Geschichte der Wolgadeutschen

Gerhard Lang

Einigkeit im gemeinsamen Schicksal

Russisch

In den Jahren 1759 bis 1763 zogen Oberdeutsche aus Württemberg und anderen Gegenden nach Dänemark, um dort als Kolonisten zu siedeln. Aus diesen Kolonisten betrachten wir diejenigen, welche in Prinzenmoor (Schleswig-Holstein) angesiedelt wurden und sich später in Riebensdorf wiederfinden.

Am 24.7.1761 zogen die ersten Kolonisten für die Kolonie Prinzenmoor ihr Los.

Hof 16/3:    Philipp (Peter) Freymüller mit Frau und 2 Kinder
Hof 16/6:    David Zoller mit Frau und 1 Kind
Hof 16/7:    Matthias Boger mit Frau und 5 Kinder
Hof 16/8:    Georg Boger mit Frau und 6 Kinder
Hof 16/9:    Johann Friedrich Behringer mit Frau und 4 Kinder
Hof 16/13:  Johann Adam Nufer mit Frau und 2 Kinder
Hof 16/15:  Joachim Friedrich Leist mit Frau und 2 Kinder

Am 17.5.1763 folgten die Neubesetzungen:

Hof 16/1    Jakob Sick mit Frau und 2 Kinder
Hof 16/4    Georg Scholl mit Frau
Hof 16/10  Michael Steiger mit Frau und 4 Kinder
Hof 16/12  Nikolaus Eigenherr mit Frau und 2 Kinder
Hof 16/14  Georg Wanner mit Frau und 1 Kind

Damit haben wir unsere "Hauptdarsteller" zusammen. Es spielen alle eine Rolle, die Kolonisten wie die Frauen und die Kinder.

Dazu gehören auf der Seite der Verwaltung: Inspektor Heldt, Amtmann Plessen, Dr. Erichsen und Johann Matthias Costenbader als Gehilfe des Dr. Erichsen.

Auslöser dieser Geschichte ist Hans Stahl, Schulmeister in dieser Kolonie und wohnhaft bei Georg Boger. Hans Stahl ist also in der Nacht vom 5. zum 6. März wachgeworden von sprechenden Menschen. Neugierig wollte er nachsehen, worum es ging. Als er die Stube betrat, erblickte er 4 bis 5 Kolonisten und eine auf sich gerichtete Flinte.

Mit ernsthaften Worten wurde er wieder in seine Stube geschickt und er solle dort bleiben. Als gegen Morgen Ruhe im Haus eingekehrt war, stellte Hans Stahl fest: Das Haus war leer. Erschrocken ist er zum Nachbar Kröger gelaufen. Mit diesem gemeinsam haben sie dann festgestellt, dass 12 Häuser leer waren.

Jetzt ging es um eine schnelle Meldung bei der Obrigkeit.

Der Gehilfe Costenbader ritt gleich den Desertierten nach. Diese waren inzwischen über den Fluss Eider gesetzt und glaubten sich im sicheren Auslande. Es gab aber zwischen Gottorf und Dithmarschen ein Abkommen zum Ergreifen der Deserteure. Nur mit der Begleichung des dithmarschener Aufwandes war Gottorf etwas nachläßig. So verlangte diesmal der Landvogt Lotzow, dass sich Costenbader bei ihm in Schutzhaft begibt. Was er auch tat. Inspektor Heldt reiste schnell nach Gottorf, um von dort die entsprechenden Vollmachten zu holen. In der Zwischenzeit wurden schon die Deserteure gesucht und sechs Familien fand man in Tellingstedt beim Verkauf ihrer mitgenommenen Sachen, die anderen sechs Familien wurden in Wrohm aufgegriffen.

Alle wurden nach den Ort Heide gebracht und ins Stockhaus eingesperrt.

Am 9. März richteten die Kolonisten eine Bittschrift an den Landvogt Lotzow mit dem Inhalt, dass sie mit falschen Versprechungen nach Schleswig gelockt wurden und sie auf der angewiesenen Stelle kein Auskommen hätten.

Nach einigem Briefwechsel zwischen den ämtern hat man die Deserteure am 15. März nach dem Ort Süderstapel gebracht. Hier erfolgte die übergabe an das Amt Gottorf. Am 16. früh morgens brach man auf in Richtung Schloß Gottorf. Die Männer wurden in der Schloßwache inhaftiert, die Frauen in einigen Nebenräumen.

