Geschichte der Wolgadeutschen
UNSERE WIRTSCHAFT
Illustrierte Halbmonatsschrift
1927 № 13, 14, 15, 16

Was sein muß, muß sein.

Von Chr. Baltasar.[1]

I.

 „Die Kooperazia ist das allerwichtigste“, oratorte Lewasch und strampelte mit Armen und Beinen, um seinen Worten mehr Eindruck zu verleihen. ,Die Kooperazia‘, sagte unser Politruk oft, ,ist der Transformator in unserer Wirtschaft‘. Das soll heißen, durch die Kooperazia wird unsere Bauerei umgeformt. Nicht mit Ochsen, sondern mit Traktoren sollen wir fernerhin ackern. Edlen Samen sollen wir säen und Rassevieh züchten. Die Regierung wird jeden Anfang gerne unterstützen, denn es ist unsere eigene Regierung, eine Bauernregierung. Aber alles wird nur an die Kooperazia abgelassen; der Einzelne kann’s nur durch die Kooperazia haben. Drum müssen wir Zusammengehen und eine Kooperazia gründen, damit, wir die nützlichen Sachen bekommen können. Ich …“

„Laß nur mal genug sein!“ rief Schreiners Adam; „ich glaube, du hast schon zu viel gesagt. Ich war auch . . .“

„Es ist ja alles klar“, überbot ihn Neubauer; „schreibt nur mal auf, wer beigehen will.“

„Ich bin der erste, schreibt!“

„Schreibt auch mich auf!“

„Auch mich!“

So wurde dem Redestrom des Lewasch ein jähes Ende gemacht und zur Tat übergegangen. Die Mitglieder der künftigen Kooperatives wurden ausgeschrieben.

„Halt doch!“ rief Lewasch; „hier unter die Statuten müssen ja die Namen geschrieben werden. Soll ich die Statuten vorlesen?“

„Wenn unter die Statuten geschrieben werden muß, dann her da. Was sein muß, muß sein.“

Und bald war das vorhandene Exemplar einer Kreditgenossenschaft ausgefüllt und von den Anwesenden unterschrieben. Nur der Schreiners Adam warf dazwischen: „Ich will mit dem Lewasch seiner Kooperazia nichts zu tun haben.“

„Der Ustaw muß bestätigt werden“, sagte Lewasch; „auch müssen wir eine Verwaltung wählen, die die Sache besorgt und dann die Geschäfte leitet.“

„Das ist aber kurios“, meinte Wasserhanjuste Altes; „das Papier ist von der Obrigkeit gedruckt und muß doch bestätigt werden. Na, was sein muß, muß sein; da ist nichts zu machen. Der Lewasch kann fahren; der wird auch gut zum Predsedatel.“

„Der Lewasch ist gut!“

„Lewasch, Neubauer und das Alte in die Verwaltung. Wer ist dafür?“

„Die Männer sind gut.“

Die Gemeindeversammlung war zu Ende.

„Jetzt wollen wir mal unsere Wirtschaft heben“, meinte Neubauer auf dem Heimwege.

„Hebt euch nur nicht tot“, spöttelte Schreiners Adam. „Ihr habt nicht mal das Beitrittsgeld eingefordert.“

„Wenn wir selbst zahlen sollen, brauchen wir doch die Kooperazia nicht. Wir wollen doch etwas bekommen.“

„Ihr hättet besser einen Instruktor eingeladen und euch keine blauen Nebel vormachen lassen von diesem Lewasch. Wollen sehen, was herauskommt.“

II.

Lewasch kam von Kosakenstadt und brachte die Bestätigung. Auch Heugeld brachte er mit. Der Büttel lief durch alle Gassen und meldete:

„Es werd bekannt g’macht,

Jeder soll sein Heugeld holen,

Soll sein Beitrittsgeld mitbringen,

Fünfzig Kopie!

