Geschichte der Wolgadeutschen
FREUNDSCHAFT
Tageszeitung der sowjetdeutschen Bevölkerung Kasachstans
26. Juli 1969 № 149 (923)

Русский

SIE HATTEN'S KLAR ERKANNT

50 Jahre sind es her, seitdem W. I. Lenin den Brief "Alle zum Kampf gegen Denikin" schrieb. In diesem Brief forderte Lenin: "...die gesamte Arbeit, alle Anstrengungen, alle Gedanken dem Kriege und nur dem Kriege unterordnen. Anders kann man den Einfall Denikins nicht abwehren. Das ist klar. Und das mu? klar erkannt und voll und ganz in die Tat umgesetzt werden" (Ges. Werke, Bd. 29, Seite 437, deutsch). Heute bringen wir einige Zuschriften unserer Leser uber Teilnehmer des Burgerkrieges, uber Menschen, die den Forderungen Wladimir Iljitschs gerecht wurden, die diese Forderungen in die Tat umsetzen halfen.


Leuchtendes Beispiel

Das proletarische Klassenbewußtsein des Arbeiters im Soldatenmantel Ferdinand Baumanns reifte noch in den Schützengräben des imperialistischen Krieges, bei Trapesund an der türkischen Front, heran. Nach der Oktoberrevolution heimgekehrt, schloß er sich der von Alexander Dotz organisierten und bolschewistisch gesinnten Gruppe an. Er wurde Rotgardist, half der Miliz, die Kerenski-Regierung entwaffnen und die Sowjetmacht im damaligen Katharinenstadt (heute Stadt Marx) errichten.

26 Juli 1918 verlangte W. I. Lenin in einem Telegramm nach Saratow, unverzüglich eine Kompanie deutscher Kolonisten mäglichst völlig zuverlässige, völlig sowjetische Internationalisten zu schicken, die das Russische kennen.

Im Bestand dieser Kompanie war auch Ferdinand Baumann. Später beschäftigte sie sich im Gouvernement Zarizyn mit der Brotbeschaffung für die hungernden Arbeiter Moskaus und Petrograds. Dann wurde die Kompanie dem 1. Katharinenstädter kommunistischen Regiment einverleibt, und sie beteiligte sich an den Schlachten im Donbass gegen die Denikin-Banden. In einem der heißen Gefechte verwundet, wurde Ferdinand nach der Genesung zu einem Lehrgang für rote Kommandeure abkommandiert. So wurde aus dem Arbeiter der Schäfer-Fabrik ein roter Kommandeur.

Dem Militärfach widmete Ferdinand Baumann 13 Jahre aktiven Militärdienst und viele Jahre Lehrertätigkeit im Militärwesen an einer Arbeiterfakultät. Viele von dem Bürgerkriegsteilnehmer militärisch ausgebildete Rotarmisten verteidigten tapfer die Sowjetmacht im Krieg gegen die Hitlerfaschisten.

Die letzten Jahre lebte Ferdinand Baumann im Gebiet Tscheljabinsk. 1958 wurde er Personalrentner. Er erzählte oft der Jugend aus seinem kampferfüllten Leben, von der auf Lenins direkten Befehl gegründeten Kompanie der Internationalisten.

Zum 50. Jahrestag des Großen Oktober wurde Ferdinand Baumann mit dem Kampforden Roter Stern ausgezeichnet. Ein Jahr später starb er. Sein Leben war ein leuchtendes Beispiel ehrlichen Dienstes an der Sowjetheimat.

Albert HERR

Zelinograd

UNSER BILD: F. Baumann.


Unvergeßliche Zeit

Die Publikationen der "Freundschaft" unter dem Titel "Niemand soll in Vergessenheit geraten" haben auch mich ergriffen. Ich las Namen der mir teuren Menschen, die für unser aller lichte Zukunft kämpften, Erinnerungen werden wach.

1920. Die Stadt Pokrowsk. Neunzehnjährig sitze ich im Sattel. Die Reiterreserve der Gebietsmiliz wurde im Kampf gegen die Feinde dar Revolution eingesetzt - gegen die Spekulanten und Branntweinkocher, die, als die Arbeiter und Stadtbevölkerung hungerten, das rare Getreide verdarben.

An der Spitze der Gebietsmiliz stand damals Herbert Holzwart, ein früherer Gymnasist, der sich in der stürmischen Zeit der Revolution durch seinen Mut hervortat. Sein Gehilfe war der Pole Furtek, ein ehemaliger Offizier der Zarenarmee, der auf die Seite der Revolution übergegangen war und sich an den Fronten des Bürgerkrieges als treuer Kämpfer für die Sache des Volkes bewiesen hatte. Er war es auch, der bei Militärparaden an Feiertagen dem Kriegskommissar Fink gewöhnlich Rapport erstattete.

