Geschichte der Wolgadeutschen
NACHRICHTEN
des Gebiets-Komitees der Kom. Partei (B) der Sowetunion
und des Zentralvollzugskomitees der Autonomen
Sotialistischen Räte-Republik der Wolgadeutschen
4. April 1926 Nr. 41

Die Wolgadeutsche Bank und
das Zentralmuseum unserer
Republik.

Zu dem Artikel zum Ausbau unseres Zentralmuseums in den „Nachrichten“ Nr. 30 und 31 ist kurz angedeutet, daß unter den Anstalten, die das Zentralmuseum unterstützt haben, der Wolgadeutschen Bank eine hervorragende Stelle zukommt. Darüber soll heute kurz berichtet werden.

Vor einiger Zeit wurde dem Zentralmuseum das Angebot gemacht, fünf größere Handschriften, die aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert stammen, und von Anton Schneider, ehemals Schulmeister zu Mariental, verfaßt sind, zu erwerben.

Es handelt sich um folgendes:

1. Lebensbilder der Kolonisten im saratowschen und samaraschen Gouvernement, auf beiden Seiten der Wolga. Als wie auch deren Ansiedlung, Einrichtung und Wirtschaft derselben bis auf gegenwärtige Zeit. Geschrieben von Anton Schneider, Kolonist der Kolonie Tonkoschurowka. 1863 2 Teile. XIII, 281, 122 Seiten. 8. Schluß fehlt. Aus dem überaus reichen Inhalte dieses Buches sei erwähnt: Einwanderung der Deutschen nach Rußland. Reise durch innere Rußland bis in die Kreisstadt Petrowsky, wo sie Winterquartier machten. Lage und Ansicht der deutschen Ansiedlungen im samaraschen und saratowschen Gouvernemente… Lebensweise in den Erdhütten der drei ersten Jahre. Wie die Alten anfänglich geackert haben… Von den Gewerben der deutschen Kolonisten u.v.a.

2. Denkschrift über den Ansiedlungszustand, der Einwanderung und Geschlechtslinie unserer Stammfamilien in Rußland, als wie auch der von dieser Zeit her merkwürdigsten Begebenheiten und Ereignisse in- und außerhalb unserer Familien, bis auf gegenwärtige Zeit. Von Anton Schneider in der Kolonie Mariental 1855. 244 Seiten Handschrift kl. 8° Aus dem Inhalte: § XVI. Von denen Bezirks-Obervorstehern (des Marientaler Kreisen) § XVII. Wie sind die jetzigen Kolonisten der hiesigen Kolonie beschaffen. § XVIII. Verdorbener Hang § XIX. Ungerechte Anschläge. In § XXI bringt A. Schneider eines seiner Gedichte, das die Mißjahre behandelt; es enthält 65 Strophen. Im ganzen handelt die Handschrift hauptsächlich von Mariental.

3. Haus- und Landwirtschaft für deutsche ausländische Ansiedler des samaraschen und saratowschen Gouvernements. 1849. 584 Seiten 8° Enthält eine ganze Reihe wertvoller Angaben über den damaligen Zustand der Landwirtschaft, über angebaute Getreidearten u.v.a. Von allen Handschriften die umfangreichste und wertvollste. Auch in sprachlicher Hinsicht bemerkenswert.

4. Praktisch arithmetischer Wegweiser, welcher lehret die Fundamente der vier Spezien in ganzen und benannten Zahlen, wie auch die Regula de Tri usw. In dreizehn Teile eingeteilt… von Anton Schneider 1863. VI, 240 Seiten Wertvoll für die Geschichte der wolgadeutschen Schule.

5. Vollständiger Haus-Kalender, welcher auf 100 Jahren nämlich: von 1850 bis 1950 nach Saratowscher mittler bürgerlichen Zeit nach dem alten Stiele, eingerichtet… Von Anton Schneider, Kolonist der Kolonie Mariental. Den 1. Januar 1850. XIV, 352, 45 Seiten. Enthält, außer dem 100-jährigen Kalender, eine kurze Geographie, eine kurze Wetterkunde, eine kurze Himmelskunde, Anweisungen über Obst- und Gartenbau u.a. Ferner eine Reihe von A. Schneider verfaßter Gedichte. Es tritt uns A. Schneider in seinen Werken nicht nur als Historiker, gründlicher Schulmann und tüchtiger Land- und Hauswirt entgegen, sondern auch als Dichter.

