewolke blühe — 's gi't de Vorwinter viel Schnee.“
So wenig der Wolgakolonist sonst fähig ist, für Naturschönheiten zu schwärmen, so ist er doch ein großer Freund der gefiederten Welt, namentlich der Sängerwelt. Es gibt daher ganz wenige Häuser in sämtlichen Wolgakolonien, wo nicht ein oder mehrere Starennester stehen. Auch beobachtet man genau, wann die verschiedenen Wanderer im Frühling südher gezogen kommen. Kommen Saatkrähen und Stare besonders früh, so erwartet man einen frühen Sommer. Aber als Verkünder von Wärme und Sonnenschein im Frühling gelten weder Krähe noch Star und Lerche, sondern die Schwalbe und die Kröte. Man sagt: „Lercheg'sang — Deiwelsklang; Krotteg'sang — Gottesklang.“ Oder: „Die Schwalme sein do, jetz ka' ma' de Pelz verkaafe.“
Im übrigen ist aber die Lerche hierzulande einer der beliebtesten Vögel und trägt hier den schönen Namen: Ackervöggelche. Am allerbeliebtesten ist aber die Schwalbe. Sie gilt einfach für einen heiligen Vogel: ihr Nest darf unter keinen Umständen angerührt werden. Wo die Schwalben nisten, unter dem Dach walten Glück und Segen. Wenn ihr Nest zufällig doch beschädigt wird, so glaubt man, felsenfest daran, dass nun die Kühe des Hauses statt Milch Blut geben werden. Und wenn das einmal passiert, dass die Kühe Blut geben, müssen sie sämtlich so lange durch ein Brett mit einem Astloch gemolken oder aber mit Hexenkraut (Fingerkraut) auf Brot gefüttert und „gebraucht“ (besprochen) werden, bis es aufhört.
Unheilvoll ist ferner auch, wenn der Hofhund heult. Das bedeutet, dass jemand aus der Familie stirbt.
Beim Schweineschlachten sucht man sofort die Milz auf und sieht nach, ob kein Sarg drin ist. Wenn die nämlich eine große Falte hat, so stirbt in dem Jahr ein Großes aus der Familie; hat sie eine kleine, stirbt ein Kind. Wenn dieselbe Milz gleichmäßig ist, bedeutet das einen gleichmäßigen, kalten Winter; hat sie aber eine schmale Stelle oder ein spitzes Ende, so sagt man: „'s werd dann und dann gelind“, oder: „Der Winter spitzt sich aus - 's gi't'n leichte Nochwinter.“
Alle diese und unzählige Merkmale und Anzeichen, die sich, wie wir ja gesehen haben, hauptsächlich auf Wettererscheinungen beziehen, werden in guten Jahren, wo es hier zu Lande gern und leicht regnet, oft mit bangem Herzen und schweren Seufzern wahrgenommen, da in solchen Jahren sogar die bereits an der Tenne sitzende Ernte durch Überfluß von Regen zugrunde gehen kann. In trockenen Jahrgängen dagegen werden die guten Anzeichen mit besonders hoffnungs- und sehnsuchtsvollem Blick verfolgt, aber umsonst: der Himmel sendet dann kaum so viel Regen, dass die beobachteten Gesetze bloß nicht zuschanden werden, dagegen Wind und Hitze in einer solchen Fülle, dass man schier verzweifeln möchte.
Die geeichtesten Wetterpropheten sind meist die reichsten an Jahren und Erfahrung, also Greise. Aber nicht immer. Manchmal sind auch junge Leute glänzende Beobachter, namentlich solche, die in ständiger Fühlung mit der freien Gottesnatur stehen: Hirten, Fischer u. dgl. Manche von ihnen vererben ihre Kunst von Geschlecht auf Geschlecht, mehrere Generationen hindurch, und werden von ihrer Umgebung als „Wissende“ besonders geachtet. Mehr oder weniger aber besitzt jeder Wolgadeutsche von einem gewissen Grad von Wissen über die Geheimnisse der Naturerscheinungen, jeder vermag in dem großen, inhaltreichen Buch der Natur zu lesen. Dieses Wissen schätzt man auch überall und ist mit Recht stolz darauf.
Wolgadeutsche Monatshefte, 1922, Nr. 5, S. 122-124.