Wer keins hat,

Kanns vom Heugeld abrechnen lassen.“

Das Ansehen der Kooperazia, hauptsächlich das des Lewasch, stieg gewaltig. In der größten Not bekamen die Leute so 20—30 Rubel, und das war auch aller Ehren wert.

„Wie mag Lewasch zu diesem Geld gekommen lein?“ fragte sich und andere Schreiners Adam.

„Der Adam hat auch immer was zu tadeln“, sagte Neubauer.

„Den laßt doch tadeln. Er ist ein Kontra, ex will nicht so wie die Regierung“, meinte Lewasch.

Und auf der vollen Gemeindeversammlung berichtete Lewasch: „Jetzt müssen wir oft nach Kosakenstadt fahren; denn wir müssen wissen, wann und wo Kredit zu bekommen ist.“

„Was sein muß, muß sein“, war der Beschluß der Gemeinde.

„Auch könnten wir vielleicht anfangen zu handeln“, erklärte Lewasch weiter; „wir könnten das Geld in Kosakenstadt empfangen, Ware ankaufen und wieder verkaufen. Geld bringt wieder Geld.“

„Richtig! Her da!“ brüllte die vorderste Bank: Wasserhanjuste Altes, Neubauer, Matthäuse Dicker und andere.

Die hinteren Reihen schwiegen.

„Dann könnten wir zum nächsten Mal Ware kaufen. Wir bekommen tausend Rubel, um Pferde zu kaufen. Sollten wir nicht dafür Ware kaufen?“ stellte Lewasch zum Antrag.

„Dann kauft Pferde für die Viehlosen“, rief Heinze Soldat ganz gedämpft, damit es die vordersten nicht hören sollten.

„Wer ist das?“ stellte sich Wasserhanjuste Altes. „Wart’, ich will mal meine Brülle aufsetzen, damit ich den superklugen erst recht betrachten kann. — So, Soldätche, du hättest wohl gerne einen Gaul?“ Unter dem Blick des Alten duckte sich Heinze Soldat immer tiefer, und niemand wagte mehr, etwas zu sagen.

„Am besten tun wir es auf Seelen verteilen“, rief der Pockenstecher, der eine große Familie hatte.

„Wer ist gegen diesen Antrug?“ fragte Lewasch. „Niemand — angenommen! Also, wenn wir wieder Kredit bekommen, werden wir Ware kaufen.“

„Ganz gewiß“, meinte das Alte; „nur nicht das Geld herbringen, damit es die Leute erst betrachten sollen. Kauft Ware und sagt: Wir haben für das Geld Ware gekauft. Nicht wahr, ihr Leute?“

„Richtig!“ rief der Haufen, „ihr seid ja die Verwaltung und habt das Recht in der Hand.“

III.

Wasserhanjuste Altes hatte nun viel zu tun. Die Bude, die schon acht Jahre leer gestanden hatte, wurde rein gewaschen und in Ordnung gebracht.

„Es ist zum Krepieren“, wetterte das Alte; „halt’ ich dir doch immer gesagt, Mutter, laß die Kinder und die Weibsleut nicht alles fortschleppen, vielleicht brauchen wir's noch. Hast aber nicht gehört . . .“

„Ich bitt’ dich. Was machst du dir nur Sorgen um ungelegte Eier“, murrte die Frau des Alten. „Vielleicht will die Kooperazia gar nicht bei uns handeln, und du machst dir jetzt schon Klapott.“

„Dafür hat eine Russematschka gebetet“, erwiderte das Alte; „ich bin doch in der Verwaltung. Was soll die Verwaltung lange suchen? hier ist ja alles fertig. Laß nur säubern und such’ alles bei. Vielleicht geht’s doch bald los. Wenn Lewasch nicht jedem alles auf die Nase gehängt hätte, dann hätten wir jetzt schon Ware kaufen können. Jetzt bekommen die Leute das Geld und bringen’s fort. Wär’s denn nicht dasselbe, wenn sie für die Summe Ware genommen hätten? Die Kooperazia hätte dabei was verdient. — Na, nitschawo! Was nicht ist, kann noch werden“, tröstete sich das Alte und stopfte seine Pfeife.