Die hervorragende Bedeutung dieser Handschriften für wolgadeutsche Wirtschaftsgeschichte; Volkskunde, Dichtung und Sprache bringt es mit sich, daß um ihre Erwerbung sich Ausländer energisch bemühten und zu befürchten war, daß, wenn dieselben nicht von der Wolgadeutschen Republik erworben würden, sie unbedingt und zwar unwiderbringlich ins Ausland gingen, wie schon mehrere wertvolle Handschriften, Zeitschriften, Zeitungen u.a. Doch das Zentralmuseum hatte in seinem Kostenverschlag keine Summen, die ihnen erlaubt hätten, diese Handschriften zu erwerben. (Der Besitzer der Handschriften verlangte als letzten Preis 1000 Rbl.) Die Unterhandlungen, die die Museumsdirektion diesbezüglich mit dem stellvertretenden Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare der Wolgadeutschen Republik Gen. D. Borger flog, führten zu einer unerwarteten und überaus günstigen Lösung der Frage. Die Verwaltung der Wolgadeutschen Bank, die schon früher größten Verständnis für kulturelle und wissenschaftliche Fragen an den Tag legte, erklärte sich, als sie von der Angelegenheit in Person des Gen. Al. Schneider erfuhr, bereit, die Handschriften aus ihren für kulturelle Zwecke bestimmten Mitteln zu erwerben und dem Zentralvollzugskomitee der Wolga-Republik, zwecks Übergabe an das Zentralmuseum, zu schenken. Diese Tat der Wolgadeutschen Bank ist in vielen Hinsichten beachtenswert.

Unwillkürlich macht man den Vergleich mit den Banken in kapitalistischen Ländern, deren einziges Bestreben die Erzielung größtmöglichster Gewinne ist, auch wenn darüber einzelne Zweige der Industrie oder der Landwirtschaft zum Schaden des Ganzen zugrundegerichtet werden, entsprechend dem vielfach entgegengesetzten Interessen des Bankkapitals und des Industriekapitals, während hier die Wolgadeutsche Bank neben planmäßiger wohlüberlegter Unterstützung aller Wirtschaftszweige unsere Republik auch den Willen hat und die Mittel findet, kulturfördernd im Sinne von Unterstützung wissen schaftlicher und volksausklärender Arbeit zu wirken.

Dann aber wird durch die Schenkung der Wolgadeutschen Bank beim Zentralmuseum der Grundstein gelegt zu einer Handschriftensammlung, die sich die Museumsdirektion so denkt, daß sie womöglich vollständig den handschriftlichen Nachlaß wolgadeutsche Schriftsteller, Dichter, Publizisten, Journalisten, Chronikschreiber und Gelehrter enthält. Diese Handschriftensammlung soll aufs engste verbunden sein mit der geschichtlichen Abteilung des Museums, die unter anderem Gegenstände und Bilder sammelt, die das Leben und Wirken hervorragender wolgadeutscher Kulturarbeiter beleuchten und erläutern.

Außer dem öffentlichen Dank an die Wolgadeutsche Bank sei hier zum Schluß gleichzeitig die Bitte gestatten an alle Erben wolgadeutscher Schriftsteller, Chronikschreiber u.a., sowie an die lebenden Schriftsteller und Dichter, dem Zentralmuseum Bildermaterial (Photographie, Zeichnungen u.a.) und Handschriften zugehen zu lassen, damit die Handschriftensammlung des Museums und die damit verbundene Sammlung von Gegenständen und Bildern, zu der durch die Freigebigkeit der Wolgadeutschen Bank solch schöner und bedeutsamer Anfang gemacht ist, in einer Wolgadeutschen Republik würdigen Weise ausgebaut werden künnen.

Die Direktion.