Geschichte der Wolgadeutschen

Персоналии

Rose Steinmark

EIN WERK DER GESCHICHTE

„Deutsche Autoren Russlands“ – Enzyklopädie, ein Werk, an dem der Verfasser Edmund Mater schon viele Jahre arbeitet und das anscheinend niemals fertig wird, eine unendlich schwere, aber dennoch dankbare Arbeit.

Begonnen hat alles viel früher, damals als der junge Verfasser der Enzyklopädie zum ersten Mal feststellen musste, wie wenig er doch über die Geschichte seiner Volksgruppe weiß. Die Stagnationsperiode der ehemaligen Sowjetunion trug herzlich wenig zur Enthüllung dieser Geschichte bei. Man konnte zwar Einiges über deutschstämmige Schriftsteller, Schauspieler und Helden der „sozialistischen Arbeit“ finden, aber das genügte dem jungen Forscher nicht. Körnerweise begann er Namen und Biografien aufzulesen und sie in seinem Archiv aufzubewahren. Aber wie groß dieses Archiv künftig in Wirklichkeit wird, konnte er selbst nicht einschätzen. Eines Tages waren es 3100 Persönlichkeiten deutscher Herkunft: Doktoren, Professoren, Schriftsteller, Dichter, ärzte, Physiker, Chemiker, Geodäten – die ihr Leben Russland opferten und unvergessliche Spuren in der Weltgeschichte hinterließen. Es waren gebildete, intelligente und selbstbewusste Menschen, die zielstrebig in den wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und allgemeinen Fortschritt Russlands ihr Wissen und Können investierten. So entschloss sich Edmund Mater zu einem vierbändigen Naschlagewerk „Autorenlexikon der Russlanddeutschen“, denn entscheidend für dieses Werk war, dass jeder dieser Autoren die bedeutendsten Augenblicke seines Lebens und seiner Forschungen schriftlich festgehalten hat, dass ihre wissenschaftlichen, philosophischen und literarischen Forschungsarbeiten und Errungenschaften auch veröffentlicht, gelesen und mehrere davon sogar mehrmals verlegt wurden…

Aber dieses Nachschlagwerk war erst der Anfang: Nach nicht allzu langer Zeit häuften sich schon über fünf tausend Namen an! Das Lexikon wurde erweitert, vervollständigt und in „Enzyklopädie“ umgetauft. Die elektronische Internetversion besteht heute aus acht Bänden mit Namen, Biografien und Bibliografien! Aber Edmund Mater weiß, dass dies bei Weitem noch nicht alles ist – auf seinem Tisch landen täglich mehrere Briefe, in denen über die oder jene Person, die unbedingt in der Enzyklopädie erwähnt werden muss, ausführlich berichtet wird.

Doktor Wendelin Mangold - Pädagoge, Autor und übersetzer, schreibt im Vorwort zur Enzyklopädie: „…Zum ersten Mal sind darunter auch ganz junge Namen, wie z.B. Anna Schmidt, die 1968 in Sibirien geboren ist… Edmund Mater verwendet eine besonders produktive Arbeitsmethode, setzt keine künstlichen Schranken. Wie immens dabei die Spannungsweite sein kann (bis tausend Jahren) veranschaulichen zwei Namen: Bruno von Querfurt (974) und Andre Geim (1958)“.

Brun (Bruno von Querfurt) war einer der ersten deutschen Schriftsteller, der sich im Dezember 1007 nach Kiew begab um dort das Christentum zu predigen. Und er war es, der als erster die Kiewer Rus beschrieben hat.

Andre Geim (Andreas Heim) - Physikprofessor und Direktor für Mesophysik und Nanotechnologie an der Britischen University of Manchester, wurde 2010 zum Nobelpreisträger für Physik nominiert…

Eine Enzyklopädie wie ein Epos, in dem der Autor versucht die gesamte Geschichte der Deutschen in Russland festzuhalten. Jede einzelne Geschichte fühlt sich an, wie eine Offenbarung, wie vielseitiger Berührungspunkt. Man wundert sich, freut sich und ist erschüttert: aus der Tiefe der Jahrhunderten tauchen Tatsachen auf, die ein besonderes Gefühle hervorrufen –Gefühle der inneren Verbundenheit mit der Geschichte eines Volkes, zu dem man selbst gehört.