Er wollte schon zuschließen, denn von seinen Weibsleuten war schon längst keins mehr da, als plötzlich Lewasch hereingerannt kam.

„Na Lewasch, was ist denn los? Du kommst ja herein, als wenn ein toller Hund hinter dir her wäre“, fragte das Alte neugierig.

„Was los ist? Alles, was nicht angebunden ist. Es hat jemand seine Zunge losgelassen. Die Bank weiß jetzt, daß wir das Geld verteilt haben. Ein Instruktor kommt, die Sache zu untersuchen.“

„Na und?“

„Und, und ... Das Geld soll zurückgefordert werden.“

„Das ist so wenig zu haben, wie der vorjährige Sache.“

„Schickt nur mal fort und laßt die Leute rusfen.“

„Was sein muß, muß sein“, meinte das Alte und stopfte seine Pfeife. „Wir können mal die Sache besprechen.“

Als die Gemeinde zusammengebracht war, ging Lewasch zur Sache über:

„Bei der heutigen Lage ist jedermann froh, wenn er sich ein Öchschen kaufen kann. Er will schon gern keinen Gaul. Nicht wahr?“

„Jawohl“, rief die Gemeinde.

„Als wir das letzte Geld verteilten, gingen wir von der Meinung aus, der eine sollte sich ein Öchschen kaufen, damit er eins hat, der andere sollte seins erhalten, damit er nicht ohne bleibt. Es war doch recht so?“

„Nichtig! Ganz richtig.“

„Wir haben Anweisung bekommen, nicht zu verteilen, sondern zu einem ganzen Gaul zu geben. Um uns nicht in Verlegenheit zu bringen, müßten alle das Geld zurückgeben, und wir müßten es anders verteilen.“

„Wie sollen wir’s denn zurückgeben? Wir haben ’s doch verausgabt“, riefen einige zugleich.

„Nehmt’s doch zurück von denen, die keins gebraucht hätten“, rief eine Stimme verzagt aus den hinteren Reihen.

„Was ist denn dort hinten los?“ rief das Alte und setzte seine Brülle auf die kurze Nase. „Ihr könnt's nicht mehr zurückgeben? Aber was sein muß, muß sein!“

„Männer“, rief Lewasch, „wir haben einen Ausweg. Wir haben Geld bekommen, um Kühe anzukaufen und unser Inventar zu reparieren. Das könnten wir heule noch austeilen; dann zahlt ihr eure Schulden. Eigentlich unterschreibt ihr sin anderes Papier und wir geben euch das alte zurück.“

„So, das ist schön! Das ist doch auch gesorgt für die Leute!“ riefen einige Stimmen zugleich.

„Die Versammlung ist zu Ende; geht her und schreibt“, sprach Lewasch und stellte sich näher zur Tür, damit niemand ausweiche, dessen Papiere nicht in Ordnung waren.

„Ei—ei—ei—ei—ei“, wetterte das Alte, „habe mich schon so lange auf Geld gefreut, und jetzt geht’s einem wieder an der Nase vorbei. Mein Schwager nämlich aus Armewir hat mir geschrieben, daß dort die Stiefel und die Lederwaren abscheulich billig sind. Da dachte ich oft, es könnte ein gutes Geschäftchen gemacht werden. Sechs und einhalb Rubel ein Paar Stiefel, und hier kann man unter zwölf Rubel keine Stiefel zu sehen bekommen. Da sollten wir doch einmal Stiefel bestellen. Fünf Rubel am Paar Verdienst ist sicher. Und los werden wir sie! Alle Leute brauchen Stiefel. Ich täte mir selbst schon gern ein Paar nehmen. Nun ist aber das Geld wieder fort. Ei—ei—ei—ei—ei!“

„Wart nur, vielleicht bleibt noch übrig. Viele müssen doch gleich zurückzahlen“, tröstete Lewasch.

