Geschichte der Wolgadeutschen
UNSERE WIRTSCHAFT
Illustrierte Halbmonatsschrift
1924 Nr. 8

Unsere volkstümlichen Osterbräuche

(Наши народные пасхальные обычаи)

Von J. Seydlitz

Im Frühling werden die Menschen wieder heiterer. Besonders leben die Kinder auf. Waren sie im Winter von der Kälte gewissermaßen hinter den Ofen gebannt, so zieht es sie bei den linden Lüften und den warmen Sonnenschein unwiderstehlich ins Freie, wo sie sich der schönen Welt freuen. Und nicht zuletzt freuen sie sich auf Ostern. Kommt doch der Osterhase!



Der Osterhase zeigt sich manchmal auch schon vor Ostern. In diesem Falle schleicht er gewöhnlich in den Gebäuden und im Hausgarten herum, um Hasengärtchen aufzusuchen, in die er zu Ostern seine Eier legen kann. Gewöhnlich ist es Mutter, die ihn früh morgens hie und da erblickt. Einmal. So erzählt sie, hatte sie ihm fast Salz auf den Schwanz gestreut! Wäre ihr das gelungen, dann hätte sie ihn fangen können. Man hätte ihn dann eingesperrt und sicherlich viele Ostereier bekommen. Nun – nichts zu machen! Die Kinder müssen sich also am Abend vor Ostern an irgend einem versteckten Ort ihre Hasengärtchen machen.

Das ist eine Art Nest. Da hinein legt dann der Hase am frühem Ostermorgen seine bunten Eier. Bald danach erwachen auch die Kinder. Direkt aus dem Bettchen, im Nachthemdchen, geht es zum Hasengärtchen und... der Hase hat es ja wirklich gefunden! Er hat die verschiedenfarbigen Eier hineingelegt!

Jetzt kleidet man sich an, isst zu Morgen und begibt sich ins Dorf, um bei den Paten seinen „Has“ abzuholen. Das ganze verläuft etwa folgendermaßen.

- Gun Morchent! Ich winsch aich aach e gsund un e frehliche Osdern!

- Schen Dank! Das winsche mr dr aach!

Der Gratulant bekommt 1–2 Eier und sonst noch einige Leckerbissen. Er bindet sie in ein Taschentuch, und adjes! geht es weiter.

Um Nachmittag de 1. und 2. Ostertages macht man sich dann mit den Osterneiern sein Vergnügen. Bekannt ist das Eierpicken.

Zwei hartgekochte Eier werden gegeneinander gestoßen – mit dem Spitzende gegen das Spitzende oder umgekehrt mit dem Stumpfende gegen das Stumpfende. Abwechselnd hält der eine oder der andere sein Ei hin, und ein anderer pickt. Wessen Ei dabei zerbricht, der hat verspielt und muss dem Sieger das Ei geben.

Ein bekanntes Osterspiel ist auch das sog. „Eierschuwwele“. Es besteht in folgendem:

Auf der Erde wird eine Linie gezogen. Auf dieser Linie stellt ein jeder ein Ei auf, etwa ¼ Arschin eins vom anderen. Aus einer bestimmten Entfernung von dieser Eierlinie kegeln dann die Spielenden der Reihe nach mit einem Ei. Wer dabei ein Ei trifft, der darf es behalten.

Dieses Spiel kommt auch noch in einer andern Form vor. Anstatt der Eierlinie wird ein Drei- oder Viereck auf der Erde gezeichnet. Auf den Seiten dieser Figur macht sich jeder Spielende ein kleines Loch. Nun kegelt man. Und wem es gelingt, sein Kegelei in irgend ein Loch hineinzurollen, der hat von dessen Eigentümer ein Ei gewonnen.

Das Eierschuwwele ist nicht nur ein Kinderspiel. Die Burschen und Männer spielen es ebenfalls.

Aber auch die Mädchen haben ihr Osterspiel. Das ist das Schaukeln. Fast im jedem Dorfe gibt es zu Ostern eine oder mehrere Schaukeln. Gibt man ein Osterei, dann wird man dafür 3 – 5 Minuten lang geschaukelt.

Das Osterfest fällt auf einen Frühlingssonntag. Dieser Termin der Osterfeier wurde festgelegt auf der Synode zu Nicäa im Jahre 325. Laut dieses Synodalbeschlusses findet Ostern nicht an einem bestimmten Datum statt, sondern am Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühjahr.

Der kirchliche Charakter des Festes kommt jedoch in unseren volkstümlichen Festbräuchen nicht zum Ausdruck, ja nicht einmal in dem Namen des Festes.

