Geschichte der Wolgadeutschen
WOLGADEUTSCHE MONATSHEFTE
Monatsschrift für Kultur und Wirtschaft der Wolgadeutschen
1923 Nr. ...

Verlobung
(Wie sie einst in der Wolga-Kolonien zustande kam)

Der Winter ist wieder gekommen; weiß wie Wolle deckt das Erdreich der Schnee; die lan­gen Winterabende werden wieder in kleineren und größeren Gesellschaften zugebracht. Die weibliche ledige Jugend versammelt sich wieder der Reihe nach im Hause irgend einer Gespielin; es währt gar nicht lange, so kom­men die zur Kameradschaft gehörigen ledigen Burschen. Die ledige  Jugend muß allein in einem Hause zubringen, damit man auch recht nach Herzenslust Worte und Ausdrücke ge­brauchen kann, die für die Ohren der Eltern nicht immer passen. Nach verbrachtem Abend begleitet der ledige Bursche seine Auserwählte bis an das Tor ihrer Wohnung, gewöhnlich trägt er ihr Spinnrad. Er will damit seine Höf­lichkeit bezeugen und dartun, wie lieb er sie hat. Bei dem Abschied wird noch abgespro­chen: Dann und dann werde ich mit meinem Freiersmann kommen und bei deinen Eltern um deine Hand werben. Alle Heiratslustigen kann man schon im frühen Herbst daran er­kennen, daß sie eines der besten Pferde beson­ders gut füttern, um damit später die Braut zu fahren.

Manchmal sagt ein Nachbar über der Heiratskandidaten: ”Hannes, dou host doch aach wos em Senn des Johr, dos seh ich o deim fette Gaul.” An dem bestimmten Abend nun sagt der Vater dem Sohn: ”Hannes, `s es zeit, gi zou deim Petter (Pate), der kann met gi un kloppt amol bei der Mrikatrina oo, eich denke, swätt lus gi.” Der Bursche   geht zu sei­nem Paten, oder auch zu sonst einem beredten Brautwerber und fordert denselben auf, sein Fürsprecher zu sein. Der sogenannte Freiers­mann hat nun eine schwere Aufgabe; es be­lehrt zuerst seinen Schützling, wie er sich bei der Werbung zu verhalten habe; ihm wird so­gar eingeschärft, welche Worte er zu gebrau­chen hat. Endlich wenn sich schon alle zur Ruhe begeben haben, kommt der Freiersmann nebst seinem Schützling mit einem “guten Abend”. Alles stellt sich überrascht über den späten Besuch, obwohl man weiß, welchen Zweck der Besuch hat. Es wird bei der Nacht die Brautwerbung vorgenommen, damit wenn die Werbung nicht vonstatten geht, es andere Leute nicht gewahr werden sollen, denn es gilt für große Schande, wenn jemand eine ab­schlägige Antwort bekommt. Das ersieht man daraus, daß bei dem armen Heiratsburschen am anderen Morgen ein Korb am Tore hängt, ein beweis, daß er seine Auserwählte nicht be­kommen hat; auch heißt es bei den Ledigen: “Host a dos schun gehört? Der Hannes hot a Mahna (Korb) greit?”; andere meinen es anders und sagen: “ Der Hannes hot aach Bloes (Blaues) greit bei der Mrikatrina.”

Das Wort  “Blaues” soll soviel bedeu­ten, als: er, der Bräutigam, ist mit einem blauem Auge losgekommen. Der leere Korb mag wohl zu bedeuten haben, daß seine Brautwerbung ganz umsonst war und seine Auserwählte ihm entschlüpft sei, wie das Was­ser durch einen Korb rinnt. das Wort “Blaues” ist aber auch nur, soviel ich weiß, in einer Gemeinde gebräuchlich und mag sich aus Deutschland nach Rußland übertragen haben. Die Bewohner dieser Gemeinde, wo dieser Ausdruck gebraucht wird, stammen meisten­teils aus Hessen-Darmstadt, aus dem Vogels­gebirge.