„Das wär’ aber gut. Fünf Rubel am Paar! Ei—ei—ei—ei—ei!“ winselte das Alte und stopfte seine Pfeife.

Die Revision lief glücklich ab, und der Instruktor kehrte nach Kosakenstadt zurück. Lewasch fuhr auch mit, um in der Wolgadeutschen Bank Kredit zu erwirken. „Seht ihr, Genossener“, sprach er zum Vorsitzenden der Bank, „wie man in Verlegenheit kommen kann. Euer Instruktor wird euch ja schon berichtet haben? Wenn ja auch nicht alles glänzend ist bei uns — wir sind eben prostoje Leut in der Verwaltung, haben alle für sieben Kopeken gelernt — so ist doch wenigstens nichts Wahres an den Beschuldigungen, die hier vorgebracht wurden. Auf uns könnt ihr euch verlassen. Aber was ich noch fragen wollte“, räusperte sich Lewasch, „können wir nicht Unterstützung bekommen, um eine Molkerei zu errichten? Wir bekommen doch jetzt gute Milchkühe. Die Leute brauchen Geld; drum verkaufen sie jeden Tropfen Milch. Eine Käserei wäre was Gutes.“

„Könnt ihr denn schon im Frühjahr Butter oder Käse liefern? Der Nemselsojus wird euch nur dann unterstützen, wenn ihr Butter und Käse liefert.“

„Da könnt ihr sicher sein, wir können euch satt machen mit Butter und auch mit Käse.“

„Fertig“, sprach der Vorsitzende, „bringt euren Beschluß und die Zusage vom Nemselsojus, dann könnt ihr Geld erhalten.“

Lewasch hätte beinahe vergessen, „Adje“ zu sagen, so eilig ging er fort. Er wollte bald die nötigen Papiere bringen, um Kredit zu empfangen. Vielleicht könnte auch er noch einen „Oborot“ (Umsatz) machen, bis das Alte mit Stiefelware kommt. Ja, ganz gewiß! Er sann nach. Irdene Gefäße und Salz waren noch immer rar seit 1916. Es wurde nichts herbeigeschafft; drum war in der letzten Zeit großer Mangel an diesen Gegenständen. Wer hat jetzt noch Töpfe? Wer hat Salzvorräte? Niemand. Und jeder braucht Töpfe, jeder braucht Salz. „Hier ist sicherer Verdienst! Noch sicherer als an den Stiefeln“, fuhr Lewasch in Gedanken fort. „Für den Predsedatel ziemt sich’s auch, die vorteilhaftesten Geschäfte zu machen.“

Lewasch wurde immer lebhafter in seinen Gedanken.

„Ich werde dafür angesehen, was in der Kooperazia geschieht“, rief er laut und schlug mit der Faust auf sein Knie.

„Du wirst ja immer hitziger, Sohnje“, meinte Piephahn, der Fuhrmann, der ihn schon den ganzen Weg von der Seite ansah. „Hast Du nicht eins getrunken?“

„Was würde es schaden, wenn ich eins getrunken hätte? Wenn man so Geschäfte macht, kann man auch eins trinken. Aber eins möchte ich sagen: mich Sohnje zu nennen, ist eben so häßlich, als wenn ich euch Piephahn nennen täte. Wenn man der Gemeinde so viel Nutzen bringt, dann müßte man doch auch ein wenig geehrt werden.“

„Na, Bräunchen, na. Ich glaub’ es wird dunkel, bis wir nach Hause kommen. ’

