Geschichte der Wolgadeutschen
WOLGADEUTSCHE MONATSHEFTE
Monatsschrift für Kultur und Wirtschaft der Wolgadeutschen
1924 Nr. 21/22

Ferdinand von Wahlberg   †.

Von J. P. L. – Wolgagebiet

Mit großer Verspätung ist die Nachricht über das Ableben des hervorragendsten Dichters der Wolgakolonien zu uns gedrungen. Ihn gebührlich zu ehren und seiner Bedeutung für unser Volkstum zu gedenken, fühlen wir uns aus Dankbarkeit verpflichtet.

Ferdinand von Wahlberg wurde am 18. September 1847 zu Katharinenstadt an der Wolga geboren. Sein Vater, Karl Fredrik, dazumals Pastor in Katharinenstadt, war aus Finnland gebürtig und seine Mutter – ein Sproß des seiner Zeit miteingewanderten Kolonistenpastors Buck. Die frühe Kindheit verbrachte der kleine Ferdinand im Dorfe unter der Obhut der Mutter und im Kreise der Dorfkinder. Im 9. Lebensjahre schickten ihn seine Eltern mit dem ältesten Bruder, der bereits in Helsingfors Theologie studierte, nach Finnland zur Schule. Dort beendete er mit 16 Jahren das Lyzeum, eine geschlossene mittlere Lehranstalt, und studierte dann Medizin an der Universität Helsingfors. Schon während des Studiums zeigte sich hervorragende Begabung und er schickte sich an, die Gelehrtenlaufbahn zu betreten. Zwecks wissenschaftlicher Vervollkommnung und Vorbereitung zu dem gewählten Berufe ging er nach dem Auslande, wo er die meiste Zeit in Deutschland zubrachte. Als Ergebnis dieser Studien veröffentlichte er eine Reihe wertvoller wissenschaftlicher Arbeiten. Da brach der türkische Krieg (1877-78) aus und Wahlberg ging mit dem finnländischen Heer, als Militärarzt, an die Front. Dort spielte er eine hervorragende Rolle als einer der begabtesten Gehilfen des großen russischen Gelehrten und Menschenfreundes Prof. Pirogoff*). Nach dem Kriege wurde er Oberarzt im finnländischen Heer und nach dessen bald darauf erfolgter Auflösung Oberhaupt des gesamten Gesundheitswesens Finnlands. Fast volle dreißig Jahre lang stand er an der Spitze dieser Verwaltungsbehörde. Während dieser langen Zeit setzte er seine erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit fort und ließ den früheren eine Reihe weiterer medizinischer Forschungen folgen. Auch hatte er bis zur Auflösung des finnländischen Heeres eine medizinische Militär-Zeitschrift herausgegeben. Zu gleicher Zeit wirkte Wahlberg auch als Schriftsteller und war vorübergehend Direktor des schwedischen Theaters zu Helsingfors. Durch diese vielseitige Tätigkeit gewann er die größte Anerkennung der weitesten Kreise. Zu seinen intimen Freunden zählten Schwedens größte Männer, wie B. Björnson, H. Ibsen, Gaf-Geyerstam...

Im Jahre 1906 trat F. Wahlberg in den Ruhestand und widmete sich der Landwirtschaft auf einem seiner kleinen Landgüter. In seinen Mußestunden hielt er Rückschau auf sein mühevolles und ereignisreiches Leben und rang sich durch zur Klarheit über sein Verhältnis zum Jenseits. Diese seine Gedanken legte er in dem Buche: „Die sittlichen Weisungen Jesu und die Kulturgemeinschaft der Liebe“ nieder. Auch kehrte sein Sinn jetzt immer öfter ins Elternhaus zurück, in die weite Wolgasteppe, zu seinen einstigen Gespielen... Unwiderstehlich zog es ihm dahin, wo er seine holde Kindheit verbracht hatte, wo die Gebeine seiner Lieben ruhen. Mehrere Sommer hintereinander war er ein ständiger Gast unserer Wolgaheimat. Diese Besuche riefen in ihm Erinnerungen an das Land seiner frohen Kindertage wach, die er in einer Reihe von Erzählungen und Schilderungen aus Leben der Wolgabauern wiedergab: „ Christian Bode“, „ Die Christgaben des Todes“, „Die Mennoniten“, „Mein Lebenslauf“, „Die Mordinsel“, „Die Geburt der Heimatliebe unter den Bewohnern der Wolgasteppe“, „Die Beichte meiner Feder“; die wichtigsten davon sind im Verlag von Braunmüller, Wien-Leipzig, erschienen, gleichzeitig ließ er sie in der „Saratower Deutschen Volkszeitung“ zur Kenntnis seiner wolgadeutschen Heimatgenossen gelangen. Gar mancher Wolgadeutsche hat sich an diesen wahrheitsgetreuen, gesunden und vortrefflichen Schilderungen von Land und Leuten ergötzt, erfrischt und gestärkt. Ein jeder fühlte, daß der alte Wahlberg, der sein ganzes Leben lang von uns gelebt und gewirkt, mit dem Herzen stets zu uns gehörte und auch jetzt immer in Gedanken unter uns weilte. Der leidige Krieg ließ seine warmen Worte, auf die wir mit Sehnsucht warteten, zeitweilig verstummen. Nun ist der liebe Mensch für immer stille geworden. Das macht uns tief traurig...