Zu den Reitern gehörten die Brüder Heinrich und Karl Fischer, Friedrich Bork, Johann Getscher, Weiß, Ort, Alberti u. a. Außer mir waren es alles kampfgestählte Soldaten. Jeder hatte seine besonderen Eigenschaften, seinen Lebenslauf. Friedrich Bork wurde von allen liebevoll "s Fritzche" genannt. Er war ein Kavallerist aus Budjonnys Reiterarmee, ein heroischer Fechter, dessen Körper von Narben geheilter Wunden übersät war. Die Gefechtsübungen, die auch ich als junger Reiter mitmachte, endigten gewöhnlich mit dem Fechten. Hierbei zeigte sich Fritz Bork als geschulter Fechter. Jeder Hieb auf die Rute war ein Volltreffer.

Es war eine besorgnisvolle Zeit. Man war nicht anspruchsvoll. Ein Soldatenbrei und gekochtes Wasser genügten schon.

Ich habe hier nur einiges gestreift. Befindet sich unter den Lesern der "Freundschaft" niemand, der über diesen Menschen ausführlicher schreiben könnte?

Alexander SCHMIDT

Temirtau


Zwei Kampfepisoden

"Die Gefechte verliefen mit wechselndem Erfolg..." So beschrieb unser Regimentskommandeur Heinrich Fuchs in seinem Brief vom 4. Juni 1919 eines der 30 Gefechte, die das I. Katharinenstädter kommunistische Regiment an der Südfront hatte austragen müssen. (Siehe "Freundschaft" Nr. 35 vom 19. Februar "Die Geschichte eines vergilbten Fotos").

Ich war Teilnehmer dieser Gefechte und kann mich gut an jene kampferfullten Tage erinnern. Besonders klar stehen mir noch einige Episoden im Gedächtnis.

Gleich nach der ersten Feuertaufe wurde ich der Lehrkompanie zugeteilt, die aus 200 Mann bestand. Das Militärwesen lehrte man uns 2-3 Kilometer von der Frontlinie entfernt. Schon am zweiten Tag nach ihrer Gründung zog unsere Kompanie ins Gefecht. Der Militärunterricht wurde uns in den Pausen zwischen den Gefechten erteilt.

Das Regiment wechselte oft seine Stellungen. Während eines solchen Manövers hatte unsere Kompanie den Troß zu schützen. Wir waren alle todmüde, einige Rotarmisten setzten sich auf die schwerbeladenen Fuhren, was streng verboten war. Den Ermahnungen der Kommandeure wurde nicht Folge geleistet. Nach dem Marsch ließ der Regimentskommandeur Fuchs unsere Mannschaft antreten. Seine Rede war kurz: "Bis zu diesem Marsch ward Ihr disziplinierte Rotarmisten. Ich war immer stolz auf Euch. Aber während des Marsches habt Ihr den Befehl nicht befolgt. Deshalb seid ihr von diesem Augenblick an keine Lehr-, sondern eine Strafkompanie." Jedoch in den folgenden Gefechten erwiesen wir uns wiederum als ganz tüchtig. Der Regimentskommandeur ließ uns abermals antreten und sagte: "Ihr habt Euch, Genossen, auf dem Schlachtfeld wieder gut bewährt, den schwarzen Fleck abgewaschen, deshalb ernenne ich Euch wieder zur Lehrkompanie."

Ein anderer Fall. Wir waren zu einem Rückzug gezwungen. Der Feind folgte uns auf den Fersen, aber wir hatten keine Patronen. Der Kommandeur: "Halt! Niederlegen! Kein Schritt züruck!" In 10 - 15 Minuten beschaffte der Kommandeur - auf für uns unerklärliche Weise - genügend Patronen. Wir erhoben uns alle wie einer und schlugen den Feind in die Flucht.

So kämpften wir gegen einen hinterlistigen, von ausländischen Kapitalisten bis zu den Zähnen ausgerüsteten Feind. Und wir siegten!

Ich gedenke oft meiner Kampfgenossen. Nach meiner im NL veröffentlichten Notiz heben mir viele von Ihnen geschrieben. Es meldeten, sich Christian Hartmann (Gebiet Orenburg), Georg Baier (Gebiet Omsk), B. Lorai (Kirgisien) sowie auch Angehörige der Familien von Bürgerkriegsteilnehmern, darumter Valentina Gerassinkowa, die Witwe unseres ehemaligen Regimentskommandeurs Heinrich Fuchs. Ich würde mich freuen, wenn sich auch die Regimentskameraden Georg Herter, Adolf Wiegel, Reichert, Schmidt, Zimmermann u. a. melden würden.

Ich möchte der heutigen Jugend die Worte Nikolai Ostrowskis in Erinnerung rufen, das Leben so zu leben, daß man sich um ziellos verbrachte Jahre nicht zu kränken braucht.

Baltasar MILLER

Gebiet Kemerowo

UNSER BILD: B. Miller im Jahre 1920.


AN UNSERE LESER

Im Oktober begeht unser Land den 50. Jahrestag seit der Gründung der 1. Reiterarmee. Die Redaktion der "Freundschaft" wendet sich an die ehrenamtlichen Korrespondenten und Leser, die Ihnen bekannten Kämpfer der 1. Reiterarmee aufzusuchen und ihnen zu helfen, ihre Erinnerungen niederzuschreiben.

Die Redaktion