„Und wenn es halb Nacht wird, aber die Versammlung lassen wir doch noch zusammenkommen“, sagte Lewasch nach einer Weile. „Morgen muß ich wieder in Kosakenstadt sein. Wenn Ihr gerne Geld verdient, Vetter Heinrich, dann könnt ihr euch melden. Ihr könnt auch noch andere mitbringen. Wir kriegen jetzt viel zu fahren.“

„Ihr wollt wohl wirklich handeln?“ fragte Piephahn. „Ihr geht aus Ernst dran. Was das doch ausmacht, wenn man einen Mann an der Spitze hat, der alle Wege weiß.“

„Da habt ihr das rechte Wort getroffen. Es hängt alles vom Vorgänger ab. Kaum findet man noch ein Dorf, wo so viel Kredit bekommen hat wie wir. Auch Schreiners Adam hätte das nicht zustande gebracht, und der will immer so klug sein.“

„Na, Bräunche, na!“ eiferte Piephahn das Pferd an.

„Ihr könnt euer Geld heut Abend noch kriegen, Vetter Heinrich“, fuhr Lewasch nach eine Weile fort. „Fahrt nur in die Mittelstraße. Wenn uns die Leute sehen, kommen sie eher zur Gemeinde.“

Um noch einmal auf den Hund zu kommen, sagte Lewasch mit gedämpfter Stimme: „Wenn Ihr nun einseht, Vetter Heinrich, daß ich Nutzen bringe, dann tut mich auch mehr unterstützen. In eurer Ecke wird mehr dem Schreiners Adam beigehalten.“

„Na, Bräunche, na!“ und Piephahn zupfte mit der Leine.

Bei Wasserhanjuste Altes war die Bude immer voll Menschen. Die Budentür war den ganzen Tag weit geöffnet. Im Fenster hingen Beilshelme, Zahnpulver, Leder und dergleichen Sachen. Hoch oben prangte das Schild:

Handel der Lewaschowkaer landwirtschaftlichen Kreditgenossen-schaft.

Alles das lockte die Menschen heran.

„No, kauft doch, kauft doch“, eiferte das Alte die Leute an.“

„Es kauft sich schlecht, wenn man kein Geld hat“, erwiderten manche.

„Wir können einem ordentlichen Mann auch etwas borgen.“

„Borgen macht Sorgen.“

„Aber für die Kinder Spielsachen“, bot das Alte weiter an.

„Eidu, eidu, wozu habt ihr nur die viele Spielsachen? Das wird ja in hundert Jahre nicht all. Ihr hättet besser Hosenzeug gebracht.“

„J—ja, Junge“, seufzte das Alte, „es ist nicht mehr wie früher. Da konnte man haben, Herz was begehrst du, und jetzt ist nichts zu haben. Einen Bekannten Hab ich in Saratow getroffen, bei dem Hab ich früher immer gekauft. Und der handelt jetzt nicht mehr mit Arschinware, sondern mit Spielsachen. Ha, sagt er, alter Snakom. Wenn dein Geld nicht reicht, sagt er, kann ich dir borgen, alter Snakom. J—ja“, seufzte das Alte zum Schluß, „von den alten Händlern sind keine mehr da; drum ist auch keine ordentliche Ware mehr da. Aber das allernotwendigste haben wir doch, guck dich nur mal um.“

Abends klagte das Alle immer:

„Will auch kein Teufel dran an die Ware. Hölzchen, Lampenöl und ähnliche Kleinigkeiten holen ja die Leute, aber wo eigentlich das Geld drin steckt, das liegt.“

Ja, der Handel ging schlecht.

„Neubauer“, sagte einmal das Alte, „Ihr wolltet doch Stiefel kaufen, macht doch mal den Anfang.“

„Du wolltest doch die ersten kaufen.“

„Für mich passen sie nicht“, erwiderte das Alte kleinlaut, „die Schäften sind so kurz.“

„So sagen eben alle.“

„Wißt ihr was“, rief Lewasch, „wir müssen die Sachen verborgen, dann geht’s eher fort. Redet den Leuten ein, damit wir das Zeug aus der Bude kriegen, denn manche fangen schon an zu spotten über unfern Handel.“

Das Alte, das eigentlich Einkäufer, Verkäufer und Prikaschik war, hatte nichts dagegen einzuwenden.

