Geschichte der Wolgadeutschen

ERZÄHLUNGEN WOLGADEUTSCHER
SOWJETSCHRIFTSTELLER


CHR. ÖLBERG

SCHLEPPTAU

(Aus einer Erzählung: „Das Dorf marschiert“)

„Die Hitze kommt mit Macht und der Acker wird trocken“, redete der Brigadier Vogel zu seiner Brigade.

„Wir müssen eilen. Unser Kollektiv hat noch 2 000 ha Frühkulturen zu bestellen und heute ist der 9. Mai. Wir müssen uns beeilen. Wir sind das allerhinterste Kollektiv im Kamenker Kanton.“

Die Kollektivisten haben die Pferde gefüttert und getränkt, die Pferde geputzt und die Kummete gereinigt, dann haben sie eingespannt und geackert.

Das Kollektiv hatte im vorigen Jahr keinen Schwarzacker gemacht, denn es konnte mit der Verteilung der Ernte nicht zu Ende kommen.

„Wir bekommen doch nichts“, behauptete der Hischka und wollte nicht dreschen.

„Wer arbeitet, bekommt seinen Anteil“, erklärte der Vorsitzende des Kollektivs.

„Gebt den Leuten ihre Norm, dann werden sie auch arbeiten“, behauptete Hischka.

So hatte das Kollektiv bis zur Oktoberfeier zu dreschen gehabt und konnte keinen Schwarzacker machen. Jetzt mußten 4 000 ha Frühacker gemacht werden. Das Kollektiv arbeitet tüchtig, aber die Bresche ist zu groß. Da kommen die Nachbarn zu Hilfe. Leichtling hat seine Frühkulturen bestellt und kommt geeilt. Von 30 km kommt Schwab gezogen und hinter ihnen kommt eine lange Reihe von Mühlberg. Der Kanton darf nicht nachhinken! Und Brigade um Brigade nimmt das Kollektiv ins Schlepptau. Der Feldbauleiter zeigt ihnen Landflächen, die geackert werden müssen. Auch Norka hinkt nach. Es konnte ebenfalls im vorigen Jahr mit seinen Kulaken nicht fertig werden und hinkt jetzt nach. Es hat noch 900 ha zu bestellen. Noch auf dem Schnee kam eine Galkaer Brigade gezogen, um zu helfen, die Saat rechtzeitig zu bestellen, und jetzt kamen noch die Dobrinkaer gezogen. Neun Brigaden zugleich. Land her! Und der Feldbauleiter jagt hin und her, um die Mannschaften nicht unnötig stehen zu lassen. Es wimmelt alles auf dem .Felde, und nach zwei Tagen ist der Acker schwarz. Das nachhinkende Kollektiv ist jetzt den anderen beigekommen und wird mit, allen Schritt halten.

Punktum nach dem Plan kommt ein Reiter aus Dobrinka:

„Alle Kollektive sind mit den Frühkulturen fertig“, verkündet er die Meldung des Kantonstabs; „und hier sind die Aufgaben auf Spätkulturen.“

Es fällt ein feiner Regen, aber die Brigaden säumen nicht und ziehen ab, denn die Pläne müssen erfüllt werden.

Es kam der Sonntag, die Brigaden hatten es nicht bemerkt. Sie hatten auch keine Zeit, denn der Acker war noch nicht bestellt.

„Die wollen sich totackern“, prozeßte der Hischka.

„So spät hat man noch nie geackert, das gibt doch keine Ernte.“ Die Brigaden aber ließen sich nicht stören und bestellten immer noch Spätkulturen.

„Du sollst den Feiertag heiligen“, sagte Hischka; „die Sonntagsarbeit bringt keinen Segen.“ Aber die Brigade ackerte weiter.

„Ich will sehen, ob ich die nicht vom Acker kriege“, sagte Hischka für sich und ging in den leerstehenden Kollektivhof.

„Feuer!“ läutete auf einmal die Glocke im Dorf, und das eintönig klagende Geklingel schallt hinaus in die Ferne. Die Brigaden halten an, rätseln, was brennen möge, besprechen, ob sie eingreifen sollen, und fahren wieder fort in ihrer Arbeit. Nur die wachehabende Brigade hält keinen Rat. Sie ist die nächste beim Dorf und kennt ihre Pflicht. Bestimmte Pferde werden sofort losgestränkt und in die Wagen gespannt.

Wasserwagen mit gefüllten Fässern und Mannschaft werden eiligst ins Dorf gebracht. Doch zu spät. Bis sie hinkamen, war nur noch der aufsteigende Qualm von einem verkohlten Stall zu sehen.

Der Feuerwächter hatte das Feuer sofort gemerkt und hat an den Glocken Alarm geschlagen. „Feuer!“ sagte der Dorfratsvorsitzende, ließ alles liegen und stehen und ging hinaus, um das Kommando zu übernehmen.

„Feuer!“ riefen die im Dorf gebliebenen Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr des Kollektivs und nahmen ihre Plätze ein. „Feuer!“ schrien alle im Dorf und eilten mit Eimer, Beil, Haken und anderen Waffen auf die Straßen. „Feuer!“ „Hoo!“ schrien die Jungen, die mit den wachestehenden Pferden gejagt kamen. Die Pferde reichten nicht aus, um alles anzuspannen. Man wartete aber nicht, bis die Brigade aus dem Felde kam, sondern schleppte die Fässer und Spritzen hin ans Feuer. Aus allen Gassen wurde Wasser in Eimern gebracht, die Fässer mußten die Spritzen tränken und der Brunnenschwengel kam nicht zum Stillstehen. In 15 Minuten war kein Feuer da. Der brennende Stall war niedergerissen und naßgegossen. Nur die Brände zischten noch im Wasser und jagten dicke Dampf wölken in die Luft.

Siegesfroh zog die Feuerwehr langsam durch die Straßen. Stolz saß der Fuhrmann auf dem Bock, einem Sitz, der von der alten Mähmaschine auf dem Faß angebracht war. Mit der Hand schälte der Sekretär der Jugendzelle den Dreck von dem frisch gestrichenem Faß, damit der purpurrote fünfzackige Stern auf dem gelben Faß zu sehen ist. Es ist die Feuerwehr des Kollektivs, und das Abzeichen der Sowjetzugehörigkeit muß man von weitem sehen können. Beil, Spieß und Haken wurden wieder auf den gehörigen Platz gebracht.

Der Feind soll nichts nehmen! — stand auf dem Gesicht eines jeden geschrieben.


Erzählungen wolgadeutscher Sowjetschriftsteller. / Hrsg. von J. Sinner.
2. Sammelband. 1929-1933. – Engels: Deutscher Staatsverlag, 1933, S. 43-44.