Woher der Name „Ostern“ stammt und was er bedeutet, darüber sind die Meinungen der Mythologen sehr verschieden. Mit Bestimmtheit lässt sich nur eins sagen: im Frühjahr fand bei den alten Germanen ein Frühlingsfest statt, und mit diesem Feste war irgendwie das Wort Ostern verbunden. Nun wird mit dem einmal gebräuchlichen Worte eines alten Frühlingsbrauches ein neues fest bezeichnet, das ebenfalls in den Frühling fällt, wie sich ja überhaupt die Überreste altgermanischer Bräuche im Laufe der Zeit mit einem christlichen Feste verbanden. Das christliche Fest trägt in den frühesten althochdeutschen Sprachdenkmälern den Namen Ostera. Meistens steht die Pluralform, weil einige Ostertage gefeiert wurden. Die sprachliche Entwicklung ist: ahd. Pl. ostarun – mhd. Pl. osteren – nhd. Pl. Ostern.

Das Symbol des Osterfestes ist das Ei. Auch diese Sitte findet verschiedene Erklärungen. Was feststeht, ist dies, dass das Osterei ebenfalls alten Ursprungs ist. Schon die alten Chinesen, Perser in Slawen haben sich im Frühling bemalte Eier geschenkt. Das beweisen die Geschichtsquellen.

Was nun das Ei bedeuten soll, darüber scheinen mir die Erläuterungen viel zu viel gekünstelt zu sein. Die Sache verhält sich meines Erachtens viel einfacher.

Das Osterei ist das Erzeugnis einer alltäglichen Beobachtung, wie sie heute auch noch bei uns gemacht werden kann. Nämlich, schon im März fängt man bei uns an, sich gegenseitig zu fragen: „ Legen Eure Hühner schon?“ Bei dieser Frage denkt man gewöhnlich noch gar nicht an das Osterfest. Sie ist diktiert von dem Bewusstsein, dass die Hühner gegen Frühjahr anfangen, Eier zu legen. Das müssen sie gewissermaßen. Das ist ein Naturgesetz.

Nun standen aber die alten Völker zur Natur viel näher als wir und kannten auch das Naturgesetz: die Eier sind eine Begleiterscheinung des Frühlings. Von dieser Beobachtung bis zum Frühlingsfest mit Eiern ist dann nur ein Schritt, der sich von selbst tut und ohne Künstelei.

Wie wir gesehen haben, lässt man den Hasen Ostereier legen. Bei der Erklärung dieser Sitte haben wir es wieder mit verschiedenen Meinungen der Mythologen zu tun.

Man erklärt z. B. den Hasen für das heilige Tier der Göttin Ostara, wo doch andere wiederum erklären, es sei nicht einmal eine solche Göttin erwiesen. Der leichtfüßige Hase, sagt man weiter, stellt die schnell aufsteigende Sonne dar.

Meines Erachtens symbolisiert man auch hier wieder zu viel. Der Brauch, den Hasen die Ostereier legen zu lassen, ist noch gar nicht so alt. Es gibt noch im 19. Jahrhundert in manchen Ortschaften Deutschlands Menschen, die zwar die Ostereier kennen, aber keinen Osterhasen. Bei den einen schenken die Paten die Eier, bei den anderen legen sie die Vögel: der Hahn, der Storch oder der Kuckuck. Die beiden letzteren sind die Vorboten des Frühlings und bringen den Kindern Eier mit aus der Ferne. Nimmt man nun noch hinzu, dass die Kinder Märchendichter und Märchenliebhaber sind, dass ihnen gerade diejenige Erklärung am besten zusagt, die am phantastischsten ist, so findet man es ganz natürlich, dass bei den Kindern der Hahn oder gar der Hase die Ostereier legen muss.

Was letzteren betrifft, so werden die Kinder in dieser ihrer Annahme auch durch die Beobachtung gestützt. Sehen sie doch, wie sich im Frühjahr die Hasen scharenweise auf Feld und Wiese umhertummeln und, wenn sie der Jäger nicht mehr belästigt, sich nicht selten bis zum Hausgarten heranwagen. Was könnte da den Kindern märchenhaft-natürlicher erscheinen als gerade der Hase. Natürlich legt der Hase die Ostereier!

Etwas Bestimmteres lässt sich über unsere volkstümlichen Osterbräuche nicht aussagen. Im besten Falle kann man vermuten, im schlechtesten – spekulieren.


Unsere Wirtschaf, 1924. Nr. 8, S. 215-217.