„Was sein muß, muß sein“, sagte er und stopfte seine Pfeife.

Aber die Verwaltung mußte sich bald überzeugen, daß die Aussichten ganz trostlos waren. Und die Zahlungstermine kamen immer näher.

„Was anfangen?“ seufzte Lewasch.

„Wenn du aus deinem klugen Kopf nichts heraus kriegst, wie soll ich aus meinem dummen was rausbringen?“

„Da wollen wir noch eins probieren“, sagte Lewasch, dem gerade ein neuer Gedanke kam. „Ich habe gute Bekannte im Ispolkom, in der Nemwolbank, im Nemselsojus. Ich war diese Tage erst im Kantonvollzugskomitee und ging zum Predsedatel. ,G’morgen‘, sagte er, ,setzt euch‘, sagte er, und ich hab mich lange bei ihm unterhalten. Auch der Predsedatel aus der Nemwolbank begegnete mir unlängst und reichte mir die Hand. Überhaupt sind das lauter passende Männer. Wenn wir ein gut Wort verleihen, läßt sich was loskriegen. Ich plane da an der zweiten Utschas, wenn wir die kriegen, können wir Unmengen Heu verkaufen. Auch einen Traktor müssen wir uns holen. Wir können für die Leute ackern und dabei Geld verdienen. Alles hängt davon ab, wie wir die Utschas bekommen. Ich fahre ins Kantonvollzugskomitee.“

„Wollen das Beste hoffen; das Schlechte kommt von selber“, sprach das Alte und stopfte seine Pfeife.

Unverzüglich wurde die Gemeinde angesagt.

„Wenns nur keinen Krawall gibt“, sagte Neubauer ganz gedrückt. Der Schreiners Adam hat seine Eck so weit, daß sie der Kooperazia nicht mehr traut. Auch allerhand Nachteile werden der Verwaltung gemacht. Wenn man an eine lustige Gesellschaft herankommt, schweigen alle pumpstill. Reden zweideutig von Stiefeln, von Salz, von Milchtöpfen, kurzum, es geht über die Bude naus.“

„Die laßt nur plaudern“, sagte Lewisch ärgerlich; „dem Adam können wir heute das Maul noch nicht schließen, aber solange die Kooperazia nützlich ist, solange sind die Leute auf unserer Seite. Und heute gar — um Land gehen die Leute durch dick und dünn.“

„Das ist alles wahr, aber doch . . . sogar der Piephahn kommt nicht mehr. Er will auch nicht mehr fahren für uns, hat er laut gesagt, sonst kriegt er noch was zu zeugen, sagt er.“

„Laß sie nur mal zusammenkommen“, tröstete das Alte und nahm seine Brille zur Hand; „laßt sie nur murmeln, die machen wir so ruhig wie ein Lämmerschwänzchen.“

An einem schönen Frühlingsmorgen war in Lewaschowka großer Aufruhr. Alles was Löffel lecken konnte, war auf der Straße. Lewasch kam mit einem Traktor gefahren.

„Komm, wir hängen uns hinten dran“, sagte ein kleiner Junge zu seinem Kameraden.

„An das Pupperding? — Ach herrje, das spuckt jo“, rief der andere, und beide galoppierten dem Traktor entgegen.

„Wie heißt das Ding?“ fragte eine alte Frau eine jüngere.

„Traktor.“

„Dratter? So, so. Na, das ist aber ein kleiner Dratter“, und die Frauen gingen dem Traktor auch entgegen.

Doch die Männer hatten den Traktor schon so umringt, daß die Frauen gar nicht mehr beikonnten und die kleinen Knirpse nur noch so die Nase an des Vaters Hosentasche vorbeistrecken konnten.