Die Verhöre und Ermittelungen zur Flucht gestallteten sich sehr schwierig. Der Rädelsführer war nicht zu finden. Die schwere der Tat wurde wie folgt festgelegt:

Joachim Friedrich Leist soll der Anstifter sein, weil er zur Erkundung der Lage im Dithmarschen war und die Bittbriefe an den Landvogt verfaßt hat.

Georg Scholl hat von den Vorbereitungen gewußt und keine Meldung gemacht.

Johann Friedrich Behringer war vorher im Dithmarschen zur Erkundung und hat bei der Verhaftung den Costenbader bedroht.

Georg Wanner hat in der Nacht der Flucht dem Schulmeister Stahl die Flinte vorgehalten.

Michael Steiger, Nikolaus Eigenherr, Jakob Sick, Georg Boger, Matthias Boger, Peter Freymüller und Johann Adam Nufer sollen die weniger schuldigen sein.

Am 3. April traf in Gottorf der Strafbefehl aus Kopenhagen ein und am 6. April vollstreckt:

2 Jahre Festungshaft für:

Georg Scholl, Joachim Friedrich Leist, Johann Friedrich Behringer,

1 Jahr Festungshaft für:

Georg Wanner, David Zoller, Matthias Boger, Peter Freymüller.

Die weniger schuldigen Kolonisten wurden zu 3 Wochen Bährenloch verurteilt. Frau Zoller gebar in der Haft ein Kind. Frau Steiger und der Kolonist Behringer verstarben in der Haft. Die Frauen und Kinder sind an diesem Tag auf Dörfer einquartiert worden.

Am 28. April wurden die minder schuldigen Kolonisten aus dem Kerker entlassen und auf den Weg zum Amt Flensburg gebracht.

Die Frauen von den in Rendsburg sitzenden Deserteuren fingen jetzt an Gnadengesuche an den dänischen König zu schreiben. Erst im August wurde das Gnadengesuch für die

1-jährig verurteilten vom Gottorfer Amtmann befürwortet. Damit war der Weg zur Begnadigung frei. Die Kolonisten Wanner, Zoller, Boger und Freymüller wurden im Oktober freigelassen und im Amt Flensburg neu angesetzt.

Für die Kolonisten Leist und Scholl ergab sich erst am 5.6.1765 Besserung. Sie wurden entlassen und des Landes verwiesen. Beide zogen nach Russland, Leist nach Fischer an der Wolga und Scholl nach Riebensdorf am Don. Die Witwe Behringer heiratet Johannes Neuwirth und zieht mit ihm und ihren Kindern nach Reinwald. Nach neuen Unterlagen finde ich in Riebensdorf diese Kolonisten wieder. Die Witwe des Kolonisten Eigenherr hat inzwischen den Kolonisten Scholl geheiratet.


Das folgende ist eine Annahme wie es sich zugetragen haben könnte.

Gehen wir davon aus, dass das Ansatzdatum Mai 1765 von Jakob Sick auch für die anderen Kolonisten gilt und weiter die Entlassung des Kolonisten Scholl auf den 5.6.1765 fällt. Als wichtigen Termin haben wir die Heirat des Kolonisten Steiger, sie war auch am 5.6.1765 in Lübeck. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sich auch die anderen Kolonisten in Lübeck befunden haben. Leider sind in Lübeck keine Trauzeugen verzeichnet. Hier haben sie den russischen Agenten aufgesucht und dann auf eine Schiffspassage nach St. Petersburg gewartet. In St. Petersburg ging es nach Oranienbaum zur Quarantäne, diese dauerte auch eine ganze Weile. Im Spätherbst wird sich dann auf dem Wasserweg Gruppe für Gruppe in Marsch gesetzt haben. Auf der Wolga kam es zum Wintereinbruch, an eine Weiterfahrt war nicht zu denken. Also Winterquartier. Da diese Quartiere auch begrenzt waren und auch die Verpflegung bereit stehen musste, sah man sich schnell überfordert. Als Lösung bot sich die Weiterfahrt mit Schlitten an. Ich denke, dass die späteren Riebensdorfer auch über Schlitten weiter fuhren. Es gab immer Tagesabschnitte des Fahrens und übernachtungen. Ich vermute, dass diese eine Gruppe auf dem Weg den Kontakt zu Fürst Tewjaschew bekamen. Dieser Fürst suchte für sein eigenes Land Bauern zum Bestellen der äcker. Da die Kolonisten aus Prinzenmoor eine Bevormundung durch die Rentekammer kannten und es auch hier in Russland so etwas gab, die Tutelkanzlei, haben sie diese Möglichkeit ergriffen, aus dem System auszubrechen. Die Zukunft hat auch bewiesen, es war eine richtige Entscheidung.

Magdeburg, 2008