Um den Lesern eine richtige Vorstellung von dem hygienischen Wirken des Verstorbenen zu geben, lassen wir hier ein Verzeichnis seiner wichtigsten Arbeiten folgen:

  1. Das tuberculöse Geschwür im Larynx. Wien, (1872).
  2. Studien über das Verhalten der Hirnzellen während des Entzündungprozesses. (1875) Helsingfors.
  3. Beiträge zur Kenntnis der septischen Mykose beim Menschen, Doktordissertation, (1873).
  4. Von einer Heerfahrt nach der Türkei, Helsingfors (1879).
  5. Ueber die Pflege des Soldaten, Helsingfors, (1879).
  6. Finnische Militärzeitschrift, (1879-1901) Helsingfors.
  7. Das Unmögliche möglich. Schauspiel, Helsingfors, (1881).
  8. Die soziale Erziehung. Schauspiel, Helsingfors, (1882).
  9. Ecksteine. Schauspiel, Helsingfors, (1883).
  10. Gewalt. Schauspiel, Helsingfors, (1884).
  11. Die Liebreichen. Eine Erzählung. Helsingfors, (1882).
  12. „Verirrt“ und andere Erzählungen. Helsingfors, (1884).
  13. Die beiden Armfelts. Schauspiel in Versen. Helsingfors, (1885).
  14. Vorschläge zu einem Reglement für die Uebungen der Sanitätstruppen im Felddienst. Helsingfors, (1884).
  15. Studien über das militärische Sanitätswesen etc. Finn. Militztscht. (1885).
  16. Ueber das Sanitätswesen des deutschen Heeres. Helsingfors, (1886).
  17. Erste Hilfe bei Unglücksfällen und auf dem Kampfplatz. Helsingfors, (1886).
  18. Dasselbe in finnischer Sprache. Daselbst (1886).
  19. Dasselbe in russischer Sprache. Petersburg, (1888).
  20. Versuch einer Taktik der Sanitätstruppen. Leitfaden. Helsingfors, (1888).
  21. Dasselbe in schwedischer Sprache. Daselbst (1888).
  22. Dasselbe in russischer Sprache. Petersburg, (1890).
  23. Moderne Sanitätswaffen. Helsingfors, (1896).
  24. Das militärische Besichtigungswesen und Gesundheits- und Krankenpflege im finnländ. Militär für das Jahr 1901. Helsingfors (1902).
  25. Ueber die Reorganisation der allgemeinen Gesundheits- und Krankenpflege in Finnland, Helsingfors (1902).
  26. Die sittlichen Weisungen Jesu und die Kulturgemeinschaft der Liebe. (1908).
  27. Christian Bode. Braunmüller, Wien-Leipzig (1910).
  28. Die Christgaben des Todes, Helsingfors, (1911).
  29. Die Mennoniten. Braunmüller. (1912). Wien-Leipzig.
  30. Mein Lebenslauf, Helsingfors, (1912).
  31. Die Mordinsel. Braunmüller. Wien-Leipzig (1914).
  32. Die Geburt der Heimatliebe. Ein Märchen. Helsingfors (1914).
  33. Die Beichte meiner Feder. Wolgadeutsche Monatshefte, (1923).

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*) Professor Pirogoff ist der Gründer des russischen Roten-Kreuzes, das von ihm während des russisch-türkischen Krieges 1877/78 ins Leben gerufen wurde.


Wolgadeutsche Monatshefte, Nr. 21/22 vom Dezember 1924, S. 115-116.