„No, no! Was der Lewasch alles beischleppt“, wunderten sich die Männer. „Wie kriegst du nur alles fertig, Lewasch?“ fragte jemand.

„Na, das ist doch nur ein kleines. Die Sowetsregierung tut jeden neuen Anfang unterstützen. ,Wir sind eine Kooperazia‘, sagte ich, ,und da brauchen wir einen Traktor‘, sagte ich. ,Auch die zweite Utschas‘, sagte ich, ,brauchen wir. — Kollektiver Sinn muß gepflegt werden‘, sagte ich, ,hier sind die Beschlüsse‘, sagte ich, und die Sache war abgemacht.“

„Wo habt ihr denn die Beschlüsse her?“ fragte Schreiners Adam.

„Na ja, du tätest dich doch wieder gerne streiten“, meinte Lewasch. „Die Versammlung war angesagt und vollzählig. Daß nicht alle gekommen sind. Daran bin ich nicht schuld. Wer nicht kommt, dem wird der Kopf nicht gewaschen. Aber laßt mich mal nach Hause; ich bin müde, der Schoffer auch. Am Nachmittag werden wir den Traktor probieren“, und Lewasch drängte sich durch die Menge.

Am Nachmittag pupperte der Traktor durch die Straßen. Groß und Klein strömte ihm nach. Der ganze Knäuel bewegte sich hinaus ins Feld. Am Krottenloch hielt der Traktor an, schnatterte und warf Erde um sich. Der Pflug schnitt lange Schwarten aus der Erde. Der 70-jährige „Kop“, der auch nachgekommen war, maß mit seinem Stock die Furche und viertelte mit seinem mittelsten Finger. „Vier Werschok vollständig“, brummte er und schüttelte mit dem Kopf.

Der Traktor kreiste auf dem Feld und machte eine Furche nach der andern.

„Die probieren zu lange“, meinte einer; „kommt, wir wollen nach Hause gehen.“

„Das ist doch dem Lewasch sein Arbusenstück“, spottete ein anderer; „drum wird so lange probiert, bis alles schwarz ist.“

„Machst Sachen.“

„Gewiß! Hier ist ja das Grenzloch.“

Und einer nach dem andern verließ langsam das Feld.

Aber im Dorf kam der Menschenknäuel wieder zusammen. Am Sowet hielt ein fremdes Gespann.

„Es ist doch ärgerlich, daß ich zu spät kam“, meinte der Mann vom Wagen. „Ich wollte vor dem Traktor ankommen, um eurem Fest beizuwohnen, aber der Zug hat verspätet.“

Als die Gemeindeversammlung vollzählig war, erklärte der Angekommene:

„Ich komme vom Nemselsojus. Euer Dorf schreitet in allem voran. Ihr habt eine Käserei, Rassenvieh, habt jetzt einen Traktor. Ich überbringe einen Gruß vom Nemselsojus, der mich beauftragt hat, nachzusehen, wo es bei euch fehlt, und euch behilflich zu sein. Auch soll ich die Tätigkeit eurer Verwaltung untersuchen und dem Nemselsojus darüber berichten.“

„Das ist recht. Es ist die höchste Zeit. Da kriegt ihr auch was Ordentliches zu sehen. Betrachtet auch die Stiefel und das Salz und die Töpfe!“

Ein ganzer Lärm war dadurch entstanden, daß jeder seinem Gefühl freien Ausdruck gab.

„Was soll das bedeuten?“ verwunderte sich der Instruktor.

„Seid nur mal ruhig, ihr Leute“, trat Schreiners Adam hervor. „Genosse, es ist höchste Zeit, daß die Untersuchung eingetroffen ist. Unsere Verwaltung hat noch nichts Gutes gestiftet. Die Leute sind unzufrieden, aber niemand kann Aufschluß geben. Sie werden einige Tage hierbleiben müssen, um erst einmal Ziel und Zweck der Kooperation zu erklären.“

„Sind Sie Mitglied?“ fragte der Instruktor.