Nur paar Beispiele:

Vitali Bianki, der prominente russisch-sowjetischer Kinder- und Jugendautor, dessen Tiererzählungen- und Märchen unsere Kindheit begleiteten, ist ursprünglich deutscher Abstammung. Den Name Bianki hat er von seinem Großvater, einem Opernsänger aus Sankt Petersburg, geerbt. Eigentlich schrieb der Großvater sich Weiss, aber sein Impressario fand den Name zu prosaisch und schlug ihm vor, sich etwas Künstlerischeres einzufallen lassen. Der Opa besaß anscheinend viel Humor und übersetzte „weiß“ ins Italienische und so wurde aus Weiss ein Bianki.

Interessant entwickelte sich auch die Geschichte der Familie Koenig. Sie war im zaristischen Russland des 19. Jahrhunderts durch industrielle Zuckerproduktion zu ungeheurem Reichtum gekommen. Neben riesigem Landbesitz und Gütern in der Ukraine und Paläste in Petersburg besaß Leopold Koenig für einige Jahrzehnte auch die spätere Villa Hammerschmidt in Bonn. Ende des 20. Jahrhunderts schreibt seine Enkelin, die deutsche Schriftstellerin Herta Koenig, einen Roman über ihren Großvater aus Russland.

Helene Molochowetz war keine große Schriftstellerin, aber sie hinterließ ein zeitloses Werk, ein Kochbuch, das heute noch in aller Welt gelesen und gepriesen wird. Geboren 1831 in einer deutschen Familie in Archangelsk, heiratete sie den Architekten Franz Molochowetz und gebar ihm 10 Kinder. Außer dem Haushalt hatte sie ein wunderbares Hobby, dem sie ihre Freizeit opferte: Helene sammelte Rezepte der russischen Küche.1861 veröffentlichte sie zum ersten Mal ein Kochbuch, das 1500 Rezepte beinhaltete. Das Werk wurde mehrmals neu verlegt und bis zur 29. Ausgabe 1917 waren es schon zwei Bände mit über 2500 Rezepten! Zu jener Zeit wurde eine halbe Million Exemplare verkauft. Ende des 20. Jahrhunderts kostete das Kochbuch 350 Euro. In Sankt Petersburg gibt es heute ein edles Restaurant mit dem Namen „Molochowetz Traum“. In Online-Forumen loben die Leser von Russland über Deutschland bis zu den USA die zeitlose Weisheit der „Großmutter Molochowetz“…

Insgesamt umfasst dieses Werk die Geschichte eines Jahrtausends.

2013 feierte man 250 Jahre russlanddeutscher Geschichte, der offiziellen Geschichte, mit der heutzutage alle vertraut sind. Aber der Inhalt der Enzyklopädie von Mater bezieht sich nicht allein auf diesen kurzen Abschnitt, denn die gesamte Geschichte der Deutschen in Russland nahm deutlich früher ihren Anfang. Es waren deutsche Geistliche, Kaufleute, Lehrer, ärzte, Wissenschaftler u.a., die über Jahrhunderte hinweg den Weg nach Russland fanden und nicht nur im westlichen, sondern auch im östlichen Teil Russlands (Sachalin, Alaska) in vielen Bereichen des wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und öffentlichen Lebens erfolgreich tätig waren.

Viele Momente dieser Geschichte sind in der Enzyklopädie von Edmund Mater festgehalten. In Namen, Titeln und Biografien. Jeder, der sich für diese Geschichte interessiert, kann sie heute unter www.edarmer.de Enzyklopädie abrufen und sich über die Menschen, die diese Geschichte machten, informieren.

Rose Steinmark,
Münster

In: “Volk auf dem Weg”, April 2014, “Deutsch-Rußische Gesellschaft Paderborn e.V”, Juni 2014.