Gewöhnlich erreicht aber der Braut­werber seinen Zweck nicht in der ersten Nacht, trotz seines Sprachtalents, und man gibt ihm zu verstehen, er möge später noch­mals anklopfen. Daraufhin beraten sich die El­tern mit den übrigen Hausgenossen, ob man dem Hannes die Mrikatrin geben kann oder nicht; denn alle Hausgenossen müssen gefragt werden, ob dieselben nichts gegen den Hannes einzuwenden haben. Hat man am anderen Abend das Jawort erhalten, so wird die künf­tige Braut herbeigerufen und in Gegenwart aller gefragt: “Mrikatrin, der Hannes hätt dich gern zurre Fraa, uns es er gud gnuak, wann dou niks gegen host, so nomm`n en Gottes Noma.” Darauf reichen die jungen Leute die Hände und das “Ja” wird mit einem Kuß be­siegelt. Dann zeiht der junge Bräutigam eine Flasche Branntwein aus der Flasche, und es wird zur Befestigung des “Ja” ein Gläschen geleert. Endlich naht der Morgen; der glück­liche Bräutigam eilt nach Hause, um seinen Eltern die freudige Nachricht zu bringen. Er holt jetzt sein gut gefüttertes Pferd aus dem Stall, es wird ein schöner Schlitten ange­spannt, und im schnellsten Galopp werden jetzt alle Paten des Bräutigams und der Braut abgeholt und in das Haus der Braut gebracht, um daselbst das Jawort zu feiern. Im Hause der Braut wird in der Geschwindigkeit eine kleine Mahlzeit errichtet, wobei die sogenann­ten Kreppel auch nicht fehlen dürfen. Nach dieser Jafeier müssen die jungen Leute zum Pastor zur Verlobung oder - wie man hier sagt - “zum Versprechen”. Was soviel heißen soll wie: sie haben sich gegenseitig das Verspre­chen gegeben, in den Ehestand zu treten. Die­ses Verlöbnis ist aber für manche Brautleute ein schwerer Gang, zumal dem Verlöbnis eine Prüfung vorausgeht im Lesen und Katechis­mushersagen, und wenn die Betreffenden sich als schwach erwiesen und zurückgewiesen werden, so ist das natürlich eine große Schande für die Eltern und Brautleute.

Ist die Verlobung gründlich vor dem Pastor überstanden, dann erst fühlt sich das junge Paar wahrhaft glücklich. Am Abend des Verlöbnisses wird dann der sogenannte Handstreich gefeiert im hause des Bräutigams, wozu wieder nur die nächsten Anverwandten herangezogen werden und außerdem die le­dige Kameradschaft der Brautleute; bei dieser Gelegenheit miß wieder das gutgefütterte Pferd tüchtig herhalten, und damit es auch alle Leute hören, wird an den Bogen des Gespanns eine Glocke angebunden, und der Bräutigam holt die Gäste zum Handstreich ab. Dann wird bis spät in die Nacht ein Tänzchen gemacht. Auf diesem Handstreich werden dem Braut­paare viele fromme Wünsche dargebracht. Jetzt naht bald der erste Sonntag, an welchem das Aufgebot in der Kirche erfolgt. Da ist es nun Pflicht der Braut, ihrem Bräutigam bis zum Sonntag ein Erkennungszeichen an die Kopfbedeckung anzuheften, und dieses ge­schieht auf folgende Art: Die Braut schneidet aus steifem Papier, etwa von der Größe einer Manneshand, eine Figur aus, welche ein Herz darstellt. Dieses Herz wird mit verschieden­farbigen Schaumperlen besetzt und oben drauf werden drei Pfauenfedern befestigt; es wird dann an der Mütze mit einem Bande befestigt. Diesen Schmuck (“Schnatz “ genannt) muß der Bräutigam an Sonn- und Festtagen bis nach der Kopulation tragen. Diese Sitte herrscht in manchen Gemeinden schon sehr lange und mögen unsere Altvordern aus Deutschland  diesen Gebrauch mit nach Ruß­land gebracht haben; jedoch die wenigsten werden wohl die Bedeutung dieser Sitte sich auslegen können. Das ausgeschnittene Herz mit dem Perlenschmuck soll jedenfalls die Be­deutung haben, das die Braut dem Bräutigam ein Herz voll Liebe darbietet, welches rein ist wie die glänzenden Perlen, die darauf prangen.

Am Sonntage des Aufgebotes besu­chen alle Brautleute den Gottesdienst; auch muß die geschmückte Mütze unbedingt getra­gen werden. Da aber die Perlen sehr zerbrech­lich sind und der Schmuck von dem Bräutigam wie Augapfel behütet wird, so nimmt er einen Schusterpfriemen mit zur Kir­che; derselbe wird in die Wand gestoßen und die Perlenmütze mit den Pfauenfedern daran gehängt. So kann man in der Kirche während das Gottesdienstes schon die Bräutigams an der Wand alle herzählen.

Man kann aus diesen Verlobungsbräu­chen deutlich ersehen, wie fest und treu unsere Kolonisten an althergebrachten Sitten halten. Sie werden streng beobachtet, und derjenige, der dieselben nicht in allen Einzelheiten be­folgt, wird von seinen Jugendgenossen aufs strengste getadelt.

J. Lr.

Wolgadeutsche Monatshefte, 1923.