„Nein.“

„Dann verstehen Sie vielleicht die Bedeutung der Kooperation nicht, so wie Sie den Wert des Traktors nicht einschätzen können. Ist denn die Käserei nicht von großer Bedeutung für die Landwirtschaft ?“

„Aber wo sollen wir denn eine Käserei herhaben?“

Das Gesicht des Instruktors verwandelte sich nun ganz in eine erstaunte Frage.

„Der Adam hat recht“, trat Piephahn hervor. „Der Lewasch ist ein Schwindler. Standepede müssen dem Karl alle Rechte genommen werden!“

„Warum habt ihr ihm Vollmachten gegeben?“ fragte nun der Instruktor vorwurfsvoll.

„Wie konnten das die Leute voraus wissen?“ rief Piephahn. — „Er hat den Leuten viel versprochen, und da haben ihn alle gewählt.“

Schreiner nahm das Wort wieder: „,Ist es recht so?‘ fragt Lewasch“, und Schreiner suchte den Lewasch zu kopieren. „,Recht!‘ schreit Neubauer aus seinem dicken Wanst heraus. ,Was sein muß, muß sein‘, ruft Wasserhanjuste Altes. Der Schreiber schreibt, die Verwaltung unterschreibt, und so sind die nötigen Papiere fertig.“

„Der Adam hat recht, recht hat er!“ sprang Piephahn wieder vor: „Der Lewasch muß bei und Abrechnung machen. Der muß seine Traktemente kriegen!“ ereiferte sich Piephahn.

„Was sein muß, muß sein“, sprang das Alte hervor. „Was ist denn da los? Wart, ich will erst mal meine Brille aufsetzen. So—o, Piepha—h—n! Du hast wohl dein Teil nicht bekommen?“ und Wasserhanjuste Altes sah Piephahn scharf in die Augen.

„Wollt ihr noch lange die Leute mit Eurer Brille unter die Bank gucken?“ schrie Heinze Soldat und packte das Alte beim Kragen, daß die Brille auf die Erde fiel. Im Nu war ein großer Lärm und ein großes Gedränge entstanden. Das Alte flog über Hals und Kopf aus dem Kreis heraus.

„Holt den Lewasch!“

Ein Trupp junge Männer gingen ab.

„Macht doch keinen Unfug“, bat der Instruktor.

„Keine Sorgen, Genosse“, sprach Heinze Soldat. „Sonst wird nichts passieren. Das Alte guckt von jeher jeden unter die Bank, der seine eigene Meinung haben will. Wir haben das Gucken nicht so gelernt, aber unsere Hände können das auch besorgen. Heute wollen wir mal unsere Meinung gelten lassen, und da muß das Alte hinaus.“

„Der Lewasch kommt“, riefen einige zugleich.

„Nur als her. Gerade hier ist dein Platz“, zeigte Piephahn neben den Tisch. „Jetzt erzähle mal von deiner Arbeit, stell dich hierhin!“

„Männer, macht keinen Unfug“, bat der Instruktor, „sonst können wir nichts fertig bringen.“

„Na das können wir auch mit Ordnung machen“, sprach Heinze. „Männer, schlagt mal einen Vorsitzenden für die heutige Versammlung vor.“

„Schreiners Adam!“ riefen alle zugleich. „So“, setzte sich Schreiner, „jetzt kann’s in aller Ordnung losgehen. Setz dich her, Adam jetzt kommst du zu Wort.“


[1] Chr. Baltasar ist ein Deckname von Christian Ölberg. – Anm. d. Red.


Unsere Wirtschaft, 1927, Nr. 13, S. 259-260, Nr. 14, S. 279-280, Nr. 15, S. 299-300, Nr. 16, S. 318-320.